| 18 | 𝐀𝐥𝐞𝐜

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Conner meinte immer, dass der Schmerz die tatsächliche Wichtigkeit einer Person oder eines Gegenstandes zeigte. Vorher könnte man nie genau sagen, welchen Stellenwert im Leben diese Sache hatte. Oder diese Person. Im Stillen hatte ich ihm immer recht gegeben, näher damit beschäftigt hatte ich mich jedoch nie. Aber seid einiger Zeit wurde ich daran immer wieder erinnert.

Der Verlust meines großen Bruders war eine Sache, die ich nicht einfach wegstecken konnte.

Nicht einmal die Trennung von meinem Elternhaus schmerzte so. Oder der Schulabbruch. Auch die vermeidlich schwierige Lage der Hydra im Moment ging mir nicht so nahe. Und dabei war unser Verhältnis vor seinem Tod ziemlich angeknackst. Die Gangs hatten uns unweigerlich entzweit. Wir hatten unterschiedliche Wege gewählt. Den anderen dadurch aus den Augen verloren.

Aber trotz allem... Er fehlte mir. So sehr, dass ich schon glaubte, unseren Streit damals hätte es nie gegeben.

Jeden Tag dachte ich an ihn. Jede Nacht. Immer. Aber er kam nicht zurück. Egal, wie sehr ich ihn vermisste oder mir wieder herbeiwünschte. Er war weg. Und das auf ewig. Die erste Woche nach seinem Tod, die ich im Krankenhaus verbrachte, war die reinste Folter. Ich war körperlich und psychisch am Ende. Fühlte mich allein. Verlassen.

Das Schlimmste war jedoch, dass ich Schuld an seinem Tod hatte. Wäre ich nicht gewesen, wäre er noch hier. Hier, bei mir.

Meine Schuldgefühle zerfraßen mich. Quälten mich. Meinen Eltern konnte ich das alles nicht erklären. Sie wussten nicht von den Gangs, von Conners Arbeit, von unserem Verhältnis zueinander und auch nichts von Zayn. Für sie war Conners aufgrund eines Attentats gestorben und war wohl einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber ich wusste es besser. Er war für etwas Größeres gestorben.

Die Tatsache, dass ich mich nicht einmal richtig von ihm verabschieden konnte, machte die Sache nicht gerade besser.

Seine Leiche wurde nie gefunden. Die Polizei konnte aber auch nichts genaueres erklären. Meine Eltern nahmen die offizielle Erklärung einfach so hin. Ein Brand im Plaza hatte womöglich Beweise und Leichen vernichtet. Oder aber Zayns Männer hatten sie mitgenommen, um ihre Haut zu retten. Wer wusste das schon. Die kleine Hoffnung, dass Conner irgendwo da draußen doch noch am Leben war, hatte ich längst aufgegeben.

Für mich war er an dem Tag gestorben. Auch wenn ich nie seine Leiche gesehen hatte. Ich hatte ihn sterbend zurückgelassen und eben diese Tat verfolgte mich jede Nacht in meinen Träumen.

„Alles klar, Alec?"

Aus meinen Gedanken gerissen, sah ich überrascht auf. Damiens dunkle Augen strahlten mir besorgt entgegen und als ich nicht antwortete, stellte er die beiden Kartons vor sich auf dem Boden ab.

„Wenn mit deiner Verletzung etwas ist, können wir auch wieder gehen", schlug er vor und sofort schüttelte ich entrüstete den Kopf.

„Mir gehts gut, war nur in Gedanken."

Seit Damien von meinem Krankenhausaufenthalt erfahren hatte, benahm er sich wie eine über fürsorgliche Henne. Ständig hatte er Angst um mich. Angst, dass meine Verletzung wieder Probleme bereitete oder, dass irgendwas anderes nicht stimmte. Und es nervte langsam!

Allerdings hatte er, außer mir, keine Bezugsperson mehr. Und war dementsprechend anhänglich.

Natürlich hatte er gewissermaßen auch recht. Der Arzt hatte mich nur entlassen unter der Bedingung, mich zu schonen. Die Heilung war gut vorangeschritten und ich konnte schon nach überraschend kurzer Zeit ohne Krücken gehen. Damit das auch so blieb, durfte ich mich nicht überanstrengen.

Vielleicht einer der Gründe, warum ich bei dem Umzug nur Kartons beschriftete.

„Habt ihr noch irgendwas mit Kohlensäure da?", rief Ryan aus der ehemaligen Küche.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now