| 40 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Das Gefühl des Fahrtwindes war befreiend und zu gerne würde ich die Augen wegen der grellen Sonne am Himmel verschließen, doch beim Fahren war das nicht sonderlich zu empfehlen. Also kniff ich sie zusammen und fixierte die strahlend rote Ducati unseres Anführers vor mir. Ich war Jackson und den anderen einfach unfassbar dankbar, dass sie meine R6 von der Tankstelle geholt hatten.

Das Treffen heute war Jackson äußerst wichtig und in Anbetracht dessen, dass wir uns ewig nicht mehr alle zusammen bei der Halle getroffen hatten und erst recht nicht mit Damien, war es längst Zeit. Und trotz der Umstände freute ich mich auf alle. Die lauten Motoren von Alecs Triumph Daytona und Damiens Aprilia verfolgten mich nun auch seit etwa fünf Minuten und hin und wieder konnte ich sie im Spiegel beobachten, wie sie sich nebeneinander der Bergstraße hinaufschlängelten.

Der Asphalt war trocken, die Sonne schien, leichter Wind ging und die Farben der Maschinen glänzten im Licht. Da bekam man doch richtig Lust auf ein Rennen.

Ein Grinsen konnte ich nicht unterdrücken und augenblicklich spielte ich am Gas. Die Kurven im Gebirge waren eng und kleine Steinchen und Sand lagen auf der Fahrbahn, dennoch schaltete ich einen Gang runter, um mit mehr Kraft und Schub zu Jackson aufzuholen. Seinen Kopf drehte er leicht zur Seite und ich konnte seinen irritierten Blick in den Spiegel mir bildlich vorstellen. Keine Sekunde später war ich mit ihm auf gleicher Höhe und provozierte ihn mit gefährlichen Schwenkungen nach rechts und links.

Missbilligend schüttelte er den Kopf und drehte ebenfalls am Gas, um seine alleinige Führung zurückzugewinnen.

Doch ich ließ mich nicht abschüttelnd. Beschleunigte weiter und schaltete im richtigen Moment hoch in den letzten Gang. Das letzte Stück der Strecke wäre weitestgehend gerade und somit perfekt für ein kleines Kräftemessen. Alec und Damien hatten ebenfalls aufgeholt und sorgten dafür, dass die Situation immer hitziger wurde. Nicht einmal eine Minute später kämpften wir gegenseitig um die Führungsposition und ich spürte das Adrenalin in meinem Blut. Nur Damien schien die Geschwindigkeit irgendwann zu hoch und ließ sich zurückfallen.

Alecs Triumph gab einen komischen Laut von sich und besorgt sah ich in den Rückspiegel. Eine dunkle Wolke stieg hinter ihm empor und ich war mir ziemlich sicher, dass sein Motorrad, welches nach dem Unfall damals notdürftig repariert wurde, scheinbar noch nicht voll einsatzbereit war.

Doch den Blonden schien das wenig zu kümmern, denn er nutzte meine fehlende Konzentration aus und überholte mich.

Genervt über mich selbst verdrehte ich die Augen. Zu dritt preschten wir über den Asphalt und bei einem gefährlichen Überholmanöver kam ich Jackson vielleicht etwas zu nahe, streifte dabei ganz leicht seine Verkleidung und geriet ins Schliddern. Überrascht umklammerte ich den Lenker fester, erkämpfte mir die Kontrolle über meine Maschine zurück und schwenkte nach rechts, um Jackson auszuweichen, der ebenfalls ins Straucheln geriet und mich letztlich doch noch mitriss.

Mit schnell schlagenden Herzen und einem kleinen Aufschrei ging ich schließlich zu Boden und rutschte einige Meter über den sandigen Boden. Knallte zum Glück nirgendswo dagegen. Die rote Panigale landete samt Fahrer ebenfalls im Dreck. Erschrocken und mir der Konsequenzen bewusst blieb ich erstmal auf dem Rücken liegen, war froh, dass das Gelände so weitläufig war und nichts weiter passiert war.

Damien fuhr nun deutlich langsamer an uns heran, gönnte uns einen kurzen Blick und hielt schlussendlich an. Klappte sein Visier nach oben.

„Alles klar bei euch?"

Mühsam richtete ich mich auf und kontrollierte ob noch alles dran war. Dann zeigte ich meinem Kamerad den Daumen hoch und atmete einmal tief ein. Spürte den Schweiß und die Schwere in meinen Gliedern.

„Sag mal hast du sie noch alle?!", fuhr Jackson mich nun sauer an, der wackelig aufgestanden war und sein linkes Bein entlastete. „Wie kann man nur so waghalsig sein?!" Aufgebracht tippte er sich an die Stirn und warf dann einen Blick auf sein Bikes, welches ein paar Meter weiter weg auf der Seite lag.

Schuldbewusst, aber mit einem Grinsen im Gesicht, was man durch das Visier nicht sehen konnte, zog ich die Schultern hoch. „Sorry", murmelte ich, ohne, dass es jemand hören konnte.

Von weitem konnte ich die dicke Rauchwolke von Alecs Triumph, die nun bei der Halle angekommen war, sehen. Er hatte gewonnen. Unfassbar. Aber theoretisch konnte man das ja gar nicht werten, versuchte ich mir einzureden und zog mir den Helm vom Kopf. Strich meine Haare zurück und stand auf. Jackson neben mir versuchte seine Ducati wieder aufzurichten, schaffte es jedoch nicht. Erst als Damien ihm zur Hilfe kam, konnten sie das Motorrad wieder auf die Straße schieben.

Schweigend ließ ich mir von Damien helfen und mit gedrückter Stimmung fuhren wir den Rest zur Halle. Meine adrenalingedrängte Stimmung und Freude wegen des schönen Wetters konnte hier wohl keiner teilen.

„Was war Das denn?", empfing uns Ryan, der sich lachend an Matt festhielt und auf uns deutete. „Euer Ego hatte wohl kein Platz auf der Straße, was?", lachte er weiter und klopfte Alec auf den Rücken. „Glückwunsch alter, du hast die beiden Amateure besiegt."

„Halt bloß die Schnauze!", wies Jackson ihn an, doch Ryan ließ sich nicht zurechtweisen.

Stattdessen hob er nur sein Handy in die Luft. „Keine Sorge, ich hab's sogar auf Video", schmunzelte er und hielt es Alec unter die Nase, der mit sonst so ausdrucksloser Mine endlich mal wieder lächeln konnte.

„Ich hoffe euch ist klar, dass wir kein Geld haben, um den Schaden wieder richten zu können, oder?", warf Matt in die Runde, der dazu übergegangen war, unserer Bikes zu begutachten und sachte über die untere Verkleidung strich. „Herzlichen Glückwunsch, Miles. Du hast noch ein paar mehr Kratzer sammeln können. Mit denen von deinem Unfall geben sie ein schönes Muster ab. Einzigartig." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Das ist jetzt erstmal zweitrangig", meinte Jackson, ließ uns alle stehen und schloss die Halle auf.

Und tatsächlich, es sah noch ganz genauso aus wie vor ein paar Monaten. Staubig, dezent unaufgeräumt und mit einem schrecklichen Gestand in der Luft. Die Erinnerungen schwappten über mir nur so zusammen und mit dem Öffnen des Tors schien eine erdrückende Atmosphäre über uns alle zu kommen. Tode Gangmitglieder, eine dunkle Nacht und Blut. Alles noch sehr präsent.

Ich schluckte. Das war Vergangenheit.

„Gespenstisch", flüsterte Ryan und durchbrach somit die Stille. Erntete dabei böse Blicke.

Ich wollte gar nicht daran denken, dass hinter der Halle Tode begraben waren und hier einmal illegale Waffen, Drogen und Tuningteile verkauft wurden. Mit dieser Halle hatte alles angefangen. Als Matt sie organisiert hatte und das erste Treffen hier abgehalten wurde, begann meine Mitgliedschaft bei der Hydra. Ein herrlicher Tag, der alles verändert hatte. Die Sonne war am untergehen, viele Menschen waren hier und es wurde gegrillt und gefeiert. Davon war nun nichts mehr spürbar. Nur erdrückende Kälte, die mein Herz umschlang.

„Nun sag schon, was machen wir hier?", wollte Alec wissen, der die Stille nicht mehr aushielt. Die Nacht, deren Erinnerungen noch im Raum schwebten, musste ihn an den Tod seines Bruders erinnern.

Jackson seufzte. „Das letzte Mal, als wir uns hier getroffen haben, hatten wir schwere Zeiten. Haben eigentlich gesiegt, aber dennoch eine Niederlage eingesteckt. Und jetzt steht ein neuer Feind vor uns." Eindringlich sah er jeden einzelnen von uns an und seine leise Stimme kroch mir in die Eingeweide. „Und damit meine ich nicht die Cops."

Alec kniff die Augen zusammen. „Wen dann?"

Der Blick des Anführers wanderte zu mir und ich wusste bereits was kommen würde. Genauso wie Matt und Ryan. „Scheinbar eine neue Gang."

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now