| 51 | 𝐉𝐚𝐜𝐤𝐬𝐨𝐧

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Nervös wartete ich an der Halle. Die Sonne ging bereits unter, doch von Matt fehlte jede Spur. Und somit auch von Ryan und Miles. Eigentlich wollten wir heute Abend das Ende der Hydra offiziell bekanntgeben. Als Freunde würden wir zwar weiterhin Kontakt haben, doch die Gang wäre abgehakt und jeder würde von nun an seine eigenen Wege gehen. Ohne einschneidende Regeln, ohne Anführer und ohne Druck durch den Freundeskreis.

„Liegt bestimmt an Ryan", kommentierte Alec unser Warten und spielte damit auf Ryans allgemeine nicht vorhandene Pünktlichkeit an.

Ich nickte nur, genauso musste es sein. „Wahrscheinlich."

Doch auch die lustigen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten und unsere ständiges Warten auf Ryan lockerten die Stimmung nicht. Eine spürbare Anspannung lag in der Luft. Damien hatte noch kein einziges Wort gesagt - als würde er ahnen, dass dies heute kein gewöhnliches Treffen war. Und Alec war gesprächiger als sonst - als würde er verzweifelt die Stimmung heben wollen, um sich und uns zu beruhigen. Doch ohne Erfolg. Auch ich war angespannt. Heute Abend war Deadline. Das Ende der Hydra.

Gestresst zog ich die Schultern hoch.

Die Sonne ging bereits am Horizont unter und ihr Verschwinden machte mir Sorgen. Als würde der kommende Abend und seine Dunkelheit Unheilvolles mit sich bringen. Als wäre die Nacht ein wahr gewordener Albtraum. Und eben diese Schwere lag für alle greifbar in der Luft, das spürte ich so deutlich wie nichts anderes.

„Vielleicht sollten wir sie mal anrufen? Eine Stunde ist schon nicht mehr normal, selbst für Ryan", schlug Alec vor.

Mechanisch nickte ich. „Tu das." Kurz darauf hörte ich das Tuten von Alecs Handy, der auf Lautsprecher hatte, doch wenig später meldete sich nur Matts Mailbox und das konnte nur zwei Dinge bedeuten. Entweder sie waren auf dem Weg und konnten auf dem Motorrad schlecht ans Handy gehen. Oder aber... ich hatte recht mit meiner Vermutung und irgendetwas - was auch immer es war - stimmte nicht.

Auch Alec und Damien schienen beunruhigt. „Sind bestimmt unterwegs", murmelte Alec und sprach meine Hoffnung aus.

Unbewusst ging ich einige Schritte zurück. Dann zur Seite. Und wieder nach vorn. Immer wieder, um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen, meine Muskulatur zu wärmen und um nicht die Nerven zu verlieren. „Heute Früh war Matt noch bei mir, bis dahin kann ja schlecht was passiert sein", warf ich ein und hoffte, dass wir uns völlig umsonst sorgten. Eine Stunde Verspätung war gar nichts! Besonders bei Ryan. Kein Grund sich zu hetzen.

„Wie lang ist das her?", wollte Alec wissen und schlenderte ebenfalls über das trockene Gelände.

Ich zuckte mit den Schultern. „Schon einige Stunden, aber wir sollten nichts überstürzen, einfach abwarten."

Mürrisch verzog Alec das Gesicht und erinnerte damit an sein früheres Ich, wodurch mir fast das Herz aufging. „Wie lange denn noch? Noch ne Stunde?"

Ich schwieg. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass sie einfach abgehauen sind. Uns einfach im Stich ließen. In ein neues Leben starteten ohne ein Wort des Abschieds oder ähnlichem. Ihnen stand die Welt offen. Mit etwas Geld, vielleicht dem Verkauf eines der Motorräder konnte man weit kommen. Matts Cross war doch noch übrig. Sie war voller hochwertiger Tuningteile und kaum benutzt. Und Matt war schlau und kannte gefühlt jeden in der Stadt und außerhalb! Er würde sofort einen Käufer finden. Und sie waren gerissen wie kaum jemand anderes. Es wäre für sie ein leichtes. Schnell verwarf ich den Gedanken.

Frustriert trat ich das Gras unter mir platt.

Das würden sie niemals tun! Ganz besonders Matt nicht. Und das heute Früh... war doch kein Abschied, oder? Hin und hergerissen drehte ich mich im Kreis und versuchte Alec und Damien zu ignorieren, die die Anspannung merkten und mich damit in den Wahnsinn trieben.

Plötzlich klingelte es. Mein Handy.

Hastig riss ich es aus der Hosentasche, verlor es dabei fast, nahm den Anruf ohne nachzudenken an und hielt es mir ans Ohr. „Ja?!"

„Hey Jacks..." Matts Stimme sorgte für eine schlagartige Kälte in meinen Eingeweiden. Alec sah mich fragend an, wollte wissen wer dran war, doch ich hob nur die Hand und zog tief die kälter werdende Luft ein. „Sorry, dass ich mich erst jetzt melden, aber... puh." Er klang gebrochen und in mir schrillten alle Alarmglocken.

„Was ist, Matt?!"

Er schluchzte und mir wurde immer kälter. Mein Brustkorb zog sich zusammen und ich drehte meinen beiden Kameraden den Rücken zu.

„Es hat einen Unfall gegeben." Fuck!

„Gehts euch gut?!", schrie ich wieder halb ins Handy, doch mein Puls stieg mit jeder Sekunde. Als würde mein Unterbewusstsein bereits ahnen... bereits fühlen, dass...

Ein Seufzen. „Nein. Also ja. Verdammt, wir hatten keinen Unfall." Hä? „Es gab eine Razzia in einem der Clubs im ehemaligem Serpens Revier, ich habe es vorhin in den Nachrichten gehört, die Polizei war da und es gab eine Schießerei. Ist alles bisschen ausgeartet und es gab einen Brand und naja-"

„Matt!", unterbrach ich ihn. „Was hat das mit uns zu tun?"

Er schluchzte erneut. „Miles R6 stand vor dem Gebäude."

Für einen Augenblick schien die Welt still. Die Fragen, was Miles dort zu suchen hatte und ob Matt sich vielleicht irren konnte, stellte ich mir gar nicht, ich hatte nur das Bild eines brennenden Clubs vor Augen mit Polizei und Krankenwagen. Verletzten und... Toden.

„Wir haben auf ihn gewartet, doch er kam nicht", fuhr Matt fort. „Also haben wir ihn gesucht, ich habe sein Handy geortet und so sind wir zu dem Club gekommen. Da kam es auch schon in den Nachrichten. Alles war abgesperrt, aber wir haben sein Motorrad gesehen."

Ich schloss die Augen. „Bist du sicher, dass es seins war?"

„Was ist los?", verlangte Alec aufgebracht zu wissen und zerrte mich am Arm zurück. In seinem Blick ein Hauch Panik. Wütend riss ich mich los, bedeutete ihm leise zu sein und drehte mich wieder um.

„Es war dasselbe Kennzeichen und die Kratzer vom Unfall... Jackson wir haben seine Maschine gebaut, ich weiß wie sie aussieht, verdammt!" Ich hatte Matt noch nie fluchen gehört und nun ging es mir durch Mark und Bein.

Ich versuchte Fassung zu wahren. „Versuche ihn zu finden. Er muss doch sicher in ein Krankenhaus oder so eingeliefert worden sein, wenn er verletzt ist? Vielleicht-"

„Ich hab schon überall angerufen", unterbrach er mich. „Ryan hat Kontakte beim Personal in der Notaufnahme und alle Überlebenden, die eingeliefert worden sind, naja... Miles war nicht dabei. Ich war Vorort. Was denkst du warum wir noch nicht da sind? Hier ist völliges Chaos."

„Du denkst also, dass...?" Ich sprach es nicht aus.

Wieder ein Seufzen. „Ich bin mir nicht sicher, aber noch hat ihn niemand gesehen und das ganze Gebäude ist vor etwa zwei Stunden abgebrannt... und sein Handy... das Signal kommt direkt aus dem Gemeinschaftsraum."

„Wo bist du?" Mir wurde schwindelig.

„Auf dem Polizeirevier, ich versuche Neues rauszukriegen, aber die haben alle Hände voll zu tun", entgegnete er und ich fuhr mir mit der Hand müde übers Gesicht.

„Bleib da, ich komme." Ohne weiteres Warten legte ich auf und stieß die Luft aus.

„Verdammt nochmal, Jackson, was ist passiert?!", wurde ich sofort von Alec angeschrien.

Doch ich vernahm nichts mehr. Mein Blick wurde schwummrig und ich taumelte leicht. Spürte sogleich ein Gewicht im Rücken. Hörte Alec Stimme, die immer noch auf mich einredete. Mein Brustkorb wurde immer enger und während ich die Kontrolle über meinen Körper zurückerlangte hatte ich nur ein Bild vor Augen. Loans verbrannte Leiche in meinen Armen, die ich damals aus der alten Halle retten konnte, die nun aber Miles Gesicht hatte.

RIDERS ~ Lost MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt