| 8 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Die grellen Rücklichter des schwarzen Motorrads vor mir halfen mir dabei, die Maschine nicht aus den Augen zu verlieren. Geschickt schlängelte sie sich um andere Verkehrsteilnehmer herum und bog anschließend scharf rechts ab, ich hinterher.

Ich hatte irgendwie das Gefühl für die Zeit verloren, doch irgendwann sah ich erstaunt aufs Meer. Die Küste war direkt vor uns und der fremde Fahrer fuhr nun an der San Diego Bay entlang.

Doch ich riss meinen Blick von der atemberaubenden Landschaft und schaltete einen Gang hoch. Auf der geraden Strecke hatte ich fast meine Höchstgeschwindigkeit erreicht und als ich den sechsten Gang endlich reindrückte, war ich mit dem anderen Motorrad fast gleich auf. Beinahe synchron fuhren unsere Köpfe zur Seite und für einen Moment sahen wir uns durch das verdunkelte Visier an. Dann unterbrach ich den Blickkontakt und ließ meine Augen kurz über die Maschine schweifen. Aprilia. Eine RSV 4R. Überrascht riss ich meine Augen auf. Die kannte ich doch! War das etwa-

Ein Ruck ging durch meine Maschine, welchen ich am ganzen Körper spürte und schnell verstärkte ich den Griff am Lenker. Blöder Gullideckel!

Innerlich fluchend sah ich wieder nach vorn. Mein Gegner hatte den Vorsprung genutzt und war weitergefahren. Frustriert holte ich wieder auf, als er in einer Kurve zu weit hinaustrieb und drängte ihn an den Straßenrand. Ein Auto hupte, das war mir im Moment aber egal. Letztlich blieb dem anderen Fahrer nichts anderes übrig als anzuhalten, da er nicht gegen eine Steinmauer fahren wollte. Ich hielt bei ihm, versperrte ihm somit den Weg nach vorn und die feuchte Wiese, auf die er ausgewichen war, machte den Rückwärtsgang nicht gerade einfach.

Seine beschissene und ausweglose Situation einsehend, schaltete er in den Leerlauf und sah mich wieder durchs Visier an.

Ich schaltete meinen Motor ebenfalls aus. Anschließend nahm ich meinen Helm ab und legte ihn auf den Tank vor mir. Wenn das wirklich Damien war, wie ich vermutete, dann sollte er mich doch erkennen, oder?

Nur zögernd tat mein Gegenüber es mir gleich und als ich sein Gesicht endlich sehen konnte, stockte mir kurz der Atem.

Es war Damien. Aber er sah nicht sonderlich gut aus.

„Damien?", entfuhr es mir und angesprochener fuhr leicht zusammen. Er wirkte eingeschüchtert und hatte nichts mit dem ehemaligen Gangmitglied zu tun, welches ich in Erinnerungen hatte. „Ich... was wolltest du in der Einfahrt?"

Er antwortete zunächst nicht, mied den Augenkontakt zu mir und trommelte nervös mit seinen Fingern auf dem schwarzen Tank herum.

„Damien... alles okay?", fragte ich mit unergründlicher Besorgnis, da er nichts sagte.

Der Schwarzhaarige seufzte. „Ich hab dich gesucht. Also eigentlich nicht gesucht, mehr zufällig gefunden", stammelte er. „Irgendwie hatte ich gehofft dich zu finden, aber als du dann plötzlich vor mir standst, da hat wohl die Angst übernommen und ich-"

„Schon gut", unterbrach ich ihn sanft. „Was wolltest du denn von mir?"

Das ehemaligen Serpensmitglied brach den Augenkontakt ab. „Ich...", fing er jämmerlich an, doch dann brach irgendwann der Damm. „Die Serpens sind weg! Oder ausradiert, keine Ahnung. Überall ist die Polizei und zu meinem Dad kann ich nicht immer... nicht ohne Geld. Ich war doch ganz allein. Und da wollte ich nur-"

„Zu jemanden, den du kanntest und der Ähnliches durchmacht", ergänzte ich ihn.

Zunächst überrascht, aber dann unglaublich erleichtert nickte er. „Genau."

Schweigen entstand und wir beide vermieden es, den jeweils anderen anzusehen. Wir beide sagten nichts, aber dennoch hing eine unausgesprochene Frage in der Luft.

„Du wolltest mir jetzt aber nicht durch die Blume sagen, dass du der Hydra beitreten willst?", wollte ich nach einiger Zeit wissen, in der ich ihn aufmerksam gemustert hatte. Jackson würde mich wahrscheinlich rupfen, wenn ich mit einem ehemaligen Serpens um die Ecke käme. Andererseits hätte er vielleicht Mitleid und würde Damien trotzdem aufnehmen, da wir unterbesetzt waren. Nur gäbe es dann ein weiteres Maul zu stopfen.

Damien sah zögerlich hoch. „Naja... also eigentlich...ja", entgegnete er. „Ich weiß, dass das nicht so einfach ist, aber-"

„Nicht so einfach?", unterbrach ich ihn. „Du kennst Jackson und auch unsere momentane Situation, das geht nicht so einfach."

Mein Gegenüber sah mich verstehend, aber auch bittend an. „Glaub mir, Miles, ich weiß das. Aber du bist jetzt doch der Beta, bitte leg ein gutes Wort für mich-"

„Woher weißt du das?!", unterbrach ich ihn.

„Von Alec."

„Alec?"

„Ja, wir hatten vor einer Woche telefoniert. Ihm geht es nicht gut, aber er hat sich trotzdem nach mir erkundigt", entgegnete er. „Weißt du, es ist nicht einfach, wenn man alles verliert, vor allem wenn man vorher schon wenig hatte und als Conner...", Damiens Stimme brach und ein verräterischer Glanz in seinen Augen erinnerte mich an meinen Schmerz, als ich damals alles verlor. „Conner und Alec waren für mich alles, Miles. Und was ist jetzt? Der eine ist tot und der andere psychisch labil im Krankenhaus. Ich will doch nur mit bei ihm sein, wenn er entlassen wird."

Innerlich bereits umgestimmt fuhr ich mir übers Gesicht. „Ist gut, Damien. Glaub mir, ich versteh dich und würde dich auch sofort aufnehmen, aber ich kann im Moment Jackson diesbezüglich nicht wirklich einschätzen", erklärte ich. „Aber ich kann mit ihm reden."

Damien Augen fingen an hoffnungsvoll zu leuchten. „Ich... danke, Miles!"

„Bedank dich nicht zu früh", meinte ich zögerlich. „Noch hat er nicht zugesagt."

Mein Blick schweifte wieder ab in Richtung der Bay. Wie sollte ich Jacks sowas bitte verklickern? Ich konnte schlecht mit einem ehemaligen Serpens vor seiner Tür stehen und ihm Damien wie ein auf der Straße gefundenes Kätzchen unterjubeln. Oder war er eher der Hundetyp? Er würde vielleicht sogar meinen Posten anzweifeln. Mich degradieren und-

„Miles, wenn du dich dabei so unwohl fühlst, musst du das auch nicht machen", zog Damien wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.

Meine Mundwinkel zuckten humorlos nach oben. Ich fühlte mich alles andere als wohl bei der Sache. Aber andererseits war ich auch einfach nur sauer auf mich selbst. Ich hatte sonst auch nie ein Drama darum gemacht, wenn ich Jackson um etwas gebeten hatte und bisher konnte ich meine Meinung immer erfolgreich verteidigen. Meistens zumindest.

„Wir werden mit ihm reden, Damien, aber nicht heute", bestimmte ich. „Wenn wir ihn so spät stören, kann das nur scheiße enden. Wir machen das morgen Früh."

Der Schwarzhaarige nickte und ich konnte förmlich sehen wie die Last von seinen Schultern fiel. Er wirkte sofort offener und nicht mal eine Minute später hatten wir schon Nummern ausgetauscht. Danach fuhr er mit einem Dauerlächeln davon. Ich hingegen konnte das Treffen gerade immer noch kaum fassen und hoffte einfach mal, dass ich Jackson die Nachricht irgendwie schonend beibringen konnte, dass ich einen ehemaligen Feind quasi zu uns brachte.

RIDERS ~ Lost MemoriesOù les histoires vivent. Découvrez maintenant