Der Goldkater (4|7)

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Ich kämpfte die Erinnerung und meine damit verbundenen Gefühle herunter.

»Bruin?«, hallte Ludviks Stimme durch den Dampf. »Wenn du hier bist, dann-«

Ehe er den Satz zu Ende bringen konnte, kam ein frischer Wind auf, ließ die Flammen in den Feuergruben tanzen und zerriss die Dampfschwaden, die uns eingehüllt hatten.

Die Luft klärte sich. Auch hinter meiner Stirn lichtete sich der Dunst und das Gefühl von Trunkenheit verebbte. Was blieb, war ein unangenehmes Gefühl von Nüchternheit.

Und damit war ich wohl nicht alleine. Die frivolen Gäste der Nebelstube wirkten, als hätten wir sie aus einem Traum aufgeweckt. Verwundert blinzelten sie in den unsteten Schein der Flammen, die zuckende Schattenmuster an die kahlen Steinwände warfen.

»Mak Maggott«, sagte Eldastin in die entstandene Stille. 

Obwohl er nicht laut gesprochen hatte, schienen seine Worte den Raum, der ohne den Dampf seltsam leer wirkte, bis in den hintersten Winkel auszufüllen.

Die Blicke der Anwesenden wandten sich der Stirnseite der Nebelkammer zu. Dort befand sich eine holzverkleidete Wandvertiefung, die von zwei bronzenen Katzenstatuen flankiert wurde. In dieser Nische stand ein damastbespannter Diwan – und darauf saßen zwei Gestalten.

Eine davon war Bruin.

»Bruin!«

Ich wollte sofort zu ihr laufen, aber Ludvik streckte den Arm aus und hielt mich zurück. Zwei Herzschläge lang nahm ich es ihm übel, dann kam ich wieder zu mir und erkannte, dass ich kurz davorgestanden hatte, einen Fehler zu begehen.

Mein Blick wanderte zu Bruin, die hochaufgerichtet auf dem Diwan saß und mir nur ein flüchtiges Zucken der Mundwinkel schenkte. Sie trug ein aufregendes, smaragdgrünes, tief ausgeschnittenes Musselinkleid und hatte ihre Haare zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt, die an ein Nest feuerroter Schlangen erinnerte.

Neben ihr saß ein Mann, der nicht krimineller hätte aussehen können, wenn man ihm Ich bin der Manroos-König von Freymold auf die Stirn tätowiert hätte. Sein Gesicht war kantig, rotstichig und pockennarbig. Wie Ludvik gesagt hatte, war Maggotts linkes Ohr nicht mehr als ein von Brandspuren umrahmtes Loch. Die Wunden setzten sich über die ganze linke Hälfte seines Schädels fort und verwandelten seinen Kopf in eine von Kratern und Klüften durchzogene Wüstenlandschaft. Dagegen spross auf seiner anderen Schädelhälfte lockiges, hellbraunes Haar, das ihm bis zu den Schultern reichte. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, wie weiße Mäuse, die mich aus der Dunkelheit ihrer Verstecke heraus abschätzend musterten.

Ich erwiderte seinen Blick und spürte, wie sich die Gänsehaut, die ich schon beim Betreten der Kammer gespürt hatte, auf der Innenseite meines Schädels ausbreitete. Das Gefühl war so ekelhaft, dass ich die Lider senken und den Blickkontakt abbrechen musste.

Maggotts mit Silberfäden durchsetzte Seidentunika raschelte, als er sich aufrichtete und die beringten Hände auf dem Knauf seines Gehstocks faltete. »Es heißt, Ehrlichkeit öffne jede Tür«, sagte er mit einer Stimme wie Körner, die unter einem Mühlrad zermahlen wurden. »Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ehrliche Drohungen noch weitaus effektiver sind.«

Die Flammen in den Feuergruben flackerten und ich vernahm ein langsam anschwellendes Pfeifen, das eine Schneise durch meine Gedanken fraß.

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Ludvik seine Nasenwurzel berührte. Offenbar hörte er es auch.

»Also ...«, fuhr Maggott fort. »Wer seid ihr drei Gestalten und was führt euch hierher? Antwortet ehrlich und ich lasse euch vielleicht am Leben.«

Seinen Worten folgte eine kurze Pause, in der ich nur das Pfeifen in meinem Kopf und ein leises Tuscheln von den Zuschauern auf den Holzbänken hörte.

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