| 54 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Schweren Herzens folgte ich Kians gelber BMW durch die klare Nacht. San Diego lag jetzt hinter uns und vor uns erstreckter sich die ganze Welt. Der Weg nach Arizona stand uns offen und wie die größten Feiglinge flohen wir vor unseren Problemen davon.

Nur mit der Hilfe meines Onkels konnten wir unseren Tod möglichst echt vortäuschen.

Zwar war er von unserem Plan nicht begeistert gewesen, doch nach meinem Anruf und einem ausführlichem Gespräch war er bereit uns zu helfen. So hatte er uns von der geplanten Razzia erzählt und im Club Beweise platziert. Einige seiner Freunde, die ebenfalls bei der Polizei waren, erwiesen sich als brauchbare Hilfe. Scheinbar nahmen auch sie es mit der Wahrheit nicht so ernst und wenn sie seine Aussagen bestätigten, würde schon keiner nachfragen oder Nachforschungen anstellen.

Zudem hatte der Brand tatsächlich ein paar Opfer gefordert. Zwei mehr machten da keinen Unterschied.

Dank einem befreundeten Cop bekam ich dann auch mein Handy und meine geliebte Yamaha wieder. Und seither waren wir auf der Flucht. Alles notdürftige hatten wir in einen Rucksack gepackt und waren dann sofort aufgebrochen.

Das Dateland Travel Center in Arizona war unser Ziel und womöglich für die nächste Zeit unser Zuhause.

Nur wenige Fahrzeuge waren unterwegs als wir den Highway befuhren und dann geradewegs in die Nacht steuerten. Die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen und irgendwie fühlte es sich komisch an San Diego mit solch einer Ungewissheit zu verlassen. Immerhin hatten wir so zu allen den Kontakt abgebrochen. Nur unser Onkel konnte uns im Notfall noch erreichen.

Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie die Hydra auf die Sache reagieren würde. Ob sie es schon wussten? Suchten sie vielleicht schon nach mir?

Vielleicht würden sie erstmal Ruhe bewahren. Schließlich war ich schon mal über Nacht verschwunden... oder aber sie ahnten etwas. Ich wusste es nicht und genau das nervte mich. Diese Ungewissheit. Und das schlechte Gewissen, welches so intensiv in meiner Brust drückte, dass mir das Atmen schwerfiel. Bereits damals in New York hatte ich alles zurücklassen müssen, hatte den Kontakt abgebrochen und hatte ein neues Leben angefangen. Doch da war der Schnitt aus meiner Sicht für immer.

Dieses Mal würden wir wiederkommen. Und ich hatte keine Ahnung wie ich es ihnen erzählen sollte. Hallo, da bin ich wieder! War alles nur fake, haha... Wohl kaum. Sie würden mich lynchen.

Ich stieß die Luft aus.

Doch der Plan musste jetzt durchgezogen werden, so blöd ich ihn auch fand und so leid mir meine Freunde auch taten. Matt und Ryan mussten sich jetzt allein Gedanken um die Miete machen, die Hydra hatte schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit keinen Beta und Jackson... wurde wieder mal belogen.

Jedoch reichte mein schlechtes Gewissen nicht aus, um mich umdrehen zu lassen. Ich fuhr weiter.

Kian kam mit allem deutlich besser klar. Sein Hass auf die Armenia war groß, ebenso seine Hoffnung, dass hier so alles besser werden würde. Aber ich hatte Zweifel. Unbekümmert fuhr er vor mir über den Highway, seine Rücklichter strahlten in der Nacht und auch ohne Navi schien er genau zu wissen wohin wir fahren mussten. Ich hingegen hatte keinen blasen Schimmer.

„Ey Kian, wo verbringen wir eigentlich die Nacht?", fiel mir plötzlich ein. Mein Rücken und meine Handgelenke taten von der gebeugten Haltung auf der Supersportler bereits weh und allein bei dem Gedanken an ein warmes Bett, könnte ich dahinschmelzen.

„Keine Ahnung, wir schauen mal was kommt. Ne Raststätte oder so vielleicht."

Müde ließ ich den Kopf hängen.

Dank den Cops hatten wir moderne Kopfhörer für unsere Helme bekommen, mit denen wir kommunizieren und telefonieren konnten, was bei der langen Fahrt einiges erleichterte. So musste man nicht jedes Mal anhalten, wenn etwas beschlossen wurde, und ich konnte mir die Zeit vertreiben. Von meinem Onkel hatten wir dazu noch etwas Taschengeld bekommen.

Damit wir den Plan allerdings durchziehen konnten, gab es ein paar Bedingungen seitens meines Onkels.

Zum einen sollten wir jeden Tag Kontakt haben. Eine Nachricht, ein Anruf, Rauchzeichen... irgendwas, damit er sicher sein konnte, dass wir noch lebten und der Plan stand. Zudem durften wir uns nicht trennen. Das war ihm ganz besonders wichtig. Obwohl ich volljährig war, behagte es ihm nicht, mich allein in ein mir fremdes Land zu lassen und selbst für meinen Lebensunterhalt zu sorgen. Wir sollten einfach gegenseitig auf uns aufpassen. Und zu guter letzt sollten wir die Finger von sämtlichen kriminellen Dingen lassen. Keine Straßenrennen, Drogen, Waffen, Gangs und sonstigen Sachen. Und dabei hatten wir sofort zugestimmt. Fürs erste war uns der Geschmack vergangen.

So fuhren wir nun zu zweit durch die Nacht.

Und tatsächlich... trotz der Umstände fühlte ich mich unglaublich frei. Kian und ich. Wir gegen den Rest der Welt, so fühlte es sich an. Niemand auf dem Highway wusste von unserem Plan. Niemand würde uns in Arizona kennen. Und das gefiel mir.

Nach einer weiteren Stunde, die mir schrecklich lang und qualvoll vorkam, tauchte plötzlich eine einladende Raststätte am Rande auf.

„Ich glaube die nehmen wir", bestimmte Kian und innerlich jubelte ich. Noch eine Minute länger und ich wäre wohl für immer erstarrt. Es war unfassbar kalt und meine Muskeln hatten sich bereits protestierend angespannt. Wurde Zeit sich mal die Beine zu vertreten. Umso erleichterter war ich als Kian auf den Parkplatz der Raststätte, was eher wie ein Motel aussah, fuhr.

Mit knacksenden Knochen stieg ich ab, nahm den Helm runter und vollführte verrenkende Bewegungen, um wieder in Schwung zu kommen. Kian tat es mir gleich.

Als wir wenig später an der Rezeption das allerletzte Zimmer bekamen und den stickigen Raum anschließend betraten, war mir alles egal. Hauptsache nur noch schlafen. So ignorierte ich auch die Tatsache, dass es nur ein Doppelbett gab, stattdessen warf ich mich einfach auf die eine Hälfte und legte mein Handy auf den Nachttisch. Es war bereits nach Mitternacht und mit schwerem Herzen wischte ich die ganzen Nachrichten und Anrufe der Hydra beiseite.

Sie hatten mich also schon gesucht.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Zu der Müdigkeit und Kälte gesellte sich nun auch Trauer und Einsamkeit. Fast schon Heimweh mit einer Spur schlechtem Gewissen.

Doch das änderte sich schnell als sich Kian zu mir legte. Erschöpft legte er sich auf die andere Seite, drückte seinen Rücken gegen meinen und murmelte ein vernuscheltes Gute Nacht, ehe er leise einschlief und mich mit dem Gefühl tiefer Bruderschaft zurückließ. Ja, es lief gerade nicht ideal, aber ich war garantiert nicht allein. Und was morgen sein würde... darum konnte ich mich morgen kümmern.

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now