15 - Einsamkeit

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"Eleysa!", die eindringliche Stimme von Joey schallte durch den gesamten Gang, während sie in ihrer kleinen ehemaligen Hausmeisterkammer war.
Noch immer lag der Geruch von Putzmittel in der Luft, vermischt mit dem Geruch von Chlor und Schimmel. Durch das von Pflanzen zugewucherte kleine Fenster nahe an der Decke schien nur wenig Licht der warmen Sommersonne hindurch.
Etwas anderes, was ihr mehr Licht verschaffen konnte, gab es hier nicht, denn in der Lampenfassung war keine Glühbirne eingeschraubt. Als wäre Koslowski auch nur so nett, ihr diesen Gefallen zu tun...
Genervt drehte Eleysa sich auf ihrem morschen, knackenden Stuhl in Richtung Tür, welche weit aufgerissen wurde. Wie immer angepisst marschierte ihr "Adoptivvater" in den Raum.

"Was ist?", fuhr sie ihn an und zuckte entnervt mit den Achseln. Sie hatte echt keine Lust mehr auf diesen Mann.
Sein Blickt glitt durch den Raum als suchte er nach etwas. Aber was hätte er bitte aus ihrem Raum großartig gewollt? Sie hatte nur einen kleinen schmutzigen Spiegel, eine fleckige Matratze und den zu Zerbrechen drohenden Stuhl. Und dann war da noch ein kleiner, quadratischer Tisch, auf dem ein lila Buntstift und ein kleiner Blätterstapel lagen. Mehr besaß das Mädchen nicht.
"Hmpf...", mit einem misstrauischen Nicken verließ er den Raum wieder und knallte die Tür hinter sich zu. Nun herrschte wieder absolute Stille.

Dass er alle paar Stunden einfach in ihr Zimmer platzte und sie kontrollierte, kam öfter vor. Ob das eine Aufforderung von diesem Vampir war? Das war gut vorzustellen, da Joey genau wusste, dass er keine Chance gegen Lagrima hatte. Niemand hatte das, schon gar nicht sie. 
Wenn er wollte, konnte er sie in eine Trance versetzen. Ihren Körper wie eine Marionette steuern oder sogar in ihre Gedankenwelt eindringen.

"Dreckiger Bastard", murmelte Eleysa vor sich hin und wandte sich wieder einer Zeichnung auf ihrem Tisch zu. Das Bild entsprach einer Person, die aus einem Anime entspringen könnte. Jede einzelne Linie seines Körpers war ein fettgezogenes dunkles lila. Da sie keine anderen Farben hatte, waren auch seine Haut und seine Kleidung in verschiedenen Lilatönen. Es war nur eine der Kraft, die sie aufgewendet hat, um die ganzen Gliedmaßen und Kleiderstücke auseinander zu halten. So hatten sein lockeres Hemd und die wuscheligen Haare einen dunkleren Ton als seine Haut, und die Linien waren noch dunkler als die Kleidung. Seine Augen waren allerdings komplett weiß und leer. Und trotzdem bekam Eleysa bei ihm das Gefühl, dass er sie direkt anschauen würde...

Ihr Blick wanderte von der Zeichnung zu dem Spiegel, der neben ihr auf dem Tisch stand.
Ihr entstelltes Gesicht ließ sie erneut an sich selbst zweifeln.
Wenn sie ihren Kopf zur Seite drehte, fühlte sie sich jedoch wunderschön. Sie musste diese Splitter nicht sehen. Ihr Gesicht war auf einmal so wunderschön. Sie war zufrieden. Doch dann betrachtete sie erneut die andere Hälfte ihres Gesichts. Die Hälfte, wovon der obere Teil nur in Splittern neben ihrem Kopf herflog.
Dann betrachtete sie erneut die Zeichnung.
"Wir sind beide nicht perfekt", stammelte sie vor sich hin, während sie ihre schlanken Finger über das Bild glitten. Sie brauchte einfach einen Freund. Jemanden, der sich für sie einsetzte, damit sie nicht all die Zeit so allein war. "Wärst du doch nur lebendig..."

Natürlich! Warum war sie nicht vorher auf diesen Gedankenblitz gekommen? Schließlich stand wenige Meter unter ihren Füßen eine Maschine, die dazu in der Lage war, Zeichnungen Leben einzuhauchen. Durch das anständige Geklapper wurde sie jede Nacht wach, es ging ihr so dermaßen auf die Nerven...
Es würde Joey aber nicht gefallen, wenn sie sie nutzen würde, nicht einmal für ein einziges Bild.
Doch sie wollte unbedingt einen Freund haben, der so war wie sie. Damit sie sich nicht mehr so einsam fühlen musste in diesem verlassenen Schwimmbad - Oder Gefängnis. Das trifft es eher...
Sie brauchte jemanden zum Reden, jemanden der sie beschützen könnte. 
Ob Lagrima ihr den Wunsch erfüllen würde? Sicher war sie sich nicht, ihn einzuschätzen war so eine Sache...
Außerdem fürchtete sie seine unmenschlichen Fähigkeiten...
Also blieb ihr nur noch die Maschine im Keller.

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