| 53 | 𝐉𝐚𝐜𝐤𝐬𝐨𝐧

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Ich wusste nicht wie lange ich in dem kleinen Empfangsraum stand und Matt umklammerte. Oder er mich. Wir beide hielten einander als würden wir sonst ertrinken. Dennoch hob ich irgendwann den Blick und sah Ryan vor mir.

Seine grünen Augen strotzten voller vorgetäuschter Stärke und seine lässig in den Hosentaschen vergrabenen Hände, erweckten den Eindruck als würde ihn die Situation völlig kalt lassen. Doch ich sah ihn. Sah in ihn hinein. In seine Seele. Die schweren Zeiten damals hatten uns solche Einblicke gewährt und seither waren wir ein offenes Buch füreinander.

Er trauerte.

Er trauerte, obwohl noch nicht einmal klar war ob Miles tatsächlich im Brand umgekommen war. Und das zeigte mir, dass Ryan nicht einmal mehr die Kraft zu hoffen hatte. Er hatte schon längst aufgegeben und das Schlimmste akzeptiert. Das war emotional für ihn einfacher.

„Sie haben..." Matt brach ab.

Ich zog die Stirn kraus. Gab es schon Neuigkeiten in der kurzen Zeit? Mit hochgezogenen Augenbrauen und einer eisigen Vorahnung hielt ich Ryans Blick stand und schob Matt von mir.

Seine Augen hatten bereits einen verräterischen Glanz. „Sie haben sein Handy gefunden. Im Gebäude, vom Feuer gekennzeichnet, es..." Leidend verzog Matt das Gesicht und wandte den Blick ab. Für mich Antwort genug. Doch ich brauchte mehr. Brauchte Beweise. Beweise, dass Miles wirklich tot war - nicht mehr wiederkommen würde.

„Warum hast du mich nicht sofort angerufen?", wollte ich wissen und konnte nicht verhindern, dass ein leichter Vorwurf in meiner Stimme mitschwang.

Gestresst sah Matt zu Ryan. „Wir haben ihn gesucht und sein Handy geortet. Und als wir dann vor dem brennenden Club standen und sein Motorrad sahen, da..." Unwohl sah er zu Boden. „Alles ging so schnell. Wir haben rumtelefoniert, versucht Antworten zu bekommen und haben dabei irgendwie die Zeit vergessen." Fast schon müde fuhr er sich durch die Haare und sah mich schließlich wieder an. „Dann hat Alec mich angerufen und an unser Vorhaben erinnert..."

„Also hast du mich angerufen", beendete ich seine Erklärung.

Er nickte.

Frustriert stieß ich die Luft aus. „Was wollte er überhaupt in diesem Club, verdammt?!"

„Keine Ahnung." Matt ließ die Schultern hängen.

„Er hat sich die ganzen letzten Tage schon weggeschlichen und sein Ding gemacht. Er hat sich von der Gang distanziert wie wir auch. Wer weiß schon was er gemacht hat. Vielleicht hat er ja wieder eine Freundin oder hat neue Freund kennengelernt? Wie viele Nächte war er jetzt nicht zuhause ohne Absprache? Mich wundert es nicht", meinte Ryan und triggerte dabei irgendeinen Punkt in mir.

Sauer zog ich die Luft ein. „Sein möglicher Tod nimmt dich ja ziemlich mit. Hast wohl kein Bock auf uns?"

„Das habe ich nie gesagt!", hielt Ryan dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine grünen Augen immer noch leer. Doch langsam fühlten sie sich mit Wut. Mit Hass.

„Spielt ohnehin keine Rolle mehr, die Hydra habe ich gerade aufgelöst", klärte ich die beiden auf.„Alec und Damien wissen es jetzt auch, vielleicht warten sie noch bei der Halle, aber... es ist vorbei."

Matt nickte kaum merklich.

Eine seltsame Anspannung lag in der Luft. Nicht nur die gestressten Polizisten, die wie Ameisen durchs Revier wuselten, sorgten dafür. Auch Ryan machte mir schweigend Vorwürfe und Matt schien neben der Spur. Deutlich nahm ich die Distanz zwischen uns wahr. Die Hydra war Geschichte und unsere Freundschaft, besonders die zu Ryan, basierte auf der Gang - zumindest größtenteils. Und jetzt... irgendwas schien gekappt. Beendet. Ausradiert.

„Gibt es noch mehr Beweise?", warf ich irgendwann in den Raum, da ich das Schweigen nicht mehr aushielt.

Matts Augen glänzten wieder. „Nur sein Motorrad und das Handy. Aber... ist das nicht Beweis genug?"

„Für mich nicht."

„Was sollen sie schon finden?", fauchte Ryan. „Seine verbrannte Leiche, die das Feuer ausnahmsweise übrig gelassen hat?!"

„Ryan!", wies Matt ihn zurecht.

Jedoch spürte ich das Verlangen den Konflikt zwischen uns endlich zu klären. „Was ist dein scheiß Problem? Bist du immer noch sauer, weil ich Nero verbannt habe?"

„Ja, natürlich verdammt! Und John haben wir damals auch nie gefunden! Miles werden wir auch nicht finden. Er ist tot! Gestorben im Feuer wie John und Lohn, damit müssen wir uns abfinden." Für einen Augenblick hielt er inne. Dann seufzte er und ich spannte mich an. „Und ich bin froh, dass es mit der Hydra vorbei ist. Ehrlich. Wir haben uns doch nur etwas vorgemacht, sie hatte keinen Bestand mehr und auch davor war sie nur ein Klotz am Bein!"

„Du hattest doch eh keinen Plan, was du mit deinem Leben anstellen willst", knurrte ich. „Und keiner hat dich zum Beitritt gezwungen."

„Leute-", mischte sich Matt verzweifelt ein.

Kam jedoch nicht zu Wort. „Oh, bevor ich zur Hydra kam hatte ich Träume, Pläne für die Zukunft und eine Familie! Und jetzt?! Wir haben nichts mehr und als ich mich mit der Gang arrangiert habe, hast du Nero rausgeworfen! Du hast alles zerstört!"

„Ich bitte dich. Nero war selbst schuld und du nur ein verfickter Drogenjunkie, der sich selbst alles kaputt gemacht hat!"

Die Ohrfeige kam schneller als ich reagieren konnte. Matt rief nur den Namen seines besten Freundes, doch ich wurde schon an die Wand gedrückt und spürte einen weiteren Schlag, der mich Sterne sehen ließ. Von weitem hörte ich Schritte und Schreie. Dann wurde Ryan von mir weggezogen und hing in den Armen zweier Polizisten.

Wild fluchend und... weinend, seelisch zerstört, versuchte er sich zu befreien und wurde nach draußen geschleift, damit er sich beruhigen konnte.

Geplättet stand ich an der Wand, sah Matt hinterher, der mich traurig musterte und dann seinem Herzensbruder folgte.

Jetzt war ich allein.

Nero verbannt, Miles tot, Matt und Ryan mit mir zerstritten und Alec und Damien hatte ich an der Halle zurückgelassen. An einem einzigen Tag hatte ich alles verloren. Erschöpft fuhr ich mir durchs Gesicht und glitt nach unten. Saß auf dem kalten Boden. Einfach irre. Noch vor wenigen Tagen hatte ich Pläne für unser Comeback, für neue Geldquellen und ja... wir wollten sogar die fremde Gang bekämpfen, aber jetzt lag alles in Schutt und Asche. Alle Pläne verworfen und dem Verfall überlassen.

Mit geschlossenen Augen lehnte ich den Kopf an die Wand hinter mir. Was für eine blöde Scheiße.

Einige Minuten saß ich so da, bis ich mich beobachtet fühlte. Irritiert hob ich den Kopf und blickte sogleich in bekannte Augen. Miles Onkel, der Cop, der uns helfen sollte, stand im Flur und musterte mich. Seine Augen mit ähnlicher Trauer gefüllt, brachten das Fass zum überlaufen und gaben mir schmerzhafte Erkenntnis. Miles war tot.

RIDERS ~ Lost MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt