| 3 | 𝐊𝐢𝐚𝐧

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Der kalte Regen peitschte mir ins Gesicht und der Laster, der an mir vorbeifuhr, sorgte dafür, dass noch mehr Wasser meine Klamotten durchweichte. Es war eisigkalt und ein Zittern ging durch meinen unterkühlten Körper. Da brachte mir auch meine dunkle Motorradjacke nichts.

Das Haus vor mir schien verlassen. In den Fenstern brannte kein Licht und die Haustür wurde wohl lange nicht mehr geöffnet. Auch die Pflanzen hier waren verdorben und sehnten sich nach dem Regen, der endlich kam.

Dafür, dass wir es Anfang Oktober hatten, war es einfach erstaunlich kalt.

Dylan hatte mir zwar verboten das Grundstück aufzusuchen, doch ich hielt mich nicht an seine Forderung. Mein bester Freund lebte einst hier. Seit zwei Monaten hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Er war von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden und keiner wusste, wo er war. Nur die Gräber seiner Eltern hatten wie gefunden.

Genau deswegen kam ich jede Nacht hierher und sah nach, ob jemand Neues kam oder ob mein langjähriger Herzensbruder vielleicht zurückkehrte. Ich wusste ja noch nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben war.

Ich atmete einmal tief durch und umrundete anschließend das Haus. Lange war ich hier ein und ausgegangen. Ich kannte mich sehr gut aus. Als wäre ich hier aufgewachsen.

Die Terassentür war einfach aufzubrechen. Das wusste ich so genau, weil wir dies mehr als einmal getan hatten. Oft hatten wir den Schlüssel vergessen oder ihn verloren.

Ein Schmunzeln stahl sich auf meine Lippen und müde sah ich mein Spiegelbild im Glas an. Meine blonden Locken hingen mir nass und kraftlos ins Gesicht und meine fast grauen Augen sahen mich ohne Glanz an. Seit dem Verschwinden meines Freundes fehlte mir die Lebensfreude. Auch unsere Gang sackte immer weiter ab.

Noch einmal sah ich mich um, ehe ich die Tür auftrat und zögerlich das Haus betrat. Alte Erinnerungen kamen hoch und nur zu gern wäre ich wieder umgekehrt.

Die Familienfotos schmerzten besonders anzusehen. Auf Manchen war ich ebenfalls drauf. Unser enges Verhältnis war selbst für Außenstehende spürbar. Wir hätten alles füreinander getan.

Lautlos lief ich die Treppe nach oben und öffnete die Tür seines damaligen Zimmers. Hier war lange niemand mehr. Einige Sachen fehlten im Zimmer. Die Möbel standen noch, aber Bilder, private Dinge und Klamotten waren weg. Auch, als ich seinen Schrank öffnete, fand ich nichts. Einzig und allein eine verstaubte CD lag unter dem Bett. Die hatten wir ewig gesucht. Seine Spiele waren ihm eben heilig.

Grinsend steckte ich sie ein und drehte mich einmal im Kreis. Alles sah so verlassen aus, und dennoch fühlte es sich heimisch an. Wenn auch alles der Vergangenheit angehörte.

Angerufen hatte ich ihn oft, doch er hatte eine andere Nummer. Oder ein neues Handy. Alle Versuche ihn zu finden scheiterten. Vor allem, weil ich allein war. Dylan, unser Anführer und Tyler, unser Kumpel waren der Meinung, dass ich ihn nicht länger suchen sollte. Sie meinten, er hätte uns freiwillig den Rücken gekehrt. Nur Neela war auf meiner Seite, nur würde sie auch nichts tun.

Doch die Hoffnung starb zuletzt. Und jetzt, wo ich das Haus gegen den Willen Dylans durchsucht hatte, wurde sie nur bestärkt. Er musste noch am Leben sein!

Mein Weg führte mich wieder nach unten. Es musste doch irgendwo einen Anhaltspunkt geben, wohin er gegangen war. Irgendetwas! Entschlossen sah ich mich um. Auf dem Küchentisch lag nichts. In der Wohnstube war nichts. Und auch im Badezimmer war alles weg.

Seufzend ließ ich mich aufs Sofa fallen. Der große Fernseher vor mir war deutlich größer als mein eigener zu Hause. Er war der ganze stolz meines Kumpels und musste immer für sämtliche Videospiele herhalten.

Mein Kopf sackte nach hinten und ich sah an die Decke. Es war schon stockdunkel und der Regen klatschte nach wie vor gegen das Fenster. Die anderen wussten nicht wo ich war und das sollte auch so bleiben. Im Moment hatten wir kein gutes Verhältnis zueinander. Mein Freund war der zweite Anführer und sein Gehen hatte alle aufgewühlt.

Tyler hatte seinen Platz sofort übernommen. Aber je länger unser Herzensbruder weg war, desto größer wurde sein Hass auf ihn und unsere Freundschaft zerbrach.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Tyler urteilte zu schnell. Er wusste gar nicht was passiert war und dennoch machte er sich vorschnell ein Bild. Sein Misstrauen, welches er schon immer hatte und wohl auch immer haben würde, war ziemlich groß und stand ihm oft im Weg. Vertrauen kannte er nicht.

Ich wollte gerade aufstehen und mir eingestehen, dass meine Suche erfolglos war, da fiel mein Blick auf ein Bild über dem Fernseher.

Neugierig lief ich darauf zu und sah mir die beiden auf dem Foto an. Der eine war mein Freund, nur deutlich jünger. Den anderen kannte ich nicht. Er sah seinem Vater sehr ähnlich. Nur hatte ich ihn nie gesehen und auch die Polizeiuniform ließ vermuten, dass er nicht von hier war.

Allerdings erlangte der schwarzweiße Orca meine Aufmerksamkeit. Der Schwertwahl, der aus dem Wasser sprang und die Aufschrift im Hintergrund, ließ mein Herz vor Aufregung beinahe schneller schlagen.

Sea World in San Diego!

San Diego. Lebte dort nicht sein Onkel, von dem er mir mal erzählt hatte? Motiviert sprang ich auf und holte mein Handy heraus. Das war ja ganz schön weit weg! Einmal durchs ganze Land. New York war ja am anderen Ende der Karte.

Dennoch hatte ich einen Anhaltspunkt!

Mein Weg führte mich nach draußen. Vielleicht war er ja zu seinem Onkel gezogen? Die Möglichkeit bestand auf jeden Fall. Ein Versuch war es wert. Ich würde für ein Wiedersehen und ein paar Antworten vermutlich alles tun.

Die Terassentür machte ich so gut es ging wieder zu und eilte zu meiner gelben 1000er BMW RR. Sie war bereits klitschnass und als ich mich auf sie setzte und den Helm aufsetze wurde mir schlagartig wieder kälter. Dabei war es in dem unbeheizten Haus auch nicht gerade warm.

Den Motor startete ich eilig und reihte mich dann in den Verkehr ein. Kalifornien war eine echte Zumutung. Vor allem allein. Doch das würde mich nicht davon abhalten. Ich würde meinen Freund wiedersehen. Zwar hatte ich weder eine Adresse noch eine Telefonnummer, von einer Garantie, dass er da war ganz zu schweigen, doch ich wollte es wenigstens versuchen.

Auch, wenn ich dafür meine Gang im Stich lassen musste, weil ich mich mitten in der Nacht davonstahl. Ich würde Miles finden, egal wie lang es dauerte!

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now