| 9 | 𝐊𝐢𝐚𝐧

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Meine Finger verkrampften bereits und immer wieder huschte mein panischer Blick auf die Tankanzeige. Nicht mehr lange und ich würde einfach auf der Straße liegenbleiben. Das war mir schon kurz vor Amarillo passiert. Ich hatte zu dem Zeitpunkt beinahe zwei Drittel der Strecke geschafft und dann das.

Der Tank war leer und ich am verzweifeln.

Mit sowas hatte ich zwar schon gerechnet und es lag auch nicht am Geld, aber irgendwie kam immer eine andere Sache dazwischen und da ich unmöglich durchfahren konnte, musste ich oft für Unterkunft und Versorgung unterwegs zahlen. Die Mautgebühren noch nicht mal eingerechnet.

Da ich nichts riskieren wollte und meine gelbe BMW, die in der grellen Sonne des trockenen Arizonas Areals golden leuchtete, dringend getankt werden musste, hielt ich bei der nächsten Gelegenheit an.

Dateland. Hatte ich zuvor noch nie gehört und dennoch war ich hier.

Eine kleine, sogar sehr edel aussehende Raststädte am Straßenrand, die die typische Atmosphäre Arizonas hatte. Dateland Travel Center. Um mich herum Wüstenlandschaft, wenige Autos, Stille und fast keine Menschenseele. Bäume, die auf die Trockenheit angepasst waren und sandiger Untergrund. Ein krasser Kontrast zu den ganzen Großstädten die ich durchquert hatte wie etwa Albuquerque oder St. Louis.

Ohne groß darüber nachzudenken fuhr ich an den Straßenrand und hielt an. Endlich, eine Tankstelle mit Raststätte! Die Gebäude weiter weg sahen mehr aus wie eine Touristenattraktion, aber das interessierte mich äußerst wenig.

Die Palmen an dem kleinen Parkplatz verschönerten den Anblick und mit einem viel besseren Gefühl, tankte ich erst komplett voll und stellte dann meine Maschine ab. Möglichst nahe am Gebäude, dennoch konnte ich es nicht vermeiden, dass sie der Sonne schutzlos ausgeliefert war. Auch mir war unglaublich heiß und dementsprechend atmete ich wohlig auf als ich endlich im kühlen Gebäude war.

Die Tür hinter mir fiel zu und der Angestellte an der Theke oder so ähnlich sah kurz desinteressiert nach oben ehe er wieder auf seinem Handy tippte. Er hatte dunklere Haare und ein kurzer Bart passte perfekt zu seinen buschigen Augenbrauen.

Den Entschluss bereits gefasst etwas länger hier zu bleiben und Kraft zu tanken war bereits getroffen und so bezahlte ich mit deutlich besserer Laune. Anschließend sah ich mich in dem kleinen Laden etwas um. Alles recht besucherfreundlich eingerichtet und unerwartet sauber. Nicht, dass ich irgendwelche Vorurteile hatte, aber in einer Wüste dachte man an anderes.

„Willst de was trinken?", wollte der zuvor noch desinteressierte Mann wissen.

Verwirrt über den Stimmungswechsel verzog ich das Gesicht etwas. „Ähm klar, was gibt's denn?"

„Hast freie Wahl", grinste er und machte eine ausführliche, präsentierende Handbewegung des Regals in seinem Rücken entlang. Meine Augen schweiften automatisch mit und am Ende entschied ich mich für ne einfache Wasserflasche. Ich nahm lieber gleich mehr für die Weiterfahrt mit. Den komischen Blick des Mannes als ich die Flaschen einpackte und ihm das Geld gab, ignorierte ich. Wahrscheinlich bestellte man hier eher andere Dinge.

„Gehört die da draußen dir?", fragte er fast schon leise nach und wenn ich mich nicht täuschte, meinte ich einen peinlichen Unterton in seiner Stimme zu hören. Irritiert folgte ich seinem Blick und sah durch die großen, leicht getönten Scheiben nach draußen zu meinem Motorrad, welches noch immer von der Sonne stark geröstet wurde.

Unweigerlich musste ich schmunzeln. „Ja."

„Schönes Teil", lächelte er. Die Stimmung schien sofort besser. Er verschränkte die Arme vor sich auf der Ablage und fuhr mit kratziger Stimme fort, „Ich hatte auch mal eins. Ne schwarze Crusier. Das waren noch Zeiten", lachte er. „Aber die sportlichen Bikes die jetzt alle fahren sind nichts für mich, viel zu unbequem."

„Ja, das ist Geschmackssache. Man gewöhnt sich dran", verteidigte ich meine Maschine und lächelte verträumt.

Der ältere Mann vor mir richtete sich wieder etwas auf. „Schön siehts definitiv aus. Es kommen aber nicht oft solche Supersportler vorbei. Die fahren wohl lieber woanders."

„Obwohl die Strecke eigentlich ganz schön ist", murmelte ich.

Der Fremde zuckte mit den Schultern. „Hm. Bin übrigens Andrik."

„Kian", entgegnete ich und schlug bei seiner hingehaltenen Hand ein. War doch nicht so unfreundlich wie er anfangs wirkte. Manchmal musste man eben genauer hinsehen. Ich und wahrscheinlich auch viele andere urteilten zu schnell. Das war mir schon oft aufgefallen und jetzt wurde es mir wieder bewiesen.

„Was führt dich hier her, so ganz allein? Urlaub wohl kaum, hm?", lachte er kehlig und sah mich interessiert an.

Unschlüssig wie viel ich verraten sollte, hielt ich einen Moment inne, ehe ich entgegnete, „Ich suche einen Freund." Ich seufzte unbeabsichtigt. „Wir haben uns schon lange nicht gesehen. Ich weiß nicht genau, was mit ihm passiert ist oder wo er im Moment ist, aber ich werde ihn finden." Keine Ahnung, warum ich auf einmal auspackte. Zulange war ich allein und brauchte offensichtlich jemanden zum reden. Und Andrik hörte mir aufmerksam zu.

„Dann wünsche ich mal viel Glück, Kleiner. Ich wünschte die Jugend würde heutzutage mehr in ihre Freundschaften investieren."

„Hm." Gedankenverloren sah ich an die Wand hinter ihm. Wenn ich Miles nicht finden würde hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte. Mein Handy hatte ich schon lange ausgeschalten. Dylan, Neela und auch Tyler hatten mehrfach versucht mich zu erreichen und doch wollte ich nicht mit ihnen sprechen. Und jetzt waren sie mit Sicherheit, oder zumindest Dylan, stinksauer auf mich.

Andrik vor mir hatte wieder einen Blick auf sein Handy gewagt, da das Display aufleuchtete, als ich von weiter weg Motorengeräusche vernahm. Nicht allzu tief. Eher aggressiver. Rennmaschinen.

Auch Andrik vor mir sah hoch und als wir wenig später nach draußen sahen, hielt auf dem Parkplatz eine weitere Supersportler. Vom Klang her definitiv eine große, mindestens wie meine. Bestimmt ne tausender. Der Fahrer stieg ab und fuhr sich kurz nach der Helmabnahme durch die Haare. Doch mein Blick blieb weiterhin auf dem Motorrad. Suzuki. In hellblau.

„Scheint so als wärst du doch nicht allein", meinte Andrik hinter mir.

Ich nickte mechanisch, „Scheint so. Wie auch immer, bis irgendwann mal, Andrik. Vielleicht sieht man sich nochmal", und machte mich wieder auf nach draußen.

„Ja, und viel Glück bei deiner Suche!", rief er mir hinterher und dankbar grinste ich ihn nochmal an, ehe ich die Tür aufstieß.

Der andere Fahrer kam mir zielstrebig entgegen und entrüstet ging ich einen Schritt zur Seite. Himmel, da hatte aber jemand keine Manieren! Genervt sah ich dem Weißhaarigen hinterher, der hier so gar nicht ins Bild passte und lief wieder hinaus auf den Parkplatz zu meiner BMW. Ich war meinem Ziel näher denn je. Nicht mehr lange bis San Diego. Vielleicht etwas mehr als 200 Meilen. Und die würde ich auch noch schaffen.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now