| 37 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Sprachlos sah ich auf den kleinen dunklen Wagen, der in der Einfahrt meines Onkels stand und dort mal so gar nicht reinpasste. So ein kleines Auto hatte ich beim besten Willen noch nicht gesehen und schon gar nicht war ich in einem mitgefahren. Doch es gab wohl für alles ein erstes Mal.

„Jetzt klotz nicht so und stieg ein!", knurrte Jackson und sein Unterton verriet mir, wie unangenehm ihm die Situation war.

„Du willst mir nicht ernsthaft sagen, dass-"

Schnell unterbrach er mich. „Doch. Siehst du doch." Damit zückte er den Schlüssel aus seiner Hosentasche, entsperrte den Zwerg auf vier Rädern und hielt mir die Tür des Beifahrers auf.

„Du bist mit dem Teil gefahren?!", lachte ich und konnte nicht mehr an mir halten.

Das verschaffte mir einen weiteren bösen Blick. „Offensichtlich." Beleidigt stieß er die Luft aus, doch das verräterische Grinsen seinerseits brachte mich noch mehr zum Lachen. Jackson schließlich auch. „Ich kann nichts dafür, das ist die Schuld meiner Eltern."

„Haben sie deine Ducati eingezogen?"

„Nein, aber sie haben mir dieses Ding aufgedrückt, da ich wie gesagt kein Auto habe." Schmunzelnd fuhr er sich über die kurzgeschorenen Haare. „Und da ich ihr Geld hinter ihrem Rücken für die Panigale ausgegeben habe, meinten sie, dass dies nun meine Bestrafung wäre." Jammernd leckte er den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die Sonne. „Deswegen muss ich jetzt damit rumgurken. Das ist übrigens auch deine Schuld!"

Entrüstet sah ich ihn an. „Meine?!"

„Ja, ich wollte dich mitnehmen können, falls wir dich finden, und da deine Yamaha inklusive Helm an der Tankstelle war, musste ich davon ausgehen, dass du verletzt und ohne Helm bist und dich schlecht auf einer Rennmaschine an mir festhalten kannst." Sein Blick wurde weicher. „Das haben wir ja schließlich schon mal versucht."

Ich grinste bei der Erinnerung.

„Wie auch immer", brummte er und wirkte dabei plötzlich schrecklich müde. „Steig ein, der Rest unsrer kleinen Gruppe macht sich schon Sorgen um dich."

Ergeben leistete ich dem Folge und setzte mich auf den Beifahrersitz. Jackson umrundete derweil das Miniauto und nahm auf seinem Sitz Platz, steckte dabei ungelenk den Zündschlüssel rein. Es war wirklich verdammt klein hier drinnen. Und eng. Zumindest war es sauber. Irgendwie kurios, dass Jacksons Eltern ihm als Bestrafung ein Auto schenkten. Klar, für Leute ihrer Klasse war es eine Beleidigung, aber es war dennoch ein Fahrzeug, welches sie ihrem Sohn einfach mal zur Verfügung stellten. Und das kleine Ding konnte er auch einfach wieder verkaufen.

„Es ist schon krass, dass deine Eltern dich immer noch unterstützen", merkte ich an und kam nicht drum rum, von seinen Eltern besser zu denken. Sie ließen ihn trotz allem nicht im Stich, wenn auch auf ihre Weise.

„Wie meinst du das?", wollte er verwirrt wissen und schnallte sich an. Doch als er den ersten Gang einlegte und die Einfahrt verlassen wollte, gab es nur einen kläglichen Ruck. Ein mieser Verrecker für einen Straßenrennenfahrer. Ich lachte. „Schnauze!", fuhr er mich an, musste aber selber schmunzeln und versuchte es erneut. Diesmal klappte es.

„Autofahren bist du wohl nicht mehr gewohnt, was?"

Grummelnd schaltete er hoch. „Um ehrlich zu sein, bin ich fast noch nie Auto gefahren."

„Wie das denn?"

„Ich habe zwar einen Führerschein und bin ja auch irgendwie hierhergekommen, aber mich hat das nie gereizt. Sobald ich konnte, bin ich Motorrad gefahren", erklärte er und wissend nickte ich. „Aber zurück zum Thema, was meinst du gerade?"

Vorsichtig suchte ich Blickkontakt, bekam aber keinen. „Naja... Sie haben sich für dich bestimmt eine andere Zukunft vorgestellt. Also, dass du Kariere machst und mit ins Geschäft einsteigst oder so. Keine Ahnung, in ihren Augen bist du noch immer arbeitslos und auf sie angewiesen. Und dennoch finanzieren sie dir alles."

„Joa..." Emotionslos nickte er. „Geld ist eben ihre Art der Zuneigung", entgegnete er mit Kälte in der Stimme.

„Ich meinte damit doch nur, dass du ihnen auch egal sein könntest."

Gereizt drehte sich der Anführer plötzlich um. „Ich bin ihnen auch egal, Miles!", murrte er. „Es geht ihnen doch nur um ihr Ansehen. Was denkst du, sagen ihre Kunden und Geschäftspartner, wenn ihr eigener Sohn draußen mit dem Fahrrad rumfährt oder obdachlos ist, hm? Genau, es würde schlecht auf sie zurückfallen und deshalb stecken sie mir jede Menge Geld zu, damit der Schein nach außen gewahrt ist. Eine moderne Wohnung, Geld, ein Auto, sie würden mir alles geben. Aber nicht aus Liebe, nein. Da steckt nur Eigennutz hinter. In Wahrheit sind sie enttäuscht von mir."

„Das kannst du nicht wissen, wenn du nicht mit ihnen redest..."

„Oh doch, glaub mir. Ich bin ihr einziges Kind, Miles. Ihr einziges und das nicht ohne Grund. Nero war auch Einzelkind. Wir sollten zusammen die Firma unserer Eltern übernehmen. Wir waren... oder sind nichts weiter als Vorzeigeobjekte, die die Familie repräsentieren sollen und das Erbe weiterführen. Sie investieren in uns, damit sie weiterleben können. Ich habe einen klasse Schulabschluss. Und jetzt sieh mich an. Ich bin Mitte zwanzig und noch immer von meinen Eltern abhängig."

Mit einem engen Gefühl in der Brust und dem Drang ihn aufzuheitern, meinte ich, „Aber doch nur offiziell. Eigentlich hast du eine Gang, ihr wart ganz vorne bei den Geschäften, habt euch etwas aufgebaut und eigene Kohle verdient."

Mein Nebenmann lachte und seine Finger verkrampften sich um das Lenkrad. „Was meinst du, woher das Startkapital für die Hydra kam, von einem Kredit?"

„Ich-"

„Von meinen Eltern", unterbrach er mich erneut. „So wie alles andere auch. Sie haben mein Leben lang alles finanziert und jetzt, wo die Geschäfte im Arsch sind, bin ich wieder am Anfang. Auf sie angewiesen und nicht selbstständig."

Betreten sah ich auf das Armaturenbrett. Der Schein täuschte.

„Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass meine Eltern mich hassen. Seit Neros Verschwinden haben sie den Traum aufgegeben, dass wir eines Tages zusammen das Unternehmen übernehmen. Und ich habe weder Job noch Ausbildung. Für ihren guten Ruf unterstützen sie mich, aber Zeit für mich haben sie keine. Ebenso wenig wie Liebe, einen guten Rat oder Geborgenheit." Bitter verzog er das Gesicht. „Das war schon immer so und wird auch immer so sein. Und bei Nero war es noch weitaus schlimmer."

„Inwiefern?"

Der Schwarzhaarige hielt an einer Ampel und sah mich nun endlich an. „Er war das schwarze Schaf der Familie. Von Anfang an eine Enttäuschung. Ich habe meine Eltern vielleicht enttäuscht, weil ich einen anderen Weg als gewünscht eingeschlagen habe, aber er, er hatte von Beginn an den enttäuschten Blick auf sich, wurde bereits als Kind abgestempelt. So ist das nun einmal."

„Glaubst du..." Mein schlechtes Gewissen erschlug mich beinahe. „Glaubst du, dass wir ihn irgendwann mal wiedersehen?"

Betreten schüttelte er den Kopf. „Nein, er wurde verbannt und hält sich auch daran. Ich denke nicht, dass sich unsere Weg nochmal kreuzen." Er fuhr wieder los. „Zudem hat er uns verraten. Er hat uns angelogen und die Gang im Stich gelassen. Schlimmer noch. Das konnte ich ihm nicht verzeihen. Ehrlichkeit schätze ich mit unter anderem am meisten und bei diesen Lügen, kann er unmöglich zurückkommen." Ich schluckte. Klares Statement.

RIDERS ~ Lost MemoriesTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon