| 23 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Misstrauisch haftete mein Blick auf Kian, der sich neben mir die Zähne putzte. Er war den ganzen Morgen schon komisch drauf. Wirkte unruhig, fast schon nervös. Das kannte ich nicht von ihm und irgendwie färbte sein Verhalten auf mich ab.

„Hab ich dir irgendwas getan, hast du schlecht geträumt oder was ist los?", fragte ich schließlich genervt, nachdem ich die scharfe Zahnpasta ausgespuckt hatte.

Müde sah er mich durch den Spiegel vor uns an. „Alles gut."

Aha. Dann war ja alles in Ordnung. Nicht! Wie konnte er mich nur anlügen? War unser unendliches Vertrauen einfach weg? Hatten die wenigen Monate der Abwesenheit so viel verändert? Schuldbewusst senkte ich den Kopf als mir einfiel, dass ausgerechnet ich derjenige war, der etwas vor ihm verheimlichte.

„Ich hab nur schlecht geschlafen", grummelte er. „Okay, gut. Ich hab gar nicht geschlafen."

„Wieso nicht?"

Schweigend spülte er sich den Mund aus und fuhr sich nachdenklich durchs Gesicht. „Ich hab nachgedacht. Darüber ob du... naja, wieder mit nach Hause kommst. Oder..."

„Oder ob ich hierbleibe", vervollständigte ich seinen Satz und konnte den Schmerz in meiner Burst nicht komplett ignorieren. Langsam schlich er sich in meinen Bauch und setzte sich dort fest. Machte mir deutlich, dass das Thema komplexer und schwieriger war als gedacht und vor allem noch lange nicht beendet war. „Kumpel, du glaubst gar nicht, wie sehr ich meinem alten Leben hinterhertrauere, aber... die Zeiten haben sich nun mal geändert."

Ich hatte mich verändert.

„Und ich kann hier nicht alles aufgeben."

Verstehend nickte er. „Du bist über den Verlust größtenteils weggekommen und willst keine alten Wunden aufreißen, das verstehe ich." Leidend biss er sich auf die Unterlippe und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Aber was wird denn dann mit mir? Mit uns?" Aufgebracht kam er mir näher. „Ich geh nicht ohne dich zurück nach New York."

„Das musst du doch auch-"

„Doch, das muss ich! Ich hab hier nichts." Er atmete einmal tief durch, schien nachzudenken, dann erhellten sich seine Augen, aber auf seiner Stirn zeichnete sich eine tiefe Falte ab. „Aber du hast hier doch auch nichts mehr. Die Schule hast du abgebrochen, deine Freundin hat dich verlassen und dein Onkel hat dich rausgeschmissen."

„Ich hab Freunde hier, Kian."

Verständnislos schlug er mir leicht gegen die Schulter. „In New York doch auch. Das ist deine Heimat. Wieso hältst du so an ein paar Leuten fest, die du erst wenige Monate kennst?"

„Wir haben zusammen viel durchgemacht."

„Ach ja, was denn?" lachte er. „Ihr seid vielleicht das ein oder andere Rennen zusammen gefahren und wart mal was essen." Er drehte sich einmal im Kreis und machte eine ausschweifende Handbewegung. „Du hast nicht mal einen Job. Wie verdienst du bitte Geld? Zuhause da wäre alles viel leichter."

Gequält schloss ich die Augen. Ich konnte ihn verstehen. Sehr gut sogar. Wäre ich an seiner Steller würde ich genauso handeln.

Nur wusste er vieles nicht. Natürlich könnte ich ein besseres Leben haben, wenn ich wieder zurück nach New York gehen würde. Die Armenia stand finanziell sicherlich besser da als die Hydra im Moment. Ich könnte meine Geldsorgen loswerden und alte Freunde wiedersehen. Aber dafür müsste ich Jackson im Stich lassen. Ich war der neue Beta. Ich hatte Aufgaben und Verpflichtungen. Und Ryan, Matt, Alec und Damien... Sie waren mir alle auf ihre Weise ans Herz gewachsen.

„Miles?" Kians unsicherer Blick tat mir in der Seele weh. „Irgendwas verschweigst du doch noch. Ich kenn dich."

Verzweifelt wandte ich mich ab. Früher oder später würde er es sowieso erfahren. Kian würde nicht einfach wieder verschwinden. Ohne mich würde er nicht zurückgehen. Und das wollte ich auch gar nicht. Ich konnte meinen besten Freund nicht noch einmal verlieren. Die ganzen Monate über hatte ich ihn vermisst. Nur waren die letzten Ereignisse ziemlich prägend und lenkten mich hervorragend ab.

Zudem war der Verlust meiner Eltern für mich so grausam und plötzlich, dass ich Kian mit hineinzog. Ich schloss mit allem ab. endgültig. Wollte ein neues Leben. So schmerzhaft es auch war. Doch jetzt kam alles anders.

Und das war nicht einmal schlimm. Nur verdammt kompliziert!

„Früher haben wir uns alles gesagt und konnten uns in jeder Lage vertrauen", knurrte er plötzlich sauer und ich konnte ihn mehr als verstehen. „Willst du das alles wegwerfen? Willst du jetzt allein mit allem fertig werden? Ist das der Grund, warum du dich nicht gemeldet hast?"

Schnell drehte ich mich um. Sah ihn eindringlich an und brachte ihn zum schweigen. „Glaubst du das wirklich?"

„Was soll ich denn anderes glauben? Du sagst ja nichts!"

„Du hast ja auch keine Ahnung!" Sauer fuhr ich mir durch die Haare. Ich war mir durchaus bewusst, dass Kian nichts für die Situation konnte. Ich war derjenige, der zweigleisig fuhr, nicht er. Und ich musste mit den Konsequenzen leben. „Es ist kompliziert."

Der Blonde verschränkte seine Arme. „Dann klär mich auf."

„Das geht nicht so einfach."

„Wieso nicht?" Seine Stimme war deutlich sanfter als vorher und als ich mich schließlich zurück aufs Bett setzte und auf den Boden starrte, wuchs sein Mitleid mir gegenüber ins Unermessliche. Ich konnte den besorgten Glanz in seine grauen Augen förmlich vor mir sehen als er sich still neben mich setzte. „Ist es so eine große Sache? Sehr viel krimineller als damals konntest du doch gar nicht werden."

Ich schmunzelte. „Wie kommst du darauf, dass ich kriminell bin?"

„Wäre nichts Neues", grinste er. „Und offenbar hast du Angst vor etwas. Sonst würdest du es mir ja erzählen." Sacht rempelte er mich mit seiner Schulter an. „Also? Was hast du ausgefressen? Ich schwöre dir, wir bekommen dich da wieder raus und dann-"

„Das ist nicht das Problem."

Endgültig genervt stand mein Kindheitsfreund auf und tigerte durch den Raum. „Weißt du was, Miles? Ich bin mehrere tausend Kilometer durch ganz Nordamerika gefahren, weil ich ein beschissenes Foto von deinem Onkel und die kleine Hoffnung hatte, dass du noch lebst. Hab Geld, Zeit und Nerven geopfert, ziemlich viel riskiert und wahrscheinlich meinen Platz in der Gang verloren." Verzweifelt kam er wieder auf mich zu. „Und ich würde alles genauso wieder machen. Einfach, weil du mir wichtig bist."

„Kian-"

„Und jetzt finde ich dich und du willst mir nicht einmal sagen, was dein Problem ist und wieso du nicht mit nach Hause kannst oder willst." Verletzt brach er den Blickkontakt ab und eine eisige Stille erfüllte den Raum.

Niemand sagte mehr was. Nur die nervigen Stimmen anderer Gäste drangen ins Zimmer. Genauso wie die Geräusche der tickenden Uhr, die mich daran erinnerte, dass ich eigentlich zurück musste. Matt und Ryan vermissten mich sicher schon. Wenn sie keinen Verdacht schöpfen sollten, sollte ich mich besser auf den Weg machen.

Seufzend stand ich auf und steckte mein Handy ein, welches noch auf dem Nachttisch lag. „Ich weiß, wie das auf dich wirken muss."

Resigniert schnaubte er. „Schön, dass du das weißt."

„Du bist mir auch wichtig, Kian und ich bin unglaublich froh, dass du mich gesucht und gefunden hast, wirklich. Aber im Moment gibt es ein paar Dinge, die ich noch regeln muss. Und ich verspreche dir...", auf die Unterlippe beißend rang ich mir schließlich das Versprechen ab, „Dass ich dir alles erklären werde, irgendwann."

Für einen Moment schloss er die Augen, ehe er zögerlich auf mich zukam und mich umarmte. „Dann klär das, was auch immer es ist. Und danach reden wir. Versprochen?"

„Versprochen", brummte ich zustimmend und versuchte die Panik in mir zu unterdrücken. Ich hatte keine Ahnung, was und wie ich das klären sollte. Ich konnte Jackson doch nicht einfach in alles einweihen! Meine Ehrlichkeit hatte er immer sehr geschätzt, das wollte ich nicht einreißen. Nur spitzte sich die Lage irgendwann zu und besser regelte ich das, als irgendein dummer Zufall.

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Hey❣️
Miles steckt ganz schön in der Zwickmühle, wie würdet ihr euch an seiner Stelle entscheiden?

Hoffe, dass ich das Kapitel gefallen hat. Bitte das Sternchen nicht vergessen. Schönen Tag noch.💗

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now