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Amara

"Du bringst mich wirklich nicht um?", durchbreche ich die nächtliche Stille.
Ich spüre, wie er leise lacht.

"Sollte ich meine Meinung ändern, gebe ich dir Bescheid, mi amor", gibt er mir schon wieder diesen Kosenamen.

Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir beide von amore noch weit entfernt und ich kann mit Sicherheit sagen, dass sowas niemals passieren wird. Auf gar keinen Fall.
Er ist brutal und kaltblütig.
Er ermordet Menschen und hat keine Hemmung zuzuschlagen.

Ich bin zwar auch nicht vollkommen rein, aber dennoch passt er überhaupt nicht zu mir.
Niemals wird das passieren.
Außerdem wird er mich sowieso verarschen.

"Schlaf jetzt.", brummt er und dreht sich auf die linke Seite.

8:56 Uhr

Sie Sonne scheint auf mein Gesicht und holt mich aus meinem Schlaf. Da mir warm ist, schlage ich die Decke bei Seite und setze mich auf.

Die rechte Betthälfte ist leer. Miguel scheint also schon gegangen zu sein.
Ich stehe auf und tapse auf den Balkon.

Im Garten sehe ich ihn stehen, zusammen mit Paulo. Sie quatschen und sehen sich im Gartek um.

Beide tragen einen Anzug jedoch ohne Jackett. Vermutlich ist es in der Sonne viel zu warm dafür.

Mein Blick fällt auf denn Pool. Ob ich wohl mal schwimmen darf?

Schließlich zieht eine mexikanische Frau meine Aufmerksamkeit auf sich.
Elegant geht sie auf Miguel zu und streicht ihm verführerisch über die Brust, dann flüstert sie ihm etwas ins Ohr.
Sie trägt eine kurze Hose und ein lockere weiße Bluse. Darunter kann ich ihren pinken Bikini sehen.

Ist das seine Frau? Immerhin trägt er einen Ehering.

Sie haucht ihm einen Kuss in den Nacken, doch es scheint ihn nicht zu interessieren.
Mit Sicherheit ist das seine Frau!

Als er zu mir hoch schaut, wende ich meinen Blick schnell ab.

"Acosadora", höre ich ihn rufen.
Ich gehe nicht auf seine Provokation ein, sondern wende mich ab und gehe ins Bad.

Ich bin doch keine Stalkerin?!

Nachdem ich meine Zähne geputzt und mein Gesicht gewaschen habe, ziehe ich mir eine kurze Hose und mein letztes sauberes Shirt an.
Ich brauche dringend neue Sachen.

Langsam gehe ich die Treppen runter. Ob er wohl schon was über den Mörder meiner Mutter herausgefunden hat?

"Hier Señora Jimenez, ihr Frühstück."
Die Haushälterin erschreckt mich.
Dankend nehme ich die volle Obstschüssel aus ihrer Hand und ignoriere die Tatsache, dass sie mich mit Miguels Nachnamen angesprochen hat.

"Ich bin keine Stalkerin!", rufe ich, als ich aus der Tür in den Garten trete, wo Paulo und Miguel stehen.

Miguel lacht.
In letzter Zeit lacht er öfter und es hört sich nicht mehr so falsch an.
Er nimmt mir die Schüssel aus der Hand und pickt sich eine Erdbeere raus, dann überreicht er mir die Schüssel wieder.

"Ich mach mich dann auf den Weg! Bis später", verabschiedet sich Paulo von uns.
Miguel hebt kurz die Hand zum Abschied.
Habe ich sie unterbrochen?

"Miguel ich brauche neue Sachen, ich hab nichts mehr.", fange ich vorsichtig an.
Genervt rollt er mit den Augen.

"Ich sag einer Haushälterin Bescheid, dass sie deine Sachen waschen soll. Wir bleiben nur noch zwei Tage.", tippt er auf seinem Handy herum und zündet sich dann die Zigarette an, der schon länger zwischen den Mundwinkeln stecken hat.

"Okay.", antworte ich teilnahmslos und setze mich an den Pool. Wo ist die Frau von gerade eben?

"Okay?", fragt er erstaunt und zieht einen Liegestuhl heran, um sich drauf zu setzen.

"Keine Diskussion?", will er mich ärgern.
Ich schiebe mir ein Stück Ananas in den Mund, während er den giftigen Rauch auspustet.

"Ich bin überrascht. Vielleicht lernst du doch schneller, als ich anfangs dachte.", macht er sich jetzt über mich lustig.

Aber nicht mit mir.
Heute werde ich mich nicht von ihm provozieren lassen.
Ich werde ihn einfach ignorieren.
Außerdem hat er mich geküsst, obwohl er eine Frau hat, die sogar hier im selben Haus ist!

"Antwortest du mir jetzt nicht mehr?"
Er runzelt die Stirn und beugt sich zu mir runter.

"Ich lasse mich nicht mehr provozieren, dass ist alles.", gebe ich letztendlich doch von mir.
Seine Mundwinkel zucken nach oben.

Findet er das witzig?

Genervt schnaube ich.
"Du kannst mich nicht einfach küssen, wenn deine Frau hier wohnt.", spreche ich das an, was mir schon länger auf der Zunge brennt.

Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch.
"Und von welcher Frau redest du?", will er interessiert wissen.

Er spielt wieder mit mir.
Ich ziehe die Füße aus dem Pool und setze zum gehen an, als er ebenfalls aufsteht und mich zurückzieht.

„Lass mich los", bitte ich ihn, doch er tut nicht, worum ich ihn bitte.
Stattdessen drückt er mich sanft auf den Liegestuhl und lässt sich neben mir nieder.
Dicht.
Viel zu dicht.
Sein Oberschenkel streift meinen Oberschenkel und seine breite Schulter streift meine Schulter.
Er tippt mit dem Zeigefinger auf der Zigarette rum, sodass die überschüssige Asche auf die Steine fällt.

"Ich meine das Ernst.", fängt er an.
Er hat sich mit seinen Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt und sich leicht nach vorne gebeugt. Seinen Kopf hält er schräg, um mir besser ins Gesicht zu schauen.

"Welche Frau meinst du?", fährt er fort.
"Die, die hier vorhin mit euch am Pool war." beginne ich.

"Ja, das war eine Frau.. aber wie kommst du darauf, dass sie meine war?", hakt er ruhig nach.
Ich bin überrascht, dass er diesmal nicht wütend wird.

"Du trägst einen Ehering und ihr habt sehr vertraut gewirkt."
Irgendwie ist es mir unangenehm mit ihm über solche Themen zu sprechen. Abgesehen davon ist er mir ja auch keine Erklärung schuldig.

Er grinst.
"Dann hättest du dir die anderen Finger der Männer hier auch mal anschauen müssen. Wir tragen alle den gleichen. So weiß man, wer zu uns gehört und wer nicht. Andere Kartelle haben ein Tattoo, wir haben eben diesen Ring."
Er steckt die Zigarette zwischen seine Lippen, nimmt den Ring vom Finger und reicht ihn mir.

"Da steht Sinaloa.", deutet er auf die geschwungene Schrift auf der Innenseite des Rings.
Er glänzt im Sonnenlicht.

Dann nimmt er ihn mir wieder aus der Hand.

„Also mi amor, keine Sorge. Ich hab keine Frau. Und eine Freundin hab ich auch nicht.", schließt er das Thema ab.

"Du bist die einzige Frau in meinem Leben", wirft er hinterher.
Erschrocken blicke ich ihn an, woraufhin er mir zuzwinkert. Dann steht er auf und verlässt mit großen, dominanten Schritten den Garten. Ich weiß, dass er das witzig findet, mich zu verunsichern, deshalb kaufe ich ihm das auch nicht ab.
Trotzdem ärgert es mich, dass ich so verlegen reagiere, wenn er mir Schmeicheln will und sich eigentlich nur lustig macht.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt