Klug sein (10|5)

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Am nächsten Morgen wurde ich von Ayk geweckt.

Es kam mir vor, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen. Was gar nicht so weit hergeholt war, weil ich die halbe Nacht wachgelegen und Eldastins Worten gelauscht hatte. Offenbar hatte er die ganze Zeit in den Wind hinein gesprochen.

Warum? Um die Verbindung zu mir aufrechtzuerhalten? Damit ich mich nicht alleine fühlte? Um sich selbst nicht alleine zu fühlen? Oder aus irgendeinem ganz und gar praktischen Grund?

Es spielte keine Rolle.

Ich war ihm dankbar dafür, dass er mit mir gesprochen hatte. Auch wenn die einseitige Unterhaltung mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hatte.

Eldastin hatte mir berichtet, dass er nach meiner Flucht aus Albenheim ebenfalls die Stadt verlassen hätte. Jahrelang hätte er im Nordwesten gelebt. In den Draulanden. Einem verödeten Landstrich am Fuß des Sickelrim-Gebirges. Ganz nah am Territorium der Vindr. Er hatte mir von seinem Alltag dort erzählt. Von den Einheimischen und ihren Traditionen. Von der unwirtlichen Natur und von seiner Hoffnung, dass dort irgendwann wieder ein normales Leben möglich sein würde. Das war eine Seite an Eldastin, die ich mir gar nicht vorstellen konnte. Andererseits verstand ich nun, wieso er so viel über die Noeri wusste. Was ich nicht verstand, war: Warum hatte Eldastin Albenheim verlassen? Weshalb hatte er im Nordwesten gelebt? Und was hatte er dort getan, außer tote Bäume entwurzeln, Brunnen graben und wilde Tiere verscheuchen?

Oder hatte er sich das alles bloß ausgedacht, um mich zu unterhalten?

Irgendwie passte das noch weniger zu Eldastin als die Annahme, alles wäre wahr.

»Hey, Zuckerfee!« Ayk schüttelte mich. »Aufwachen! Sieh mal, wer wieder da ist.«

»Ich musste die ganze Nacht reiten, um euch zu finden«, knurrte Chatte und presste sich eine Hand ins Kreuz. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein Chaos da draußen herrscht. Einen Angriff der Vindr hat es hier schon eine Weile nicht mehr gegeben. Überall sind Soldaten und Drachenkrieger unterwegs. Und die Lotrechten ...« Chatte schüttelte missbilligend den Kopf.

»Muss Wasser auf ihre Mühlen sein«, bemerkte Ayk.

»Sieht jedenfalls nicht rosig aus für Ober- und Niederlinge in diesem Land.« Chatte maß mich mit hochgezogenen Brauen und vibrierenden Schnurrhaaren. »So gesehen, kannst du froh sein, dass du uns hast.«

»Jawoll«, ergänzte Ayk und tätschelte meine Schulter. »Wir passen auf dich auf.«

Ich schnaubte. Dann ließ ich es über mich ergehen, dass sie mir erneut Gewichte an die Füße banden und mich auf ein Pferd verfrachteten, das Chatte mitgebracht hatte. Ayk kletterte hinter mir in den Sattel und Chatte schwang sich auf den Rücken eines gefleckten Ponys.

»Darauf sind Sie geritten?«, fragte ich.

Chatte rutschte im Sattel in eine bequemere Position. »Ja ...«

»Kein Wunder, dass das die ganze Nacht gedauert hat.«

Ayk klopfte sich auf die Schenkel und lachte. »Da hat sie nicht Unrecht, Chef!«

»Ja, sie ist witzig«, grollte Chatte finster. »Ein richtiger Hofnarr ...«

Ich konnte mir ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen.

»Mal sehen, ob Sie auch noch so witzig ist, wenn wir in Malachit ankommen.«

»Ist eine schöne Stadt«, sagte Ayk zu mir. »Wenn sie nicht so nah am schwarzen Schlund läge.«

»Genau genommen, liegt sie im schwarzen Schlund«, erwiderte ich.

»Warst du schonmal da?«

ALBENBLUTTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang