| 7 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Ich hatte definitiv nicht vor, mich meinem Onkel zu zeigen. Ich wollte ihn nur sehen. Nicht mit ihm sprechen oder dergleichen. Das sagte ich mir zumindest immer wieder, während ich durch die Straßen San Diegos fuhr.

Würde mich ein Polizist anhalten, hätte ich jetzt zumindest die richtigen Papiere, dank Matt.

Doch Streifenwagen sah ich kaum, was mich sehr wunderte, da seit den Ereignissen recht viel los war. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, welche Arbeit auch auf meinen Onkel zugekommen sein musste, durch diesen Zayn und uns. Unfassbar viele Zeugen mussten befragt wurden sein. Auch der Plaza war sehr lang gesperrt, wegen der Spurensicherung. Und dennoch hatten sie wenig gefunden. Nur glaubten sie etwas anderes.

Die Halle hatten sie zum Glück nicht entdeckt. Würde man dort im sandigen Boden die Reifenspuren analysieren, würde man schnell auf uns kommen. Und eventuell die Toten hinter der Halle finden.

Es dauerte nicht sonderlich lange bis ich mich endlich der mir wohlbekannten Hawthorn-Street näherte. Früher gehörte das Gebiet den Serpens, doch die gab es schließlich nicht mehr. Die Einfahrt war leer. Der Wagen meines Onkels war vermutlich in der Garage. So langsam wie möglich fuhr ich in den Hof. Mein Akrapovic Auspuff war da mal wieder keine Hilfe.

Ob er den Sound vielleicht erkennen und nachsehen würde? Auch wenn ich unentdeckt bleiben wollte, so hoffte ich es insgeheim.

Doch im Haus brannte kein Licht mehr. Es war zu spät. Oder er war nicht Zuhause? Enttäuschung machte sich in mir breit. Zu gerne hätte ich ihn gesehen. Frustriert sah ich durch das Visier meines Helmes nach oben und wollte schon wieder umkehren, da ging in einem der oberen Fenster das Licht an. Meine Miene erhellte sich sofort und ich stieg ab. Meine Yamaha stellte ich auf den Seitenständer, legte meinen Helm auf die Sitzbank, machte das Lenkerschloss halbherzig rein und lief dann einige Schritte auf das Haus zu.

Noch einmal sah ich zu der R6. Kleine Kratzer unten an der Verkleidung erinnerten mich an den Unfall mit dem LKW.

Da niemand hier war und mich beobachten konnte, lief ich nun weiter. Der kleine Schlüssel klimperte noch immer in meiner Tasche. Nie hatte ich ihn zurückgebracht. Mein Onkel hatte ihn nie eingefordert. So lag er zusammen mit meinem Zündschlüssel in meiner Jackentasche, würde aber wohl nie wieder benutzt werden.

Nachdenklich sah ich nach oben. Wie sollte ich da nur hochkommen?

Ratlos sah ich mich um, bis mein Blick an der schwarzen, kaum sichtbaren, Mülltonne hängenblieb. Das wär doch was! Schnell lief ich zu ihr und hob den Deckel an. Gerade mal das untere Drittel war gefüllt und somit konnte ich sie mit Leichtigkeit zu der geeigneten Stelle schieben. Nur würde ich wahrscheinlich nicht mal mit Mülltonne an das Fenster herankommen, weswegen ich sie kurzerhand hochhob und einfach auf den Holztisch stellte, wo mein Onkel öfter mal Gartengeräte abstellte. Anschließend kletterte ich auf den kleinen Turm und versuchte mein Gleichgewicht zu halten.

Würde ich da hinunterfallen und dem Rettungsdienst erklären müssen, wie das passieren konnte, würde ich wahrscheinlich im Erdboden versinken.

Mit meinen Händen hielt ich mich an der Hauswand fest und erhob mich ganz langsam. Es reichte zum Glück! Zwar reichte nur mein Kopf auf Fensterhöhe, aber besser als nichts. Ich scannte einmal den gesamten Raum ab, doch mein Onkel war nicht da. Ne, oder? Ich verdrehte schon genervt die Augen, als die Tür aufschlug, ich mich erschreckte und beinahe von der Mülltonne fiel, die schon gefährlich wackelte. Gerade so hielt ich mich und duckte mich lieber weg.

Nach wenigen Sekunden erst sah ich wieder hoch. Mein Onkel war bettfertig wieder da und hatte sich an den kleinen Schreibtisch gesetzt.

Besorgt zog sich meine Stirn in Falten, während ich ihn musterte. Er sah nicht sonderlich gut aus. Tiefe Augenringe zierten sein Gesicht und eine ungesunde Bläse hatte die gebräunte Haut vertrieben. Seine Wangenknochen stachen stärker als letztes Mal hervor und alles in einem... er wirkte eingefallen.

Ob das an den jetzigen Vorkommnissen lag? Oder vielleicht an mir?

Mir entwich ein Seufzen und ich legte mein Kinn auf der Fensterbank ab. Unsere letzten Begegnungen waren nie sonderlich harmonisch und dennoch wünschte ich mir nichts mehr, als nochmal mit ihm zu reden oder von ihm eine Umarmung zu bekommen. Auf seinem Schreibtisch lagen einige Unterlagen, von denen er eine kurz in die Hand nahm, aber schnell wieder fallen ließ und ein Bild von mir. Das war mal für kürzere Zeit mein Profilbild auf Instagram gewesen. Woher und wieso hatte er das bitte? Als Erinnerung?

Ich beobachtete ihn noch eine Weile und bemerkte dabei gar nicht die Kälte, die mir unter die Haut kroch.

Erst als er unerwartet aufstand und zum Bett lief, und damit direkt auf mich zu, duckte ich mich erschrocken wieder schnell weg. Dabei verlor ich jedoch das Gleichgewicht und kippt nach hinten weg. Aus reinen Reflex hielt ich mich am Fenstersims fest und wartete bis die Tonne wieder still stand.

Doch plötzlich brach der dünne Plastikboden unter mir durch und mit einem erstickten Schrei fiel ich erst in die Mülltonne und dann zusammen mit ihr von der Holzbank.

Hart kam ich am Boden auf, überschlug mich mitsamt der schwarzen Tonne einmal und blieb anschließend liegen. Man, war mir schwindelig. Wunderbar eingebettet im Müll lag ich in der Tonne und griff mir fluchend an den Kopf. Wenn das einer gesehen hätte...

Dann hörte ich oben das Fenster aufgehen.

Sofort hielt ich den Atem an und bewegte mich nicht. Durch den Riss im Deckel sah ich das Licht welches von oben herunterschien und hoffte einfach mal, dass er nicht allzu misstrauisch wurde.

„Verdammte Katzen", hörte ich ihn müde murmeln und dann erklang das Klacken des sich schließenden Fensters.

Endlich atmete ich auf und hievte mich aus der Tonne heraus. Dazu musste ich erst den Deckel öffnen. Draußen putzte ich mich sauer und peinlich berührt ab. Mein Geruch war jetzt auch nicht mehr der eines Gänseblümchens. Zum Glück wollte ich heute eh nirgends wo mehr hin und konnte gleich nach Hause und duschen.

Das hatte ich auch vor, denn nach dem Aufräumen der Mülltonne lief ich zurück zu meinem Motorrad.

Doch dort stand jemand. In einer schwarzen Motorradjacke mit einem ebenfalls schwarzen Helm und sah sich meine Yamaha an. Was machte der hier?

Er hatte mich nun scheinbar auch bemerkt, denn für einen Augenblick sahen wir uns an, ehe er sich eilig umdrehte, um die Ecke verschwand und kurz darauf ein Motorengeräusch zu hören war. So schnell kam der nicht davon!

Ohne den Helm zu schließen düste ich aus der Ausfahrt, wobei die schwarze, fremde Maschine mir die Vorfahrt nahm und reihte mich, wie sie, in den Verkehrt ein.

RIDERS ~ Lost MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt