Der Gesang des Windes (8|5)

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Mein Optimismus hielt jedoch nicht lange.

Die Nacht schien sich ewig hinzuziehen. Irgendwann verstummten die Stimmen der Männer und eine beunruhigende Stille senkte sich über das Lager herab.

Beunruhigend vor allem deshalb, weil ich bei jedem Rascheln im Gras und bei jedem Auffrischen des Windes daran denken musste, dass neben Niederlingen und Banditen auch noch andere Kreaturen hinter mir her waren. Besonders die Vindr machten mir Sorgen. Sie konnten jederzeit wie ein Harpyienschwarm über das kleine Lager herfallen. Ich mochte gar nicht daran denken, was dann aus mir werden würde. Und was würde passieren, wenn die enferische Lunte mich einholte? In diesem Käfig saß ich wie auf dem Präsentierteller.

Der Gedanke verselbstständigte sich in meinem Innern. Meine Brust schien immer enger zu werden und die Gitterstäbe immer näher zu rücken. Der Wind flüsterte meinen Namen, so wie vor ein paar Tagen in Gronholt, kurz bevor die Vindr über uns hergefallen waren.

A ... li ... na, hörte ich ihn raunen, während er durch das Gras streifte und die Plane erzittern ließ. Aber vielleicht war das auch nur meine Furcht, die mir Ungeheuer in jedem Schatten und Worte in jeder Brise vorgaukelte.

Um mich zu beruhigen, legte ich mich mit angezogenen Beinen flach auf den Boden, schloss die Augen und versuchte, ruhig und regelmäßig zu atmen. Dabei stellte ich mir vor, ich wäre Zuhause in Gronholt. In meiner kleinen Wohnung im Hafenviertel oder in meinem noch kleineren Büro an der Universität. Dort hatte ich mich trotz der Enge nie derart erdrückt gefühlt.

Meine Gedanken schweiften weiter. Ich dachte an den Pittapott, an abendliche Spaziergänge am Ufer des Beletz und an meine Arbeit auf der Bruchstätte. Die Arbeit unter freiem Himmel hatte mir immer besonders viel Spaß gemacht. Das Suchen, Aufsammeln und Analysieren von Artefakten hatte meinem Leben als Halbling einen Sinn verliehen. Außerdem mochte ich es, eine Aufgabe zu haben. Ich war gerne beschäftigt. Das hielt die unangenehmen Erinnerungen in Schach.

Die Zeit nach meiner Flucht aus Albenheim war nicht immer einfach gewesen, aber wenn ich jetzt daran zurückdachte, empfand ich vor allem Wärme, Wohlbehagen und Zufriedenheit. Ich hatte mir ein eigenes Leben aufgebaut. Ein Leben mit einem anständigen Beruf, einer inneren Leidenschaft und guten Freunden. Und ich war glücklich gewesen.

Doch meine schönen Erinnerungen wurden von Ängsten und Zweifeln getrübt. Der Schlaf wollte nicht kommen, ich fror und zu allem Überfluss bekam ich auch noch Hunger. Mittlerweile hatte ich seit fast 24 Stunden nichts mehr gegessen und auch wenn Alben deutlich länger ohne Nahrung auskommen konnten als Menschen, verspürte ich so langsam ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend, das mich davor warnte, es nicht zu übertreiben.

Mit kalten, fast steifen Fingern kramte ich in meiner Hosentasche und zog Eldastins Glücksbringer hervor. Sogar im Dunkeln glänzte das Metall, als würde es das blasse Mondlicht anziehen, das durch die Spalten und Risse in der Abdeckung hereindrang. 

A ... li ... na, säuselte der Wind. Die Plane raschelte geheimnisvoll und das Glöckchen im Innern der Messingfigur bimmelte leise.

Das Geräusch grub sich wie ein plötzlicher Eisregen unter meine Haut.

Ich setzte mich ruckartig auf. Meine Gedanken wirbelten herum und ich musste mich mental strecken, um die vage Idee zu fassen zu bekommen, die mich hatte aufschrecken lassen.

Vorsichtig, als könnte eine zu schnelle Bewegung den Funken in mir wieder zum Erlöschen bringen, krabbelte ich zum Rand des Käfigs und lugte durch das Loch in der Plane. Nichts. Die Banditen schienen zu schlafen. Das Lagerfeuer war nur noch ein schwaches Glimmen in der Dunkelheit. Die Luft schien rein zu sein.

Kurzentschlossen streckte ich die Hand mit dem Glücksbringer durch die Öffnung.

Zuerst geschah gar nichts, doch als ich den Glücksbringer mit Daumen und Zeigefinger am Faden hielt, wurde er vom Wind erfasst und das Glöckchen bimmelte munter drauflos. Zuerst fiel es mir schwer, dem Redeschwall des Windes zu folgen. Es war lange her, dass ich seine Stimme vernommen hatte. Und selbst mithilfe der improvisierten Gloribel fiel es mir schwer, ihn zu verstehen. Erst langsam – nach und nach – verwandelte sich das Gebimmel des Glöckchens in Worte.

Alina ... er ist ... wir finden ... auf der Suche nach ... sie suchen dich ... er sagt, ich soll dir ... wir werden ...  ausrichten ... dass sie dich finden.

Mein Herz schlug schneller.

Alina ... wir sind ... nördlich ... hinter dir ... zehn Meilen ... auf deiner Spur ... von Prim. Wenn du ... hörst ... das hier ... der Wind ... Freund ... ist dein.

Was ich hörte, jagte mir beinahe Angst ein. Angst und Erleichterung und so viele andere Gefühle.

Reflexhaft zog ich die Hand wieder zurück, presste mir den Glücksbringer an die Brust und lauschte auf das Hämmern zwischen meinen Rippen. Mein ganzer Körper schien zu vibrieren. Ich zitterte wie eine Pappel im Sturm, aber ich wusste nicht, ob vor Furcht oder Freude. 

Allerdings wusste ich, dass ich mir die Worte des Windes nicht eingebildet hatte. Er hatte mit mir geredet, klarer als jemals zuvor. Vielleicht, weil ich in seinen Augen an Bedeutung gewonnen hatte.

Und Eldastin ... ich war mir sicher, dass er durch den Wind zu mir gesprochen hatte. Bestimmt war es auch der Wind, der ihm verraten hatte, in welche Richtung wir unterwegs waren.

Aber das alles war nicht so wichtig. Für mich zählte in diesem Moment nur eines: Ich war nicht mehr alleine. Durch das Glöckchen waren meine Freunde in gewisser Weise bei mir. Leider hatte ich keine Möglichkeit, ihnen zu antworten. Trotzdem vollführte mein Magen einen kleinen, vorfreudigen Hüpfer und ich dankte den Guten Winden dafür, dass ich Eldastin auf meiner Seite hatte. Durch den Wind und den Glücksbringer waren wir miteinander verbunden. Und vielleicht würden er, Bruin und Ludvik uns schon bald eingeholt haben.

Mit diesem Gedanken ließ ich mich wieder zurücksinken. Diesmal kam die Müdigkeit mit der Wucht eines Stahlhammers. Ich hatte kaum die Gelegenheit, noch etwas zu empfinden, bevor mir die Augen zufielen und mein Bewusstsein davondriftete. Wärme stieg in mir auf und nur einen Wimpernschlag später war ich wieder in Albenheim, am Tag meiner offiziellen Verlobung ...



ALBENBLUTWhere stories live. Discover now