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Amara
9.45 Uhr

Seit 6 Tagen habe ich keinen Kontakt mehr zu Miguel. Seit drei Tagen sitze ich wieder in unserem Haus in Los Angeles und schaue auf die leere Straße.

"Ama, bist du fertig?"
Mein Vater legt seine Hand auf meine Schulter.
„Si, Papa", antworte ich ihm und nehme meine schwarze Tasche.

Dann verlassen wir die Wohnung und fahren zum Friedhof.
Die Fahrt kommt mir unglaublich lang vor.

"Wo ist denn der nette Mann, der dich aufgenommen hat? Kommt er heute auch?", fragt mich Papa und biegt in eine kleine Straße ab.

"Nein und das ist auch besser so.", antworte ich nervös.
Miguel wird doch heute nicht hier auftauchen, oder?

"Hat er dich nicht gut behandelt?"
Skeptisch sieht er mich an.
„Doch. Wir verstehen uns nur nicht.", will ich das Thema beenden.

"Der junge Mann hat mir viel Geld überwiesen für die Beerdigung. Er zahlt deine Schulausbildung und deine Wohnung.
Du hättest ihn einladen sollen. Außerdem hat er mir am Telefon gesagt, dass ihr euch schon lange kennt und gut miteinander auskommt."

Ich schaue ihn an.
"Das stimmt nicht."

Ich schlucke, weil ich nicht wahr haben kann, dass er sowas zu meinem Vater gesagt hat.

„Wo ist er denn heute?", will mein Vater wissen.

„In Mexiko. Beruflich.", lüge ich.
Eigentlich weiß ich gar nicht, wo er gerade ist. Ich hoffe nur, dass er wirklich in Mexiko ist.

Als wir am Friedhof ankommen, legt Papa seinen Arm um meine Schultern, während bevor wir zum Grab laufen.
"Ich kenne ihn nicht, aber ich glaube, er muss dich sehr mögen, sonst würde er das nicht für dich tun."

Wenn du wüsstest

10.53 Uhr

Ich komme gerade von der Toilette, als ich Papa am Grab stehen sehe.

Dann gefriert mein Blut in meinen Adern.

Miguel steht neben ihm.

Reflexartig blicke ich zur Straße.
Xavier lehnt an einem teuren BMW  und schaut zu mir runter.
Er winkt leicht, doch ich wende schnell meinen Blick ab.
Zum Glück sind die meisten Gäste sind schon wieder gegangen.

"Ah Amara, da bist du ja!", ruft mir mein Vater zu.

Miguels Augen liegen auf meinem Körper.
Die Hände hat er wie immer in seiner schwarzen Anzughose liegen.
Er hat die Haare nach hinten gegelt und ich würde Lügen, wenn ich sagen würde, dass es ihm nicht steht.

Es steht ihm ausgezeichnet.

"Miguel ist da.", ruft mein Vater.
Ich spüre, wie Miguel schamlos meinen Körper scannt.

„Das sehe ich.", murmel ich, nachdem ich endlich meine Stimme wieder gefunden habe.

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass ihr beide in Culiacán wart?", fragt Papa mich und zieht mich näher zu ihm heran.

"Ich hätte dir natürlich das Geld für den Urlaub überwiesen, nächstes Mal sagst du mir einfach sofort Bescheid!", spricht mein Vater Miguel an.

Urlaub?
Seit wann duzen die beiden sich?

Miguel winkt lässig ab.
"Nicht nötig, war mir eine Ehre, mich um deine Tochter zu kümmern. Sie ist so ein reizendes Mädchen und vor allem so freundlich.", spielt er auf die Situation im Hotelzimmer an.

Ich kneife meine Augen zusammen.
Er grinst.

"Na dann hab ich ja doch was richtig gemacht.", lacht mein Vater und scheint die angespannte Stimmung zwischen uns nicht zu bemerken.

"Entschuldigt mich kurz, die Dame da vorne wartet auf mich. Miguel, wenn wir uns nicht mehr sehen: Komm gut nach Hause und vielen Dank für alles. Sollte ich für meine Tochter mal einen Babysitter brauchen, dann melde ich mich bei dir!", klopft er ihm auf die Schulter.

Miguel nickt.
"Gerne", leckt er sich über die Lippen und schaut über meine Schulter meinem Vater hinterher.

Babysitter?

"Verschwinde!", zische ich und gehe auf ihn zu.
„Ich sag ja. Ein reizendes Mädchen und vor allem so freundlich", wiederholt er seine Worte.

Kurz zucke ich zusammen, weil er hinter sich greift und ich befürchte, dass es seine Waffe ist.

Belustigt schaut er mich an.
"Beruhig dich. Hier", hält er mir einen schwarzen Gegenstand hin.

"Mein Handy?", frage ich verwirrt.
Er nickt.
"Du hattest es also die Ganze Zeit.", stelle ich fest und stecke es in meine Tasche.

"Jetzt wo das geklärt ist, kannst du ja auch wieder gehen.", will ich ihn los werden.
Er lächelt und beugt sich zu mir vor.

Sein Atem kitzelt mein Ohr.
"Du wirst mich nie los, mi amor", flüstert er mir zu und haucht mir dann einen Kuss auf die Wange.

Die Wärme geht mit ihm, als er mich los lässt und den Friedhof verlässt.
Ein letztes Mal schaue ich dem muskulösen, großen Mann hinterher.

An diesem Tag habe ich ihn tatsächlich das letzte Mal gesehen.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt