Der Grimm (2|2)

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Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile, bis Bruin ausgehfertig war. Sie brauchte immer ewig, um sich zurechtzumachen, auch wenn sie in meinen Augen sogar am frühen Morgen schon perfekt aussah. Diese Makellosigkeit war wohl ihrer Natur als Buhlerin geschuldet.

Nachdem ich in meine mit Gewichten beschwerten Albenstiefel geschlüpft war, die ich laut der freymoldischen Gesetze beim Verlassen der Wohnung zu tragen hatte, und Bruin endlich mit ihrem Aussehen zufrieden war, machten wir uns auf den Weg.

Wir kamen jedoch nicht weit. Direkt vor meiner Wohnungstür wurden wir von Frau Peregrimm, meiner Vermieterin, die von Bruin nur der Grimm genannt wurde, abgefangen.

»Fräulein Laurendel ...«, sagte sie tadelnd und stemmte die Fäuste in die mollige Taille. Ihr wirres, graues Haar war zu einem losen Dutt aufgesteckt und sie hatte sich ihre karierte Reinemach-Schürze umgebunden, wie immer, wenn sie unter dem Vorwand, den Hausputz zu erledigen, ihre Mieter bespitzelte. »Was war denn letzte Nacht nur los bei Ihnen?«

»Bei mir?«, erwiderte ich und versuchte, ehrlich überrascht auszusehen. 

Leider war ich eine wirklich unglaublich schlechte Lügnerin. Bruin und Ludvik behaupteten immer, sie könnten mir an der Nasenspitze ablesen, wenn ich etwas vor ihnen verheimlichte. Das Einzige, das ich je erfolgreich vor ihnen hatte verbergen können, war die Sache mit meinem Verlobten. Und das vermutlich auch nur, weil ich ihn selbst fast vergessen hatte.

Der Grimm drohte mir mit dem erhobenen Zeigefinger. »Ich hatte es Ihnen doch gesagt: keine Herrenbesuche.«

Bruin und ich lächelten wie zwei Kinder, die mit den Händen im Honigtopf erwischt worden waren.

»Wenn Sie sich nicht daran halten, können Sie Ihre Sachen packen«, schob der Grimm mit zornig funkelnden Augen hinterher. 

Die alte Frau hatte sich nur sehr widerwillig dazu bereiterklärt, einen Halbling zu beherbergen, aber bei Männern zog sie offenbar eine Grenze.

»Ich versichere Ihnen, da waren keine-«, setzte ich an, wurde aber von Ludvik unterbrochen.

»Guten Morgen, die Dame«, grüßte er höflich.

Hinter ihm perlten nacheinander die anderen Drachenkrieger in den Flur hinaus. Die meisten von ihnen hatten ihre schweren Lederrüstungen und Umhänge abgelegt und waren nur in dünnen Leinenhemden und einfachen, wadenlangen Beinkleidern unterwegs. Einige verzichteten sogar komplett auf Oberbekleidung, sodass ihre beeindruckenden Muskeln und verschnörkelten Drachenkrieger-Tätowierungen zu sehen waren. Viele wiesen zudem vereinzelte Niederling-Merkmale auf, wie spitze Zähne, Hörner oder Schuppen, was sie noch bedrohlicher aussehen ließ.

Der Grimm schnappte wiederholt nach Luft, während die Männer freundlich lächelnd und nickend an ihr vorbeiströmten.

»Also das ... das ...«, keuchte sie, nachdem alle bis auf Ludvik das Haus verlassen hatten. »Das ... schlägt dem Fass ja wohl den Boden aus. Was haben Sie da drin veranstaltet? Eine Orgie?«

Ich warf Bruin einen hilfesuchenden Blick zu. Ihrem breiten Grinsen nach zu schließen, amüsierte sie sich königlich.

»Vielleicht kann ich diese Situation aufklären«, sagte Ludvik in einem geschäftsmäßigen Tonfall.

»Na, da bin ich aber gespannt«, krächzte der Grimm.

»Sie sind soeben Zeugin eines offiziellen Drachenkrieger-Einsatzes geworden.« Er präsentierte ihr seinen Umhang mit der bronzenen Brosche. »Wir waren zum Glück gerade noch rechtzeitig vor Ort und konnten die Gefahr beseitigen.«

»Gefahr?« Der Grimm riss die kleinen, blassblauen Augen auf und krallte die Hände in seine Schürze. »Was für eine Gefahr?«

»Ein bösartiger Trutner«, log Bruin, ohne mit der Wimper zu zucken. »Niederlinge, die von Menschen oder Halblingen Besitz ergreifen, ihnen Albträume verursachen und sich an ihrer Angst laben.«

ALBENBLUTWhere stories live. Discover now