| 16 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Das Hochgefühl des Rennens und des Sieges klang allmählich ab und das Zittern meiner Arme erinnerte mich daran, dass Motorradfahren sich irgendwann auch bemerkbar machte. Langsam schaltetet ich die Gänge nacheinander runter und trudelte im vierten Gang neben Jackson her, der leichte Schlängellinien fuhr. Freute er sich etwa? Er hatte das Rennen doch gar nicht gewonnen? Grinsend schüttelte ich den Kopf.

Am Straßenrand hielt er seine neue Ducati schließlich an und setzte seinen Helm ab. Ich tat es ihm gleich, schaltete meine R6 aus und strich meine braunen Haare zurück.

„Ha! Du Null, damit hast du wohl nicht gerechnet!", jubelte Jackson und stützte seine Arme dabei divenhaft in die Hüften.

Moment was?!

Irritiert runzelte ich die Stirn. „Du hast doch gar nicht gewonnen?! Das war ja wohl eindeutig", protestierte ich.

„Red dir das nur weiter ein! Du willst mir nur meinen ersten Sieg dir gegenüber nicht gönnen." Freudig und mit etwas Schalk im Blick sah er mich an. Das Feuer welches in seinen graugrünen Augen loderte ließ mich für einen Moment fasziniert innehalten. Es tat gut ihn so voller Leben zu sehen. Aber nicht, wenn der Grund dafür, ein nicht vorhandener Sieg war!

Belustigt stieß ich die Luft laut aus. „Ich meins ernst, Jacks. Du hast nicht gewonnen!" Beleidigt fügte ich noch ein, „Und das hat auch nichts mit gönnen zu tun", hintendran.

Die überschwängliche Freude verschwand. „Moment, du meinst das ernst?", wollte er wissen und beinahe hätte ich alles zurückgenommen. Doch stattdessen nickte ich nur. „Aber ich war mir ziemlich sicher, dass... Wenn du mich verunsichern willst, dann hör jetzt auf damit!", fauchte er mich halb verzweifelt halb ernst an und verzog missbilligend die Augen zu schlitzen.

„Du bist nicht vor mir ins Ziel gefahren", erklärte ich nur und zuckte mit den Schultern.

„Hm." Für einen Moment wandte er den Blick ab. „Das muss aber auch nicht zwingend heißen, dass du gewonnen hast."

Plötzlich nervös riss ich die Augen auf. Konnte es sein, dass...

„Wir sollten es einfach überprüfen", unterbrach Jackson meine Gedankengänge. „Da!" Grinsend deutete Jackson auf eine Tankstelle auf der anderen Straßenseite. „Die sind doch Videoüberwacht, nicht? Dann hätten wir Klarheit."

Unwillig verschränkte ich meine Arme vor der Brust. „Theoretisch ist es doch eindeutig, dass du nicht gegen mich gewinnen kannst."

„Eindeutig zweideutig", trällerte der Schwarzhaarige nur. „Du willst das Ergebnis nur nicht wissen, weil du Schiss hast, gibt's zu!"

„Und wenn schon, willst du den Besitzer um das Video erpressen?"

Der Alpha zog nur die Augenbrauen hoch. „Wäre nicht da erste Mal." Ungläubig sah ich ihn an. Sein Ernst? „Gib mir nur etwas Zeit und ich hab das Video", versicherte er.

„Wenn's sein muss." Genervt trommelte ich mit meinen Fingern auf dem blauen Tank herum. „Aber das will ich gefälligst sehen, sonst kannst du mir ja sonst was erzählen. Und Matt soll da ja nichts dran rumschneiden!", forderte ich. Der halbe Mechaniker konnte mit einem Computer beinahe alles und bei seiner Ehre verstand Jackson keinen Spaß.

„Na sicher doch", entgegnete dieser amüsiert. Sein Blick glitt aufs Display und dann wieder zu mir. „Aber ich glaub für heute Nacht trennen sich unsere Wege fürs Erste."

Wie als Bestätigung gähnte ich. „Vielleicht besser so. Gute Restnacht."

„Danke, dir auch", erwiderte er und fuhr auch schon los.

Ich hingegen saß noch etwas ratlos auf meinem Motorrad herum und starrte den vielen Autos hinterher, die an mir vorbeizogen. Das Gehetze des Alltags hatte mich schon immer genervt und beinahe stolz dachte ich daran zurück, wie ich es geschafft hatte dem zu entfliehen. Doch jetzt musste ich mir eingestehen, dass meine Situation nicht um Welten besser war. Gefühlt innerhalb eines Wimpernschlags hatte sich mein Leben auf eine gefährliche Bahn verschoben, die ich einerseits liebte, aber auch fürchtete. Eine gute Balance war wichtig. Die Frage war nur, ob ich die hatte?

Meine Bedenken schluckte ich für gewöhnlich immer hinunter. So auch jetzt.

Den ersten Gang schlug ich ein, nachdem der Motor an war, und reihte mich wieder in den Verkehr ein. Mein Rennen hatte ich diese Nacht ja trotzdem noch bekommen, auch wenn ich es mir anders vorgestellt hatte. Mit Jackson hatte ich allerdings das Gefühl, dass es mitreißender war als sonst.

Unter meinem Helm entwich mir ein Lachen. Das war doch alles surreal. Unser erstes Aufeinandertreffen und unser Bindung jetzt. Kaum zu glauben.

Bei Ryans und meiner Wohnung angekommen lief ich schnell die Treppen nach oben. Den Fahrstuhl würde ich auch in unserer neuen Wohnung meiden, da war ich mir sicher. Mit den unnötig vielen Treppenstufen blieb ich wenigstens fit. Dass Matt noch da war, wusste ich schon bevor ich die Tür öffnete. Seine KTM stand noch unten neben Ryans Kawa.

„Ich bin wieder da!", rief ich rücksichtslos, da ich keinen der Beiden ein Schläfchen zutraute.

„Toll! Ist noch alles dran?", kam es von meinem geliebten Mitbewohner zurück.

Mein Blick ging nach unten und demonstrativ streckte ich abwechselnd alle Beine und Arme von mir und betrachtete sie eingehend. „Denk schon."

„Du denkst?"

„Joa." Grinsend betrat ich nun vollkommen den Wohnbereich. Auf dem Boden und dem Tisch lagen sämtliche Umzugspapiere und bei der Menge Alkohol, die sich in Form von Icehouse Flaschen dazwischen tummelten, hatte ich echt Sorge, dass die beiden etwas Produktives gemacht hatten. „Seid ja weit gekommen."

„Ey!", lallte Matt leicht, der neben seinem Sandkastenfreund auf dem Sofa hing. „Wir sind fertig geworden und nicht mal betrunken."

Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. „Schön, dass du das extra mit erwähnen musst." Zögerlich bahnte ich mir einen Weg durchs Wohnzimmer. „Ich nehm mal an, dass du mit hier übernachten wirst?" Matt nickte. „Dann kannst du dich ja mit zu Ryan kuscheln. Ich bin nämlich tot müde und will einfach nur noch schlafen."

„Klar, kein Problem", entgegnete der Braunhaarige unerwartet nüchtern und half Ryan hoch. Dieser torkelte zu meiner Überraschung leicht und zusammen verzogen sie sich in Ryans Zimmer. Ich hingegen warf die alten Bierflaschen weg. Für einen Moment war ich selbst versucht etwas davon zu trinken. Doch spätestens als ich es wagte daran zu riechen, kam mir die Galle hoch und entschlossen kippte ich den Rest weg. Mir egal wie teuer das war!

In meinem Bett, oder Sofa, verschränkte ich die Arme hinter dem Kopf und schloss meine Augen. Zuckte allerdings stark zusammen als ein Paar grauer Augen vor meinem inneren Auge auftauchte und mich damit daran erinnerte, dass Matt und Ryans Freundschaft in mir eine gewisse Sehnsucht entfachten.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now