(Neu) 41 - Stalker

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"Nein nein, es heißt 'livre'", erklärte Amika lachend, während sie gemeinsam mit Kyu an dem kleinen Bach saß, der für sie, Kyu und Mack ein gemeinsamer Treffpunkt war. "Du musst es anders betonen. Versuchs nochmal."
"Je roule sur un livre", versuchte Kyu den Satz noch einmal auszusprechen, jedoch fürchterlich stockend. "War das besser?"
"Ganz und gar nicht", sie schüttelte, weiterhin lachend, den Kopf. "Lass es einfach sein, französisch zu lernen."
"Ja, okay", stimmte der Junge zu und betrachtete die Wasseroberfläche, die vor ihnen plätscherte. "Ich weiß doch eh nicht, was der Satz heißt."
"'Ich reite auf einem Buch'."
"Das macht ja gar keinen Sinn!"
"Du hast dir den Satz ausgedacht!"
"Stimmt auch wieder...", gab er zu. Wieso ließ er sich auch so etwas dummes einfallen? Auch wenn er mit seinem letzten Versuch ziemlich zufrieden war.

Es war bereits neun Uhr Abends. Die Sonne war untergegangen und über dem Bach vor ihnen flogen die ersten Glühwürmchen, deren Licht sich in der plätschernden Wasseroberfläche spiegelte. Dieser Ort war für die drei bereits ein wundervoller Platz, an welchem sie immer ungestört waren, wenn ihnen danach war. Doch am Abend war dieser Ort wie verzaubert. Es war als hätten sie das Portal in eine andere Welt betreten, eine Welt die nur den drei gehörte. Oder nun eben nur noch den beiden...
Dennoch fühlten sie sich hier sicher nach all den Geschehnissen dieses Tages. Es war als würde die Dunkelheit des Waldes sie von dem Rest isolieren. Als wären sie von all dem, was um sie herum passieren würde, abgekapselt.
"Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin nach so einem Wochenende einfach mal wieder zu entspannen", sagte Amika und stieß einen erleichternden Seufzer aus. Beinahe als steckte in diesem Seufzer all der Frust und der Stress, den sie sich in den letzten Tagen angefressen hatte. "Kaum zu glauben, aber ich freue mich echt darauf, morgen wieder in die Schule zu gehen. Selbst darauf, Collister wiederzusehen..."
"Ich weiß nicht...", Kyu starrte weiterhin in das Wasser als würde es ihm helfen. Normalerweise half ihm das Rauschen und Plätschern des kleinen Bachs dabei, die Seele einfach mal baumeln zu lassen, wenn er zu angespannt war. Allerdings war ihm eher übel. "Es werden viele Fragen aufkommen. Vor allem wegen Stevens und meiner Verletzungen, deiner Schusswunde und warum Mack so... Naja... So anders ist."
"Inwiefern anders?"

"Vandro mag ihn zwar gut genug imitieren können", erklärte der Junge. "Aber ich glaube nicht, dass er seine Persönlichkeit einfach so übernehmen wird."
"Ich weiß auch nicht, wie Steven auf solch eine Idee gekommen ist...", leicht erschöpft von allem ließ sie sich nach hinten fallen, sodass sie nun auf deren Picknick-Decke lag und in die Sterne schauen konnte. "Dein Bruder ist ein echter Idiot..."
Kyu tat es ihr gleich und musste lächeln. "Das kannst du laut sagen."
"Dein Bruder ist ein echter Idiot!", wiederholte sie, nur etwas lauter und lachend, sodass ihr Freund mit einstimmte.
"Du bist doof."
"Du auch", erwiderte sie und rückte etwas näher zu ihm.
Huch?, er konnte förmlich spüren, wie er knallrot im Gesicht anlief als sie sich mit dem Kopf auf seine Schulter legte. Rapide beschleunigte sich sein Herzschlag, und er musste aufpassen, der Öffentlichkeit jetzt kein fettes Grinsen zu präsentieren.
Heute war es bereits komisch genug, dass sie ihm einen Kuss auf die Stirn gab. Und jetzt wollte sie kuscheln? Gut, das letzte war nichts neues... Allerdings war es das erste Mal, seitdem ihm selbst klar war, wie er für sie empfand.
Diesmal war es jedoch etwas anders. Sie zitterte. War ihr einfach nur kalt oder doch eher nervös?
Empfand sie ebenso für ihn?
Du denkst schon wieder zu viel nach, Mann...

"Ich werd' ihn echt vermissen...", flüsterte sie und blickte weiterhin hinauf zu den Sternen, die den Mond umzingelten.
"Ich auch. Es wird echt nicht dasselbe sein", stimmte Kyu zu schloss einen Moment seine Augen. Er konnte Mack noch immer vor sich sehen. Diesen immer so höflichen Jungen, der ihm stets zur Seite stand. Und das gleiche würde Kyu auch für ihn tun... Bei den Gedanken an ihn fühlte er sich nur noch schlecht, dass er nun so für Amika empfand. Dabei wollte er doch nie dazwischenfunken. Wobei... tat er das überhaupt, jetzt wo Mack tot ist? Ich sollte nicht so denken... "Ich wünschte, ich hätte ihn noch einmal sehen können..."
"Irgendwie fühle ich mich noch immer schuldig für seinen Tod...", ihre Stimme begann zu schwanken und ihre Augen schlossen sich ebenfalls langsam. Jedoch nur, weil es ihr gerade schwer fiel, ihre Tränen zurückzuhalten. "Ich hätte ihn nicht zurücklassen sollen mit dem Klon. Ich hätte ihn irgendwie aus dem Krankenhaus bringen sollen."
"Mika, es ist noch immer nicht deine Schuld", fing er an sie zu trösten und schob seinen Arm unter sie, um sie in den Arm nehmen zu können. Auch wenn er selbst der Meinung war, dass sie das Heilmittel lieber hätte Mack geben sollen statt ihm, war er noch immer davon überzeugt, dass sie richtig gehandelt hatte. Womöglich hätte Kyu bei solch einem Druck genauso reagiert. "Joey hat ihn angeschossen. Und es war Macks Idee in das Schwimmbad zu gehen, wenn ich es richtig verstanden habe."

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