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Amara

Ich ignoriere ihn erneut und laufe die Treppen hoch. Seine Lackschuhe donnern auf den glänzenden Steinboden.

"Amara!", ruft er wieder.

"Bleib weg von mir!", schreie ich ihn an und erhöhe meine Geschwindigkeit.
Plötzlich ist er mir ganz nah und ich schaffe es nicht die Tür zu meinem Schlafzimmer zu schließen, ohne, dass er seinen Fuß zwischen Tür und Zarge stellt.

"Was soll das!", rufe ich empört und will die Tür schließen, doch Miguel öffnet sie mit Leichtigkeit und drängt mich einige Schritte zurück ins Zimmer.

Er geht langsam an mir vorbei, wie ein Tiger, der seine Beute umkreist, während mein Blick auf seine Waffe hinten in seinem Hosenbund fällt.

"Ich dachte du wärst schlauer. Hätte ich dich wirklich in einem meiner Bordelle eingestellt, dann hätte ich dir sicherlich nicht mein Zimmer überlassen. Du hättest diese Villa hier gar nicht zu Gesicht bekommen.", fängt er ruhig an.
Dann lässt er sich auf den weichen Sessel vor den bodentiefen Fenstern nieder.
Ich stehe noch immer im Raum, wie ein aufgeschrecktes Huhn.

"Ich muss morgen nach Mexiko. Du wirst mitkommen.", informiert er mich gefühlskalt.

"Nach Mexiko?", frage ich unverständlich.
Er nickt.
"Hin und wieder muss ich mich da mal blicken lassen. Besonders jetzt, wo wir im Krieg mit einem anderen Kartell sind.", redet er weiter.

"Du lügst mich an.", versuche ich etwas aus seinem Gesicht zu lesen.
Er zieht die Augenbrauen zusammen.

"Du nimmst mich mit, um mich dort an die auszuliefern!", werfe ich ihm vor.

Er bleibt ernst.
"Nein, das werde ich mit Sicherheit nicht tun.", weist er meine Anschuldigung ab.
Ich bin verunsichert.
Er ist komplett ernst.
Nicht mal ein Schmunzeln ziert seine schönen Lippen.

"Lüg mich nicht an.", flüstere ich.

Er schüttelt den Kopf.
"Amara, wenn ich dir sage, dass ich dich nicht an die Bastarde ausliefere, dann werde ich das auch nicht tun. Das mit den Bordellen, das war im Übrigen auch nicht ernst gemeint. Ich werde es definitiv nicht zulassen, wie sich Schweine an dir vergreifen.", stellt er klar.

Mein Herz schlägt wild gegen meine Brust. Was meint er damit? Er wird es nicht zulassen, dass sich Schweine an mir vergreifen?

"Was soll das heißen?", will ich jetzt genauer wissen.

Er lacht.
"Das, was ich gesagt habe.", zuckt er mit den Schultern und erhebt sich vom Sessel. Sein Lachen ist nicht ehrlich, es ist verstellt. Dieser Mann kann gar nicht Lachen. Zumindest nicht aufrichtig, weil er etwas wirklich lustig findet, sondern nur, weil er damit jemanden verspottet.

Miguel öffnet die Wasserflasche, die auf dem Nachttisch steht.

"Woher hast du die?", fragt er mich, bevor er einen großen Schluck trinkt.

"Habe ich mir selber geholt.", lüge ich und schütze mit meiner Lüge die nette Haushälterin.
Er nickt, dann stellt er sie zurück.

"Heute Nacht werden wir los fahren. Ich hab einige Dinge drüben zu erledigen, es wird bestimmt 3 oder 4 Tage dauern."
Er läuft vor dem Fenster auf und ab und schaut auf das entfernte Meer.

"Wie kommt es, dass du in Sinaloa geboren wurdest?", will er jetzt wissen.
Er geht auf den Balkon und winkt mich hinter sich her.
Er überbrückt die Zeit, bis ich auch auf den Balkon komme, und lehnt sich an das Balkongeländer.
Er deutet auf den Holzstuhl, auf den ich mich setzen soll.

"Mein Vater hat dort gearbeitet. Da hat er meine Mama kennengelernt. Wir haben dort gelebt bis ich 6 war, dann sind wir mit meinem Vater nach Los Angeles. Er ist Amerikaner." erkläre ich ihm.

Verstehend nickt er, scheint aber noch mehr wissen zu wollen.
"Er hat dann 2 Jahre in Los Angeles gearbeitet und ist dann nach Miami gezogen. Er kommt immer nur in den Sommerferien vorbei.", fahre ich fort und hoffe ihn zufriedenstellen zu können.

"Wo genau aus Sinaloa kommst du her?"
Seine Stimme klingt irgendwie skeptisch.

"Culiacán.", erzähle ich ihm. Gespannt hört er zu.

"Du hast blonde Haare."
Seine Stimme klingt bedrohlich, fast, als würde er mir vorwerfen, dass ich ihn anlüge.

Irritiert schaue ich ihn an.
"Ich hab ja leider kein Portemonnaie hier, aber darin ist mein Ausweis und darauf steht, dass ich in Culiacán geboren wurde!", fauche ich wütend.

"Beruhig dich Tiger.", grinst er jetzt.
"War nur 'nen Spaß.", findet er sich wohl witzig.

"Du bist so unglaublich witzig.", rolle ich mit den Augen.
"Ich weiß.", erwidert er immer noch belustigt.

Er greift nach meinem Arm, als ich den Balkon verlassen will.
"Bleib hier.", bittet er mich.
Sein Griff ist nicht fest, sondern eher sanft.

Als er meinen Blick auf seiner Hand um meinen Oberarm bemerkt, lässt er ihn schnell los.

Zögernd stelle ich mich neben ihn an das Geländer und lasse meinen Blick über das Meer schweifen.

"Du bist also 18.", nennt er mein Alter.

"Frag nicht, woher ich das weiß. Ich krieg alles raus.", unterbricht er meinen Gedankengang.

"Dein Ex hat dich betrogen, vor nem Monat. Mason, richtig?"
Seine Stimme klingt das erste Mal interessiert.

Ich bin überwältigt von den Dingen, die er über mich weiß.

"Ich hätte dir sofort gesagt, dass er ein Arschloch ist. Das hab ich ihm angesehen.", verurteilt er Mason.

"Wann hast du ihn gesehen?"
Meine Stimme ist kratzig und ich rücke etwas von ihm weg, als ich sehe, dass er sich eine Zigarette anzündet.

"Auf dem Schulhof. Was hast du an ihm gefunden? Er kann dir nichts bieten.", fährt er fort.

Ich antworte nicht.
Ich weiß es ja selber nicht mal.

"Immerhin hast du noch nicht mit ihm geschlafen." Zufrieden zieht er ein paar Mal an seiner Zigarette. Mein geschockter Gesichtsausdruck entgeht ihm jedoch nicht.

Wir das hier jetzt sowas wie ein Aufklärungsgespräch?

"Woher weißt du das?", frage ich ihn, nachdem ich mich wieder gesammelt hab.

"Hab geraten, aber deine Reaktion zeigt mir, dass ich Recht habe.", schmunzelt er.
Dann drückt er die Zigarette am Geländer aus und geht vom Balkon.

"Pack deine Sachen in meine Tasche. Wir fahren um 23 Uhr los.", flötet er, als er das Zimmer verlässt.

Schockiert lässt er mich zurück.

Woher weiß er das alles?

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt