Eine Orgie am Morgen (4|6)

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Ludvik und Eldastin verließen die Nebelkammer, in der ich von dem tätowierten Mann beleidigt worden war. Die beiden wirkten beinahe einträchtig. Verbündete bei der Verteidigung meiner Ehre.

Es war so lächerlich, dass ich schmunzeln musste. Vor allem, weil ich keinerlei Bedarf nach einem Ritter in strahlender Rüstung hatte. Mit einem aufdringlichen Menschen kam ich schon zurecht. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich ein eindeutiges Angebot bekam, auch wenn ich zugeben musste, dass die meisten Männer ihr Anliegen etwas weniger direkt formulierten. 

Und es mochte sowohl meinen tätowierten Freund als auch Ludvik und Eldastin überraschen, aber ich hatte schon mal einen Schwanz angefasst. Ich war ja keine Tempelschülerin, die sich der Jungfräulichkeit verpflichtet hatte – obwohl ich zugeben musste, dass meine Einstellung zu sexuellen Begegnungen zwiespältig war. Genau wie meine ganze Natur als Halbalbin. Einerseits wollte ich es. Andererseits nicht. Derzeit wollte ich nur eines: Bruin finden.

Gerade als ich mich wieder der Nebelkammer zuwandte, erschien die Frau mit dem weiß geschminkten Gesicht vor mir. »Bitte«, sagte sie und zog die Tür zu, sodass ich nicht sehen konnte, was im Innern der Kammer geschah. »Belästigen Sie nicht unsere Gäste.«

»Ich höre sofort damit auf, wenn Sie mir sagen, wo ich Bruin finden kann.«

Die Frau sah sich verstohlen um, dann senkte sie den Kopf. »Folgt mir.«

Mit kurzen Schritten trippelte sie davon.

Ich vergewisserte mich, dass Ludvik und Eldastin hinter mir waren, dann heftete ich mich an ihre Fersen.

Wir durchquerten den Korridor und bogen um eine Ecke in einen weiteren Korridor ein, der nur von funzeligen Fischöllampen erhellt wurde. Die morschen Holzdielen knarrten unter Ludviks Gewicht. Aus einer der angrenzenden Kammern drang lautes Stöhnen.

Ich fragte mich, wie die Menschen von Gronholt an Sex denken konnten, während Leichen aus dem Beletz gezogen wurden und die Vindr wie Geier über der Stadt kreisten. Andererseits waren die meisten Menschen wahre Meister darin, Unangenehmes zu verdrängen. Vielleicht war das etwas, das ich noch von ihnen lernen konnte.

Um die Geräusche zu übertönen, bemühte ich mich um eine Unterhaltung. »Was hat es eigentlich mit Ihrer Gesichtsbemalung auf sich?«

Die Frau zögerte. 

Als sie nach ein paar Schritten antwortete, war ihre Stimme so leise, dass ich mich anstrengen musste, um sie zu verstehen. »Das ist ein traditionelles Dunn zu Ehren der Nebelgöttin und ihrer Töchter.«

»Den Seben Duhtern«, murmelte ich in Erinnerung an die Legende, die mir während des Studiums zu Ohren gekommen war.

Es hieß, wenn der Himmelsgott Eburun guter Stimmung wäre, würde er mit der Nebelgöttin Megela sieben Töchter zeugen. Personifikationen der magisch erscheinenden Strahlenbüschel, die manchmal im Nebel zu sehen waren, wenn Sonnenlicht hindurchschimmerte. Früher hatten die Menschen im Norden diesen Effekt für ein gutes Omen gehalten und allerlei Umstände betrieben, um den Seben Duhtern gefällig zu sein, immer in der Hoffnung, dass sie ihr Haus segnen und ihnen zu Glück und Wohlstand verhelfen würden.

»Nur Noeri-Frauen dürfen dieses Dunn tragen«, ergänzte die Frau in einem strengen Tonfall, der ihre leise Stimme und ihre unscheinbare Erscheinung Lügen strafte. Anscheinend nahm sie die alte Religion sehr ernst. Damit war sie in Hertland definitiv in der Minderheit. Nur ganz im Norden und in Teilen Sandalusiens wurden noch Götter verehrt. Überall sonst waren die Tempel verwaist oder dem Erdboden gleichgemacht worden.

»Und wenn eine Frau das Dunn tragen würde, die keine Noeri ist?«, hakte ich nach.

»Dann würde der Zorn der Götter über sie kommen«, war die unheilvolle Antwort.

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