| 49 | 𝐉𝐚𝐜𝐤𝐬𝐨𝐧

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Das mulmige Gefühl wurde mit jedem Schritt stärker. Mit Matt stimmte irgendetwas nicht und genau das galt es herauszufinden. Doch aus einem mir unerklärlichen Grund wollte ich dem Gespräch entgehen. Es wirkte wie ein böser Vorbote.

„Hey", meinte ich und fühlte mich so unsicher wie lange nicht mehr.

Matt vermied es mir in die Augen zu sehen. „Hey, wir... können wir reden?" Sein Blick schwenkte zu einem Punkt hinter mir. „Allein?"

Wissend, dass meine Mutter noch immer im Garten stand und uns wahrscheinlich beobachtete, nickte ich und deute zum Haus. „Klar, komm mit."

Zögerlich betrat ich den Wintergarten und durchquerte das Wohnzimmer und die riesigen Flure. Meine Eltern legten schon seit ich denken konnte Wert auf Luxus und ein präsentables Aussehen. Doch irgendwie wirkte die Villa kalt und leer. Sie war einfach zu groß für ein Ehepaar, welches gefühlt nie zuhause war, und ihre Angestellten. Doch jetzt wurde es zu unserem Vorteil, denn die weitläufige Terrasse auf der anderen Seite bot genügend Platz, damit man sich ungestört unterhalten konnte.

Schweigend legte ich meine Arme auf die Steinmauer, die die Terrasse mit den ganzen kunstvollen Springbrunnen und Skulpturen meiner Mutter umrahmte.

„Du siehst nicht gut aus, Jacks", sagte Matt irgendwann und stellte sich dicht neben mich. Nah genug, um unser starkes Band erkennen zu lassen, aber zu weit weg, als dass ich mir sicher sein konnte, das alles in Ordnung war. Er wirkte distanziert und irgendwie auch schuldbewusst.

Müde senkte ich den Kopf. „Ich hab auch nicht sonderlich gut geschlafen", gestand ich.

„Sieht man." Er stieß die Luft aus, knetete seine Hände und sah dann wieder hinaus in die Ferne. „Aber das meine ich nicht."

Sauer verzog ich das Gesicht und sah ihn an. „Komm du jetzt nicht auch noch damit!"

„Womit?"

„Damit, dass ich einen Therapeuten brauche, um wieder in die Spur zu kommen! Mir geht's gut, ihr übertreibt alle." Wegen einer schlechten Nacht dachten gleich alle das Schlimmste.

Matts Ausdruck wurde immer mitleidiger. „Ich habe nie gesagt, dass du dir Hilfe oder so suchen solltest. Nur... die letzten Zeiten waren sehr schwer und mir und Ryan geht es auch nicht gut, deswegen dachte ich, dass..." Der Braunhaarige brach ab. Senkte betreten den Blick, schien keine Worte zu finden.

Einen Moment lang wartete ich darauf, dass er weitersprach, doch es kam nichts. Ungeduldig klatschte ich auf den Stein. Ich ahnte nichts Gutes. „Matt, sag einfach was los ist!"

Gequält fuhr er sich durch die Haare und verzog das Gesicht zu einer leidenden Miene. „Wir können so nicht weitermachen."

„Was meinst du damit?"

Sein Blick fand den meinen und mein Herz stockte. „Die Zeiten haben sich geändert und wir..." Er schüttelte den Kopf. „Wir halten an alten Dingen fest, stattdessen sollten wir uns neue Ziele suchen und wieder anfangen zu leben."

„Aber das tun wir doch!" Verständnislos warf ich die Hände die Luft. „Wir haben uns weitestgehend erholt, halten zusammen und finanziell kommen wir auch wieder hoch, du wirst schon sehen! Und ihr habt doch gerade erst eine neue Wohnung bezogen, es läuft doch alles gut!"

Doch Matt war entschieden. „Eben nicht! Es läuft nicht alles gut! Wir stehen kurz davor wieder einen Krieg anzuzetteln. Und das in unserer Lage!" Seine Stimme wurde ruhiger. „Jackson, wir halten krampfhaft an etwas fest, was es schon lange nicht mehr gibt und es zieht uns mit runter. Wir müssen loslassen! Etwas neues wagen." Flehend sah er mich an. „Wir müssen der Realität ins Auge sehen. Die Hydra gibt es nicht mehr und wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir weiterhin so tun als ob!"

Geplättet klappte mir der Mund auf. Innerlich wusste ich, dass der Tag irgendwann kommen würde. Aber doch nicht jetzt!

„Sieh mal", versuchte Matt mich weiter zu überzeugen. „Nero, er hat das alles mit aufgebaut und-"

„Das ist doch was völlig anderes!"

„Lass mich ausreden!", unterbrach er mich. „Nero ist nicht mehr da. Fast niemand ist mehr da! Damien gehört eigentlich gar nicht zu uns, Alec ist nicht mal ansatzweise wie früher und Ryan und ich... wir können nicht mehr. Wir leben wie in einer Luftblase, dabei gibt es hier nichts mehr zu holen. Der Weg, den wir gehen... der endet in einer Sackgasse."

Wehleidig wandte ich den Blick ab. „Was willst du dann? Dir einen Job suchen? Ein normales Leben?"

„Vielleicht. Ich will auf etwas hinarbeiten, mich wieder lebendig fühlen. Glücklich sein. Nicht eine alte Ruine aufbauen. Und das kann ich als Mitglied einer toten Gang nicht." Zaghaft legte er mir eine Hand auf die Schulter. „Auch du zerbrichst hier dran, du brauchst Ruhe, Prinzipien, ein Leben. Es wäre für alle das Beste." Ich wollte ihn unterbrechen, doch er war schneller. „Selbst Miles zieht es woanders hin."

Nun verstand ich die Welt nicht mehr. Mir ging das alles zu schnell.

Mitfühlend sah Matt wieder in die Ferne. Kam dabei aber näher zu mir, ließ mich die Wärme eines alten Freundes spüren. „Hast du nicht bemerkt, dass er immer öfter weg ist? Er war auch diese Nacht nicht zuhause", erklärte er. „Ich weiß nicht, wo er ist. Ob er eine Freundin hat oder was auch immer er macht, aber er hat sich verändert. Hat Geheimnisse. Und das ist nur ein Anzeichen von vielen dafür, dass wir einen Punkt erreicht haben... an dem es in eine andere Richtung geht."

Ich sagte dazu nichts. Mein Herz schmerzte zu sehr und mein Hals schnürte sich zu.

„Je länger wir uns dieser Veränderung verweigern, desto schmerzhafter wird es. Die Hydra ist an dem Abend des Angriffs von Zayn gestorben. Zusammen mit den Serpens, machen wir uns doch nichts vor."

Nachdenklich schluckte ich den Kloß runter. Ich würde alles dafür geben die alten Zeiten zurückzubekommen, die Hydra... Nero. Doch es war zu spät. Die Weichen waren schon lange gestellt, ich konnte noch so sehr dagegen ankämpfen, es wäre sinnlos. Das musste ich mir eingestehen. Und tief in meinem Herzen wusste ich, dass Zayn damals mehr zerstört hatte als ich bereit war zuzugeben. Denn ich hatte nichts anderes. Die Hydra war meine Familie.

„Dann ist es jetzt vorbei? Einfach so?"

Matt drückte sich seitlich an mich. „Die Entscheidung haben nicht wir getroffen, Jacks. Zayn hat das erreicht was er wollte und die Welt ist nicht mehr die gleiche wie damals. Es musste so kommen. Denn letztlich...", seine Stimme klang erstickt und schwer. „Nichts hält für immer."

Ich nickte. Das war nicht real. Nur ein Traum. Meine Sinne schienen wie betäubt. Ich wollte es nicht wahrhaben.

„Ich habe hier noch etwas für dich", meinte er nach langer Zeit der Stille und zog seinen Rucksack von den Schultern. „Ich habe sie gestern in unserer Halle gefunden. Ist wahrscheinlich damals bei der Party verschwunden und jetzt wieder aufgetaucht." Mit zerknautschtem Ausdruck hielt er mir eine Jacke hin.
Neros Jacke.

Mit Tränen in den Augen nahm ich sie und drehte sie einige Male. Das Teil war uralt und roch noch immer leicht nach Rauch von seinen Zigaretten. Ich musste unweigerlich lächeln, während ich die Tränen nicht mehr stoppen konnte. Ich spürte Matts Umarmung nicht, hörte seinen abgehakten Atem nicht, hatte nur Aufmerksamkeit für die ganzen Erinnerungen, die mich zu erdrücken schienen.

Mit Nero war auch die Hydra für immer ein Teil der Vergangenheit. Seine Verbannung war der Beginn des Auseinanderbrechens. Und das Ende einer Zeit, in der ich noch gelebt hatte.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now