Seelenmagie (5|1)

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»Gib das her«, brummte Eldastin und streckte auffordernd die Hand aus.

Ich ignorierte ihn und versuchte weiter, das Glas mit der Wundsalbe aufzudrehen. Erfolglos. Der Deckel musste sich irgendwie verhakt haben. Ich packte fester zu und wimmerte vor Schmerz, als sich das Blech in meine verätzte Handfläche grub.

»Nun gib schon her.« Eldastin klaubte mir das Glas aus der Hand. Ich konnte nicht so genau sehen, was er machte, aber es musste irgendwie den Luftdruck im Raum verändern. Jedenfalls erklang bereits wenige Sekunden später ein gut hörbares Plopp und der Deckel sprang auf.

»Danke«, murmelte ich und wollte das Glas wieder an mich nehmen, aber Eldastin schob meine Hände weg und nahm neben mir auf dem Bett Platz.

Als mir klar wurde, was er vorhatte, wich sämtliche Spannung aus meinem Körper und ich sackte ein Stück in mich zusammen. Ein äußerlich sichtbares Zeichen meiner inneren Kapitulation.

Während Eldastin den Deckel abhob und mit den Fingern etwas Salbe aufnahm, ließ ich den Blick durch meine unordentliche Schlafstube wandern. Auf der Suche nach einem Versteck, um meine Wunden zu behandeln, waren wir in meine Wohnung zurückgekehrt. Wir wussten, dass wir nicht lange bleiben konnten, aber eine kleine Atempause tat uns beiden gut. Seltsamerweise war mein Zuhause vom Angriff der Vindr verschont worden. Die Häuser rundherum hatte es ziemlich schlimm erwischt, aber meine Wohnung war auf beinahe magische Weise unversehrt geblieben. Ich schob es auf die Artefakte, die ich bei mir aufbewahrte.

Bei diesem Gedanken huschte mein Blick wie von selbst zu dem Verbindungsartefakt, das vor mir auf dem Nachttisch lag. Es bestand aus einem tiefschwarzen Material, hatte die Form eines Halbmondes und war von feinen Rissen durchzogen, die ein mysteriöses, gelbes Glitzern offenbarten.

»War es das wert?«, murmelte ich.

Eldastin fasste meine Wange und drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste. Seine Hand fühlte sich unerwartet warm an. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er sich kalt anfühlen müsste. »Wir wissen jetzt mehr über den Niederling, der dich umbringen wollte«, sagte er und tupfte etwas Salbe auf mein blutiges Kinn. Der intensive Geruch von Kräutern breitete sich aus. »Ich denke, das wird uns noch von großem Nutzen sein.«

»Ach ja?«, seufzte ich. »Und was genau wissen wir über diesen Niederling?«

»Er hat menschliche Helfer.«

»Zauberer«, erwiderte ich. Die Salbe brannte in der Wunde und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um keinen Schmerzenslaut von mir zu geben. »Maggott war das, was wir einen Niederling-Zauberer nennen.«

»Ich wusste nicht, dass es da verschiedene Kategorien gibt«, sagte Eldastin, während er meinen Kopf hin und her drehte, um nach weiteren Verletzungen Ausschau zu halten.

»Nach den Theorien von Professor Balinn schon.«

»Und was sind das für Theorien?«

»Professor Balinn und Andere seines Fachs glauben, dass Alben keine Seele besitzen und dass es die menschliche Seele ist, die verhindert, dass Menschen Magie ausüben können.«

Ein kurzes Lächeln huschte über Eldastins Züge und war verschwunden, bevor ich mir einen Reim darauf machen konnte. »Soso«, murmelte er. »Dann besitze ich also keine Seele?«

»Den Eindruck könnte man schon gewinnen.«

»Demnach sind Seelen wichtig, um ...« Eldastin ließ den Satz unvollendet.

»Um tiefergehende Gefühle zu empfinden«, vervollständigte ich.

»Das heißt, du glaubst, dass ich keine tiefergehenden Gefühle empfinde, nur, weil ich sie mir nicht anmerken lasse oder darüber spreche?«

»Wie du ja weißt«, erwiderte ich scharf, »habe ich eine Weile unter Alben gelebt und das – was auch immer es ist – ist kein Problem des Sich-anmerken-lassens oder des Darüber-sprechens.«

»Na schön«, seufzte Eldastin. »Mal angenommen, dein Professor hätte Recht und wir Alben besäßen keine Seele. Was ist dann mit dir oder diesen Zauberern?«

»Da ich keine Magie anwenden kann, denke ich schon, dass ich eine Seele besitze.«

»Ich kann schwimmen, aber das macht mich nicht automatisch zu einem Fisch«, gab Eldastin zurück, schürzte die schmalen Lippen und ergänzte: »Kein guter Vergleich, aber dieselbe Logik.«

»Du willst doch nicht bestreiten, dass ich mich von dir und den anderen reinblütigen Alben unterscheide, oder?«

»Nein. Das will ich nicht.«

»Irgendwoher muss das ja kommen«, schob ich hinterher. »Und was die Zauberer angeht ... es heißt, es gäbe einen Weg, auf dem Menschen einen Zugang zu Magie erlangen könnten.«

Eldastin musterte mich interessiert. Seine farblosen Augen schimmerten wie Opale. Mir wurde bewusst, dass wir noch nie so zusammengesessen hatten. Die Nähe zu Eldastin ließ mich noch etwas anderes erkennen. Etwas, das ich mal gewusst und wieder vergessen hatte. Reinblütige Alben besaßen keinerlei Körpergeruch. Vermutlich schwitzten sie auch nicht. Lauter Dinge, die ich mich nie zu fragen getraut hatte.

»Nun ...« Ich knetete meine Fingerknöchel und betrachtete die Wunde an meiner Handinnenfläche. »Um Magie zu erlangen, müssen Menschen ihre Seele zerstören.«

»Klingt nicht, als wäre es leicht.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist es nicht. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten, um das zu erreichen.«

»Jetzt bin ich gespannt«, kommentierte Eldastin und fasste nach meiner verletzten Hand.

Mir war klar, dass er lediglich Salbe auf die Wunde schmieren wollte. Trotzdem musste ich mich anstrengen, meinen Impulsen zu widerstehen und nicht vor ihm zurückzuweichen. Meine Abneigung gegen ihn saß offenbar viel tiefer als ich gedacht hatte.

»Bei der ersten Methode muss der Mensch etwas so Grauenhaftes tun, dass es seine Seele zerreißt«, erklärte ich. »In der Regel bedeutet das ... andere Menschen zu ermorden.«

»Und die andere Methode?«, wollte Eldastin wissen.

Ich räusperte mich. »Angeblich ist es möglich, seine Seele kontrolliert zu verdrängen und das Gleichgewicht der Elemente im eigenen Körper zu verschieben. Durch starke Konzentration ... Selbstaufgabe ... Meditation.« Ich seufzte. »Irgendwo auf Fieweroog soll es eine Gemeinschaft von Aussteigern geben, die damit wohl erfolgreich gewesen ist.«

»Und was denkst du ... welche Methode hat Maggott angewendet?«

»Die erste«, antwortete ich ohne zu zögern. »Immerhin hatte er ein enferisches Verbindungsartefakt.« Ich holte zu einer Erklärung aus. »Wenn ein Mensch seine Seele zerstört hat, bedeutet das noch nicht, dass er das Gleichgewicht der Elemente in seinem Körper kontrollieren kann. Das erfordert eine Art innere Stärke. Aus diesem Grund verleihen Niederlinge manchmal Verbindungsartefakte, die die Balance der Elemente für den Menschen steuerbar machen. In Maggotts Fall hat der Verlust des Artefakts zu einer unkontrollierbaren Verschiebung der Elemente geführt. Mit unvorhersehbarem Resultat.«

»Und warum machen Niederlinge das?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht als Gegenleistung für einen Gefallen.«

»Ganz genau«, sagte Eldastin, während er die Salbe in meiner Handinnenfläche verteilte und dabei sorgsam darauf achtete, nicht direkt in die Wunde zu fassen.

Langsam gewöhnte ich mich an seine Berührungen. Jedenfalls wurde mein Drang, vor ihm wegzurennen, geringer.

»Ich weiß nicht, was ich von den Theorien deines Professors halten soll«, fuhr Eldastin fort. »Aber in einem sind wir uns einig: Dieser Maggott war nur ein Helfer. Er hat im Auftrag des wahren Attentäters gehandelt. Dieser Attentäter muss ein Niederling sein, der – aus welchen Gründen auch immer – nicht persönlich in Erscheinung treten kann oder will. Jemand, der Artefakte erschaffen und Menschen zu seinen Handlangern machen kann.«

»Mit anderen Worten ...«, murmelte ich.

Eldastin sah mich direkt an und die Kälte in seinem Blick fuhr mir tief unter die Haut. »Jemand sehr Mächtiges.«


ALBENBLUTWhere stories live. Discover now