| 35 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

45 14 0
                                    

Mein Körper wusste mit der Situation nicht umzugehen. Mir wurde heiß und kalt zu gleich und mir lief der Schweiß den Rücken hinunter. Ich war auf das Gespräch nicht vorbereitet, wollte einfach nur verschwinden und mich auf Lebzeiten verstecken. Denn ich sah einfach keinen Ausweg.

Alarmiert sah mein Onkel mich an, doch ich wich seinem Blick aus.

„Ich weiß, dass sie da sind, kommen sie schon!", forderte Jackson erneut und genervt ging mein Gegenüber mit großen Schritten in Richtung Haustür. Seine Dienstwaffe dabei fest in seiner Hand und besorgt, dass die Situation eskalieren könnte, eilte ich ihm hinterher. „Sind sie taub, ich habe-" Sofort verstummte der Hydraanführer als mein Onkel energisch die Tür aufriss und sich ihm drohend gegenüberstellte.

„Du hast vielleicht einen Mut hier aufzukreuzen!", fuhr er ihn an.

Jacksons Blick glitt abschätzend zu der dunklen Waffe, anschließend wieder zu dem Mann vor ihm. „Ich brauche ihre-" Erneut verstummte er als sein Blick auf mich fiel. „Miles?", stieß er ungläubig aus und schneller als ich oder mein Onkel reagieren konnten, hatte Jackson sich bereits an ihm vorbeigeschoben und mich in seine Arme geschlossen. Fest drückte er mich an sich und ich hörte ihn erleichtert die Luft ausstoßen, wobei seine Schultern sich sichtlich entspannten. Als würde eine schwere Last von ihnen fallen.

Auch meine Angst ließ nach. Zittrig schloss ich die Augen und schlang meine Arme um seinen Rücken. Ignorierte dabei die Schmerzen in meinem Oberkörper.

„Tu das nie wieder!", fauchte der Anführer ohne mich loszulassen und seine brüchige Stimme feuerte mein schlechtes Gewissen nur so an. „Du bist eine scheiß Null, okay? Kannst doch nicht einfach so abhauen!", murrte er weiter und verstärkte seinen Griff etwas.

Etwas erleichtert öffnete ich die Augen wieder und begegnete dem Blick meines Onkels, der die Szene misstrauisch, argwöhnisch, unsicher und irgendwie auch neugierig beobachtete. Seine Finger hielten seine Waffe immer noch bei sich, doch er würde kaum abdrücken, wenn von Jackson keine direkte Bedrohung ausging und ich nicht in wirklicher Gefahr war.

„Nach eurer Kuschelnummer nehme ich an, dass du nicht hier bist, um Miles zu töten?"

Überrascht drehte Jackson sich um, stand noch immer dicht bei mir. „Wie zum Geier kommen sie bitte darauf?" Nichtssagend hob mein Onkel die Augenbrauen und sah mich an. So glitt auch Jacksons Blick zu mir und erschrocken riss er die Augen auf und zerquetschte mein Gesicht mit seinen Händen, um es genauer zu mustern. „Ach du- Was ist denn mit dir passiert?! Wer war das und-"

Unwohl entriss ich mich seiner Berührung. „Es ist alles gut."

„Sicher!" Mit versteinerter Miene zog er mein Kinn erneut zu sich heran und musterte mein verletztes Gesicht. „Du siehst aus wie ein benutzter Boxsack. War das der Typ gegen den du gefahren bist?!"

Die Augen meines Onkels weiteten sich.

„Nein-"

„Wer dann?! Ihr seid nie beim Plaza angekommen, was soll auf der kurzen Strecke bitte passiert sein?"

Ziemlich viel. „Können wir darüber in Ruhe reden?", fragte ich hoffnungsvoll, da ich das Gespräch auf später verschieben wollte und nach kurzem Zögern nickte mein Gegenüber. Ließ es sich dabei aber nicht nehmen mich eingehend anzusehen, wodurch mir seine stark unterlaufenen Augen auffielen. Die Nacht hatte ihn auch einiges gekostet.

„Ich glaube wir sollten uns erstmal setzen und weiter frühstücken", warf mein Onkel müde ein und schloss die Tür. Irritiert sahen wir ihm beide hinterher und folgten ihm. „Du isst doch mit uns, oder?", fragte er an Jackson gewandt und dieser nickte zögerlich, konnte mit der Gastfreundschaft nichts anfangen. Zurecht. „Kaffee?" Wieder ein Nicken.

Als er uns die Tassen reichte, wurden diese prompt von Jackson vertauscht. Als befürchtete er irgendeine giftige Substanz in seinem. Ich schmunzelte.

„Kann mich jetzt bitte jemand aufklären?", verlangte der Schwarzhaarige schließlich und sofort sah ich auf den höchst interessanten Küchenboden.

Mein Onkel setzte sich zu uns, seine Waffe legte er auf seinen Schoß. „Ich habe deinen Freund letzte Nacht an einer Tankstelle aufgesammelt, nachdem er dort verprügelt wurde", fasste er kurz zusammen und sah mich anschließend prüfend an. Er hatte Angst zu viel zu sagen und mit Jackson hatte er schließlich noch ein Hühnchen zu rupfen.

„Ich wollte das eigentlich von Miles selber hören und, dass er verprügelt wurde, sehe ich selbst!"

„Du hast hier gar kein Recht irgendetwas einzufordern. Am Ende steckst noch du und deine dreckige Gang dahinter und wenn dem so ist, dann schwöre ich, dass ihr alle im Knast verrecken werdet!", giftete mein Onkel zurück und während ich in meinem Stuhl immer kleiner wurde, erstachen sie sich mit ihren Blicken. „Abgesehen davon hast du mich fast meinen Arm gekostet, vergiss das nicht. Das war schwere Körperverletzung! Du kannst froh sein, dass ich euch beide nicht angezeigt habe!"

Unbeeindruckt lehnte Jackson sich zurück. „Sie würden wohl kaum ihr letztes Familienmitglied hinter Gitter bringen." Er grinste. „Und die Tatsache, dass sie mich hier an ihrem Frühstückstisch sitzen lassen und bedienen, spricht dafür, dass sie mich nicht vollkommen als Feind sehen."

Missmutig verzog mein Onkel das Gesicht. „Du hast leider recht. Du bist im Moment nicht mein Feind." Er nahm einen weiteren Schluck. „Sondern diejenigen, die Miles das angetan haben und auch, wenn sich mein gesamtes Inneres dagegen sträubt, so will ich ihm zur Seite stehen und finde, dass du dich dabei als nützlich erweisen würdest. Immerhin habe ich von eurer Welt zu wenig Ahnung und mit deiner Hilfe, könnte ich Miles besser aus der Scheiße holen."

„Dafür müsste ich erstmal einmal wissen, in welcher Scheiße er überhaupt steckt."

„Sag du es mir, er ist schließlich in deiner Gang", konterte mein Onkel genervt und als Jackson ihn überrascht ansah, fuhr er fort. „Glaub mir, ich kann eins und eins zusammenzählen. Du lagst damals verletzt auf meinem Sofa und seit dem Vorfall, hat Miles sich komisch benommen. Von der Sache bei den Straßenrennen ganz zu schweigen. Und eure Motorräder tragen das selbe Zeichen. Ich bin doch nicht blöd. Was bist du? Der Anführer der Hydra?"

Angespannt hielt ich die Luft an. Es kratzte mich an, dass sie nur über mich sprachen, statt mit mir, aber so musste ich ihnen wenigstens keine Rechenschaft geben. Und so hielt ich die knisternde Luft aus und schielte zu meinem Anführer.

„Ja, der bin ich", knurrte dieser und sah mich anklagend an. Er wusste, dass ich meinen Onkel bereits in Dinge eingeweiht hatte, die er niemals wissen sollte. „Keine Ahnung, was Miles ihnen alles erzählt hat, aber ich hatte ihm den Kontakt zu ihnen verboten und ihn nun hier zu finden, gefällt mir nicht sonderlich, auch, wenn ich mir unglaublich Sorgen gemacht habe. Und sie können sich vorstellen warum." Er seufzte. „Sie könnten mich in große Schwierigkeiten bringen und ich sie."

„Dazu wird es nicht kommen, wenn du schweigen kannst. Momentan stehen wir wohl auf derselben Seite. Wir wollen beide Miles helfen."

In Jacksons Augen lag ein Blick, den ich nicht definieren konnte, und kalt lief es mir den Rücken hinunter. „Vermutlich, aber dafür müsste er uns erst einmal sagen, was passiert ist und wer ihm das angetan hat."

RIDERS ~ Lost MemoriesWhere stories live. Discover now