| 48 | 𝐉𝐚𝐜𝐤𝐬𝐨𝐧

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Meine Atmung ging schwer. Mein Brustkorb fühlte sich seltsam eingeengt an. Und meine Augen brannten. Das Schlucken tat mir weh und eine fast schon gruselige Ruhe hatte meinen Körper und Geist ergriffen.

Ryans Worte hatten mehr hinterlassen als gedacht.

Ich finde Neros Verbannung war ein Fehler. Ein Großer.

Die ganze Nacht hatten mich Albträume geplagt. Mir war zu warm und kalt zugleich und meine Decke konnte mir kein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Ich fühlte mich nackt unter ihr. Als dann die Einsamkeit über mich kam, konnte ich nicht mehr. Mehrere Stunden hatte ich um meinen besten Freund getrauert. Ihm hinterhergeschrien, geweint und alles bereut. Er war weg. Für immer. Und das Schlimmste... ich konnte nichts daran ändern. Denn ich wusste nicht wo ich suchen sollte.

Kurz nach Sonnenuntergang war ich dann in die Villa meiner Eltern geflüchtet. Meine Wohnung hatte mich förmlich erdrückt und ich wusste einfach nicht wohin ich sonst gehen sollte. Schmerzlich war mir bewusst geworden, dass ich außerhalb der Hydra keine Freunde hatte und mein Bruder, mein Kindheitsgefährte und bester Freund war auf alle Zeit fort.

Das Wasser zu meinen Füßen glitzerte in der Vormittagssonne und die säuberlich geschnittenen Büsche meiner Mutter spiegelten sich darin. Doch all der Glanz im Garten war nutzlos.

Nicht besonders freundlich hatte der Butler meiner Mutter die Eingangstür geöffnet und mich hereingebeten. Als wäre ich ein Eindringling und kein Familienmitglied. Mein Vater war glücklicherweise auf Geschäftsreise und konnte mein erbärmliches Selbst somit nicht sehen. Meine Mutter hingegen... sie hatte eine Rede parat. Jobangebote, Karrieretipps und viel zu viele Fragen.

Jedoch hatte ein Blick gereicht und sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Die daraufhin folgende Umarmung war das Liebevollste, was ich je von meinen Eltern bekommen hatte. Wertvoller als jedes Geld, Auto, Wohnung oder Schmuck.

Dennoch konnte ich nicht mit ihr Reden. Wir hatten kein Vertrauen, keine innige Beziehung oder etwas derart. Und daran würde sich auch nichts ändern.

So saß ich nun am Pool meiner Eltern, bereute so ziemlich die letzten Jahre und trauerte meinem alten Leben hinterher. Meinen Kindertagen. Ja verdammt sogar meiner Schulzeit. Klar, meine Eltern hatten kaum Zeit und Liebe übrig. Aber ich fühlte mich gewissermaßen beschützt und Nero war da. Wir hatten uns. Und das hatte immer gereicht. Das war das Einzige, was zählte.

Aber jetzt... irgendwie war alles aus den Fugen geraten.

Meine Welt hatte sich in einer Geschwindigkeit verändert, dass es kaum greifbar war. Die Kontrolle war mir entwichen. Doch das war nicht schlimm. Ich hatte dieses Leben quasi selbst gewählt. Hatte mir eingeredet, dass ich das wollte. Nur hatte ich die Gang zusammen mit Nero aufgebaut. Im kleinem Stil natürlich. Ich war glücklich, unabhängig. Frei.

Und jetzt saß ich hier und mir war nur nach heulen zumute.

All die Kämpfe, die Auseinandersetzungen, die Armut, die Tode... Es hatte sich hochgeschaukelt. Nero war nicht mehr da. Ich war allein. Und selbst Matt und Ryan wollten nicht mehr. Selbst ihnen wurde es zu viel. Sie als Mitgründer wollten mich mehr. Alec war seit seinem Unfall und Conners Tod nicht mehr derselbe und Damien war ursprünglich ein Serpens. Was waren das denn für Aussichten?

Nur auf Miles konnte ich noch bauen. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Mit seiner Hilfe könnte ich es vielleicht noch zurechtbiegen. Die Hydra konnte noch gerettet werden.

Aber für Nero war alles zu spät.

Ich hatte ihn aus der Gang verbannt. Aus San Diego und aus unserer Familie. Seine Eltern hatten keine Ahnung wo ihr Sohn war. Warum er fort war. Wahrscheinlich dachten sie er wäre mit einer Frau durchgebrannt, wäre Drogen verfallen oder in die Kriminalität abgerutscht. Was auch immer. Wo auch immer er war... er hatte keine Heimat mehr. Ich hatte sie ihm genommen.

Ich hasse dich dafür, dass du ihn einfach rausgeworfen hast. Ohne finanzielle Unterstützung oder sonst irgendwas! Hast ihn fortgejagt wie einen Hund!

Ryan hatte recht. Nero hatte das nicht verdient. Aber was sollte ich tun?! Ihm einfach alles verzeihen? Er hatte uns alle angelogen, uns in Gefahr gebracht und mich hintergangen. Laut den Regeln hätte ich ihn töten sollen. Seine Verbannung war Gnade!

Schmerz machte mir das Atmen schwer und tief durchatmend legte ich mich zurück ins Gras. Sah in den grellen Himmel.

Er war dein Bruder! Ja, meine ganze Familie.

Und mein Freund. Er wollte doch nur das Richtige.

Ich schloss die Augen. Ich zweifelte nicht an Neros Motiven. Nein. Aber ich war verletzt und hatte die Verantwortung für viele Leute. Ich konnte nicht Nichts tun! Es war eine Ausnahmesituation! Wütend unterdrückte ich die aufkommenden Tränen. Noch nie hatte ich mich so alleine gefühlt. Es schien als würde ich alles der letzten Jahre aufarbeiten. Alles Vergessene, Ignorierte und Verhasste.

Ja, ich bereute vieles. Aber was jetzt?

Ich konnte nichts davon rückgängig machen und wieder einmal standen wir einer Bedrohung gegenüber. Dieses Mal sogar mit Problemen in den eigenen Reihen. Und einem Cop auf unserer Seite! Ich lachte. Es wurde ja immer besser.

Müde hob ich den Kopf.

In diesem Garten hatten wir als Kinder gespielt. Wir hatten nur uns. Unsere Eltern hatten unsere Freundschaft vorherbestimmt. Sie wollten, dass wir Freunde waren. Doch wir waren Brüder. Nicht weniger und nicht mehr. Eigentlich sollten wir ihre Firma weiterleiten, nur wurde daraus nichts mehr. Und seit Neros Verschwinden hatte ich seine Eltern nicht mehr zu Gesicht bekommen. Am Ende gaben sie mir die Schuld dafür. Wie Recht sie doch hatten.

„Jackson", riss mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken.

Ruckartig richtete ich mich auf, zog die Beine aus dem Wasser und strich mein Shirt glatt. „Was gibt's, Mutter?"

Mit einem gequältem Ausdruck sah sie mich an, ehe sie zu mir kam und die Hand auf meine haarige Wange legte. „Was brauchst du, um wieder auf die Beine zu kommen?" Tatsächlich besorgt musterte sie mich. „Geld? Eine Weltreise? Vielleicht einen Therapeuten? Was es auch ist, bitte sag es, aber so kann es nicht-"

„Was meinst du? Mir geht es so wie immer. Gut, ich bin arbeitslos, aber-"

„Ich rede von deiner Depression, Schatz", meinte sie seltsam ruhig.

Mir gefror das Blut in den Adern und ich riss meinen Kopf aus ihrer Berührung. „Meiner was?! Mir geht es gut! Nur finanziell ist es ein bisschen dünne, aber das wird schon."

Zweifelnd verzog sie das Gesicht, doch schließlich nickte sie und seufzte. Dann deutete sie zur Tür. „Da ist übrigens Besuch für dich." Verwundert ging mein Blick zur Terassentür. Matt stand da mit einem seltsamen Blick im Gesicht. Nervös nestelten seine Finger an den Trägern eines Rucksacks und mit einem kurzen Seitenblick zu meiner Mutter ging ich schließlich zu ihm.

RIDERS ~ Lost MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt