| 39 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Das Wasser war ungewöhnlich heiß als es auf meine Haut tropfte, doch ich spürte es kaum. Meine langen Atemzüge vermischten sich mit dem Wasserdampf und waren das Einzige was ich hörte. Seit bestimmt einigen Minuten starrte ich auf den Boden der neuen Dusche und beobachtete das klare Wasser.

Der Tag war anstrengend. Anstrengend im Sinne von psychischer Belastung.

Die ganze Sache mit der Geheimniskrämerei ging mir gehörig auf den Sack, aber die Wahrheit würde zu schmerzhaft sein. Meine Schultern fühlten sich unendlich schwer an, meine gebückte Haltung machte meinem Rücken zu schaffen und meine Müdigkeit, die ich mir nicht erklären konnte, passte gut zu meiner Situation. Ich fühlte mich einfach ausgelaugt.

Nachdem Jackson Ryan von meinem Onkel erzählt hatte, war dieser förmlich ausgerastet. Aber nicht etwa, weil wir ihm Das ewig verschwiegen hatten, sondern weil er getrieben von Angst war. Ein Cop. Das war ne gefährliche Sache. Und seine Hilfe würde bedeuten, dass er uns sehr nahe wäre. Zu nahe. Ryans Drogensucht war zwar laut ihm längst durch. Zusammen mit Matt hatte er einen kalten Entzug gemacht, dennoch fürchtete er, dass dies irgendwann noch ein Nachspiel hatte. Der Handel der Hydra ebenso, auch, wenn wir nicht mehr im Geschäft waren.

Dennoch blieb die Frage, ob wir seine Hilfe annehmen sollten.

Es wäre hilfreich jemanden von der Polizei an unserer Seite zu haben. Hilfreich wie gefährlich. Das war uns allen klar, aber wir mussten uns entscheiden.

Trotz Matts schlechter Laune hatte Jackson darauf bestanden, dass wir uns kurz beraten sollten. Ryan hatte sich beruhigt, Matt hatte nur notdürftig zugehört, ich hatte permanent Ärger erwartet und Jackson hatte eigentlich nur mit sich selbst gesprochen. Keine gute Voraussetzungen, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Deshalb waren wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir Das auf morgen verschieben würden. Eine gute Einstellung.

Müde stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Mein Blick fiel dabei in den viel zu großen Spiegel über dem Waschbecken. Die neue Wohnung war noch gewöhnungsbedürftig.

Mein Tattoo, welches meine Zugehörigkeit zur Armenia zeigte, konnte man glücklicherweise nicht sehen. Den Nackenbereich betrachtete man meist kaum. Zudem ragte es nie über den Rand eines Shirts oder Pullovers hinaus. Und eben deshalb wusste auch keiner von der Hydra von dessen Existenz, was auch so bleiben sollte. Aber ich wusste, dass es da war. Ich konnte es nicht spüren, meine Hand strich nur über meine Haut, aber ich wusste davon. Leider. Denn es fühlte sich fremd an. Falsch.

Die Spuren, die Dylan letzte Nacht hinterlassen hatte, sah man leider noch deutlich. Im grellen Licht des Bades wirkten sie krankhaft. Meine braunen Augen zuckten hoch und unschlüssig fuhr ich mir durch die Haare. Wie gerne würde ich schlafen. Einfach einschlafen. Doch ich, dass böse Träume mich erwarten würden. Also blieb ich wach, zog mich an und setzte mich auf das Sofa im Wohnbereich.

Jetzt hatte ich zwar endlich wieder mein eigenes Zimmer, aber das Sofa war mir noch zu vertraut.

„Oh, du bist auch noch wach?"

Erschrocken fuhr ich herum und versuchte in der Dunkelheit die Gesichtszüge der Person zu erkennen, die ich als Matt identifizierte. Völlig reglos saß er auf einem der gemütlichen Sessel, mit einer Tasse oder so in der Hand und schaltete die kleine Stehlampe ein, die warmes Licht spendete und mich meine Augen zusammenkneifen ließ.

„Hm, konnte nicht schlafen", erklärte ich und entspannte mich merklich. Meine verkrampften Hände lagen ruhig in meinem Schoß.

Nachdem das Gespräch über meinen Onkel keine Ergebnisse gebracht hatte und es auf morgen verschoben wurde, wofür Jackson sich extra mit uns und Alec und Damien in der Halle treffen wollte, war die Stimmung nicht sonderlich gut. Ryan war noch geschockt von der neuen Nachricht und Matt schien sich irgendwie von den Gangereignissen zu distanzieren. Als würde es ihm wirklich alles zu viel werden. Danach hatte jeder sein eigenes Ding gemacht. Jackson war zu sich gefahren und ich hatte mich mit meinem Handy beschäftigt, bis jetzt.

„Ich frag mich, wann du überhaupt mal schläfst, weil nachts bist du auch nicht in deinem Bett. Und tagsüber auch nicht", fasste mein Gegenüber seltsam ruhig zusammen und sah mir gegen Ende tief in die Augen.

Eine Gänsehaut breitete sich schlagartig über meinen Körper aus. „Ist viel los in letzter Zeit."

„Stimmt." Matt wandte glücklicherweise den Blick ab und ich atmete einmal tief durch. „Kennst du das Gefühl, wenn dir einfach alles zu viel wird und du deinen ganzen Weg, den du bisher gegangen bist, anzweifelst, obwohl du eigentlich weißt, dass es der Richtige für dich war?"

Überrascht von seinen philosophischen Gedanken stieß ich nur überfordert die Luft aus. „Naja-"

„Oder, dass dich alles irgendwie müde macht und obwohl scheinbar alles gut läuft, willst du alles nur noch hinschmeißen, nochmal von vorne anfangen, es besser machen, merkst dann aber, dass du wieder hier rauskommen würdest und alles andere unwahrscheinlich ist oder dich noch mehr belastet?"

Perplex öffnete ich den Mund, sagte aber nichts. Sah von außen vielleicht dämlich aus, aber jedes Wort blieb mir in der Kehle stecken. Nervös räusperte ich mich. „Ich... Ich glaub, dass es uns allen mal so geht", entgegnete ich und dachte dabei vielleicht etwas zu lange über meine eigene Situation nach. Ja, Matts Worte kamen mir dezent bekannt vor. Auch, wenn ich es etwas anders sah. „Nur, Matt, verzeih die Frage, aber.... geht's dir gut?"

Langsam, fast schon schwerfällig, drehte er den Kopf wieder zu mir und umklammerte seine Tasse fester. Sein Blick dabei irgendwie weit weg. „Klar... alles super."

Mit verzogenem Gesicht nickte ich. „Okay, dann-"

„Ist ja auch egal!", stieß er mit plötzlichem Elan aus und ich fürchtete schon, dass er Ryan damit wecken würde. „Wir haben keinen Grund zum Trübsal, nach allem, was wir schon überstanden haben und eine neue Gang, ein Cop, oder vielleicht auch der Tod... theoretisch kann uns nichts mehr passieren, oder?"

Wieder ein Nicken meinerseits. Doch ich spürte den dicken Kloß im Hals.

„Sorry, dass ich dich mit meinen Gedanken belaste. Es ist nur so, dass ich dem Frieden nicht getraut habe und die neue Gang ist der Beweis, dass ich recht hatte. Wir werden niemals zur Ruhe kommen." Ein melancholischer Ausdruck legte sich über seine Züge. „Aber wir haben uns das Leben schließlich auch ausgesucht, wir sind selbst schuld", murmelte er und stand träge auf. Fast so, als wäre er betrunken. „Gute Nacht." Damit verschwand er.

Ich blieb allein in der Dunkelheit und lehnte mich zurück. Spürte kalte Ketten dabei um mein Herz. „Ja...", flüsterte ich in die Nacht. "Wir haben uns dieses Leben ausgesucht." Ich war selbst schuld an allem.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now