| 22 | 𝐊𝐢𝐚𝐧

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Ich hörte nur die leisen Atemzüge neben mir. Miles war schon vor über einer Stunde eingeschlafen, doch ich fand einfach keine Ruhe. Mein Kopf schmerzte bereits und egal wie lange ich die Augen schloss, ich konnte nicht einschlafen. Dabei war ich unglaublich müde.

Aber heute Nacht war auch sehr viel passiert.

Ich mein... Ich hatte Miles wiedergefunden! Nach so langer Zeit. Ich musste nicht einmal das Risiko eingehen, einen Cop zu stalken oder gar zu entführen, um ihn nach Miles zu befragen. Mein bester Freund war einfach an mir vorbeigefahren. Wie ein kleiner, blauer Blitz! Als wäre es Schicksal, dass wir uns fanden. Mein Herzschlag beschleunigte sich als der Gedanke endlich sackte.

Ich hatte meinen besten Freund wieder. Meinen Bruder. Meinen best Buddy aus Kindertagen.

Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Ein leichtes Gefühl überkam mich, kroch von meiner Brust aus durch meinen ganzen Körper und die Freude, die ich plötzlich empfand, sorgte für einen unerwarteten Energieschub. Einschlafen konnte ich jetzt vergessen. Zu stark waren die Gefühle, die mich überkamen.

Beinahe ganz Amerika hatte ich mit meiner geliebte BMW durchquert. Und jetzt hatte die Reise ein Ende.

Das hoffte ich zumindest. Denn auch, wenn ich Miles nun gefunden hatte, so stand noch lange nicht fest, ob er mir auch zurück folgen würde. Würde er wieder mit nach New York kommen? In unsere Heimat? Oder wollte er lieber hier in San Diego bleiben, seine Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben starten? Schließlich hatte er Freunde hier, hatte sich etwas aufgebaut.

Seufzend schloss ich kurz die Augen. Darüber hatte ich mir bislang noch gar keinen Kopf gemacht.

Ich war immer davon ausgegangen, dass ich ihn nur finden musste. Dabei hatte er jederzeit die Möglichkeit mich anzurufen oder einfach wieder zurückzukommen. Nie hatte er etwas dergleichen getan, wieso sollte er jetzt alles stehen und liegen lassen? Und was war mit unserer Gang? Wollte er mit uns nichts mehr  zu tun haben? Was war mit mir? Würde ich für ihn hierbleiben?

Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Zu viele Fragen! Das sollte ich lieber alles mit ihm in Ruhe bereden.

Ein leises Vibrieren ließ mich zusammenzucken und nervös sah ich in die Dunkelheit des Zimmers. Dann ging mein Blick zum Nachttisch und meinem Handy darauf. Ein Anruf. Von Neela. Seitdem ich online war und die Nachrichten gelesen hatte, hatte sie mehrfach versucht mich zu erreichen. Bisher erfolglos. Ich hatte jeden ignoriert. Gut... außer ihr hatte sich niemand gemeldet. Sie machte sich sicher Sorgen.

Zögernd biss ich mir auf die Unterlippe. Ich hatte mit niemanden sprechen wollen, da ich nicht wollte, dass sie mich von meinem Vorhaben abbringen konnten. Doch jetzt war es anders. Ich hatte Miles gefunden. Meine Mission war erfolgreich.

Also nahm ich ab.

„Heyy", flüsterte ich langgezogen, da Miles noch schlief, und stand im selben Moment auf. Verkroch mich im Badezimmer.

Ein Schrei am anderen Ende der Leitung ließ mich das Handy weghalten. „Ach du heilige Scheiße, seit wann gehst du ans Telefon?!" Ich konnte nicht genau sagen, ob sie erfreut oder sauer war, aber sie schrie erneut. „Gott, Löckchen, du hast ja keine Ahnung! Was machst du bitte?!"

„Neela-"

„Und wieso meldest du dich erst jetzt?! Was ist passiert? Wo bist du und-"

„Neela!", unterbrach ich sie genervt und presste sofort meine Lippen zusammen. Miles sollte nicht wach werden.

Sie stieß die Luft laut aus. Schluckte ihren Ärger hinunter und einen Moment später erkannte ich nur noch pure Erleichterung in ihrer Stimme. „Himmel, bin ich erleichtert! Weißt du eigentlich, welche Sorgen ich mir gemacht hab?!"

„Du hast dir Sorgen gemacht?"

Laut lachte sie. „Hätte auch nicht gedacht, dass das möglich ist, aber ja... ich hab mir Sorgen gemacht. Wir alle."

Ich schwieg. Niemals hatten sich alle Sorgen um mich gemacht. Meine Stellung in der Gang war nicht immer die Beste. Zwar wurde ich größtenteils respektiert, hatte auch nichts zu befürchten, aber trotz meiner langen Mitgliedschaft war ich nie sonderlich aufgestiegen. Hatte mich immer hinter Miles versteckt. Seit seinem Verschwinden hatte ich es dementsprechend schwer. Zumal Tyler mich von sich stieß. Nur Neela hielt zu mir.

„Bist du noch da?"

Ich nickte träge und sah in den kleinen Spiegel. „Ja... ich bin noch da."

„Ich meine es ernst, wir vermissen dich. Du warst von einem Tag auf den anderen einfach weg. Hast keine Nachricht hinterlassen. Nichts! Dir hätte sonst was passiert sein können, wir-"

„Jetzt tu doch nicht so", wütend atmete ich einmal tief durch. Neela hatte meinen Frust nicht verdient. „Dylan wäre es doch ganz recht, wenn ich gar nicht erst wiederkommen würde. Er war sicherlich stinksauer", murmelte ich. Meine graue Augen blitzten im Spiegel ängstlich auf. Unser Anführer schreckte vor Gewalt nicht zurück. Auch uns gegenüber nicht.

Kurz war es still. Dann meinte sie unerwartet sanft, „Du kennst ihn. Er kann seine Gefühle nicht gut zeigen-"

„Hat er überhaupt welche?"

Sie lachte. „Da könnte man manchmal dran zweifeln, ja. Aber er hat welche, auch wenn sie gut versteckt sind. Ich muss es ja wissen." Für einen Moment hielt sie inne. Dann kicherte sie los. „Gott, ich hör mich heute so vernünftig an."

„Ich wollte schon fragen, ob du was genommen hast."

„Nicht frech werden!", knurrte sie ohne Ernst in der Stimme. „Aber du hast recht... Er war sehr sauer. Hätte dich am liebsten rausgeschmissen."

Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Was du scheinbar verhindert hast."

„Na klar. Aber jetzt mal was anderes." Ihre Stimme wurde seltsam rau und ich schluckte. „Wo bist du und hast du Miles... naja, schon gefunden?"

Ein eiserner Geschmack breitete sich auf meiner aufgebissenen Zunge aus und hin und hergerissen fuhr ich mir durch die blonden Locken. Wenn sie wollte, könnte sie mein Handy eh orten. Und ich hatte auch gar keinen Grund sie anzulügen. Aber irgendwie... ich wollte das allein klären. Mit Miles. Das ging die ganze Gang nichts an. Nichts direkt.

„Hallo? Löckchen?"

„Äh ja... also nein. Ich mein-"

„Die Wahrheit! Es ist wichtig. Dylan rastet sonst noch mehr aus. Denn ja, er fragt ständig nach und hört nebenbei bemerkt auch mit zu, denn schließlich müssen wir wissen wo du genau untergekommen bist, damit wir dich in San Diego finden können und-"

Erschrocken setzte mein Herz kurz aus. „Moment, San Diego?!"

„Ja? Da bist du doch, oder? Wir sind auch gleich da und wenn du uns deine Adresse gibst, dann können wir alles in Ruhe klären."

Ich fiel wahrscheinlich gleich in Ohnmacht. „Ihr seid wo?!"

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now