Party im Pittapott (1|2)

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Der Pittapott war eine Kneipe im Herzen von Gronholt. 

Als wir dort ankamen und aus dem Dampfwagen hüpften, stürmte es so heftig, dass wir uns beieinander unterhakten, die Köpfe einzogen und durch den Regen sprinteten.

Tropfnass und kichernd stolperten wir über die Türschwelle in die angenehme Wärme unseres zweiten Zuhauses. Für Bruin war es – genau genommen – sogar das erste Zuhause, denn sie wohnte in einem kleinen Zimmer über der Schenke.

»Jonnas!«, brüllte sie. »Deinen besten Tropfen für mich und Zuckersirup für meine bessere Hälfte!«

Jonnas, der rundliche Wirt des Pittapotts, hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Derweil wischte ich mir die nassen Haare aus dem Gesicht und zupfte den Gurt meiner Ledertasche zurecht. Meine blaue Wollweste und die eierschalengelbe Bluse, die ich darunter trug, waren vollkommen aufgeweicht. Zum Glück war es im Innern der Kneipe so mollig warm, dass ich nicht befürchten musste, mich zu verkühlen.

Mein Blick wanderte über die zwei langen Holztische in der Mitte des Gastraums, die um diese Uhrzeit bereits gut besetzt waren. Hauptsächlich Menschen, aber auch ein paar Niederlinge. Jonnas machte diesbezüglich keinen Unterschied.

Am hinteren Ende des schmalen Raums befand sich ein gemauerter Kamin mit einem offenen Feuer. Darüber hingen mehrere sandalusische Schutzamulette. 

Früher – vor dem Großen Sturz, als Oberlinge und Niederlinge in den Augen der Menschen nur Geschöpfe aus Mythen und Legenden gewesen waren – hatten sie geglaubt, dass diese Schmuckstücke sie beschützen würden. 

Inzwischen wussten sie, dass das gelogen war. Deswegen hatten sie ihren Göttern den Rücken zugekehrt und die alten Tempel umfunktioniert oder niedergerissen. 

Manchmal bedauerte ich das. Nur zu gerne hätte ich die vergangene Hochkultur der Sandlande in ihrer ganzen Pracht bewundert und erfahren, wie die Menschen damals gelebt, gedacht und gefühlt hatten.

Bruin und ich steuerten unseren Stammtisch auf der Galerie an. Von dort konnten wir den ganzen Gastraum überblicken. Rot blühende Trompetenwinden umschlangen das hölzerne Geländer und den Handlauf der Treppe. 

Von der Galerie führten drei Türen in die Hinterzimmer des Pittapotts. Dort fanden legale und illegale Kartenspiele statt. Manchmal nahm Jonnas auch Wetten an, vorzugsweise auf gesellschaftliche Ereignisse, wie Adelshochzeiten oder die Geburt eines neuen Thronfolgers. Bei so vielen Völkern, die auf einem Kontinent zusammenlebten, gab es immer irgendetwas, auf das sich wetten ließ – und wenn es der Ausbruch des nächsten bewaffneten Konflikts oder Scharmützels war. Denn davon gab es in Freymold und in den Holzlanden jede Menge. Beinahe täglich überschlug sich die Presse mit Meldungen irgendeiner neuen Barberei. Waldvölker gegen Steppenvölker. Nordvindr gegen Südvindr. Nordvindr gegen Sturmalben. Nordvindr gegen Waldalben. Nordvindr gegen Drachenkrieger. Alben gegen Drachenkrieger. Drachenkrieger gegen Drachenkrieger. Und so weiter und so fort.

»Und?«, fragte Bruin, während sie sich an unserem Tisch niederließ und die Beine übereinanderschlug. »Hast du heute wieder ausgiebig im Dreck gewühlt?«

»Ich war bei der Bruchstätte und habe die Sucharbeiten beaufsichtigt, wenn es das ist, was du wissen willst«, gab ich zurück, zog mir den Gurt meiner Tasche über den Kopf und warf sie auf den freien Stuhl, bevor ich mich neben Bruin sinken ließ. »Die meisten Trümmer befinden sich in einer steilen Schlucht, was die Bergung kompliziert macht.«

Vor siebenhundert Jahren waren die drei Irdenen Gefüge zerstört worden, was schlussendlich zum Großen Sturz geführt hatte. Dabei waren die Oberlanden auf die Welt der Menschen und Teile der Menschenwelt auf die Unterlanden gekracht. 

In den Trümmern der Oberlanden ließen sich auch heute noch manchmal magisch aktive und damit gefährliche Objekte finden. Diese aufzuspüren und zu untersuchen, gehörte zu meinem Beruf. Als Halbalbin fiel es mir leicht, Magie zu orten. Ich hatte eine Art sechsten Sinn dafür. Ein Kribbeln im Kopf und in den Fingern. Es war schwer zu beschreiben.

»Und was ist mit dir?«, wollte ich wissen. »Wie geht es deinen Honigwachsbohnen?«

»Sie wachsen und gedeihen«, erwiderte Bruin mit spitzen Lippen. »Aber ich will nicht vorschnell in Jubel ausbrechen.«

»Natürlich nicht. Ich meine, mit deinen Untersuchungen könntest du mal eben im Vorbeigehen das Hungerproblem eines ganzen Landes gelöst haben.«

»Das wird den Ratsherren gar nicht schmecken«, seufzte Bruin, lehnte sich zurück und schüttelte ihre lange, feuerrote Mähne aus. »Ich weiß noch, wie schwierig es war, die Unterstützung des Fachbereichs zu bekommen.«

Daran konnte ich mich auch noch gut erinnern. Oberlinge und Niederlinge durften sich zwar in der Menschenwelt niederlassen, aber das bedeutete nicht, dass uns die gleichen Rechte gewährt wurden, wie den Menschen, denen das Land gehörte.

Im Grunde konnte ich die Sorgen der Sterblichen verstehen. Als Halbalbin wusste ich nur zu genau, wie grausam Oberlinge sein konnten. Und was die Niederlinge anging ... die meisten von ihnen trachteten nur nach Tod und Zerstörung. Aber es gab Ausnahmen. Wie Bruin, die Gefallen am Leben unter den Menschen gefunden hatte und jetzt kurz davor stand, eine neue Bohnensorte zu entwickeln, die sogar auf verseuchter Erde wuchs.

»Ich denke, sie wollen nicht, dass ein Niederling den ganzen Ruhm einheimst«, sagte Bruin. »Das lässt meine menschlichen Kollegen schlecht dastehen.« Sie strich mit den Händen über ihr enges Samtmieder, das mit violetten Fransen und Troddeln verziert war. »Aber vielleicht denken sie auch, ich könnte sie vergiften. Dass meine ganze Arbeit nur ein hinterhältiger Plan ist, um die Menschheit endgültig auszurotten.«

»Es gibt bestimmt ein paar Niederlinge, die sowas machen würden.«

»Früher vielleicht, aber heute geht es für die meisten von uns ums nackte Überleben. Die Allianz hat die Schlimmsten meiner Art ausgerottet. Vindr, Alben und Drachenkrieger haben den Rest erledigt.« Bruin zuckte mit den Schultern. »Wer noch übrig ist, hält sich für gewöhnlich an die Regeln.«

»Gut zu wissen.«

Bruins Augen funkelten spöttisch. »Du hast doch nicht etwa Angst vor den großen, bösen Niederlingen?«

»Ich bin eine Halbalbin. Das heißt, ich stehe auf der Speisekarte vieler Niederlinge ganz weit oben. Natürlich mache ich mir manchmal Sorgen.«

Beim Gedanken daran, was Niederlinge meiner Art in der Vergangenheit alles angetan hatten, kroch mir eine eisige Kälte in die Knochen. Mit reinblütigen Alben würden sich die meisten Niederlinge nicht anlegen, aber Halbalben galten als leichte Beute.

Bruin lehnte sich in meine Richtung und legte mir die Hand auf den Unterarm. Ihre Nägel waren spitz gefeilt und blutrot lackiert. »Keine Angst. Sollte dir irgendein Niederling auch nur ein Haar krümmen, kriegt er es mit mir zu tun.«

Ich lächelte dankbar. »Du bist meine Heldin.«

»Ach was.« Bruin winkte ab. »Du hast mich während des Studiums oft genug gerettet. Ohne dich wäre ich sicher nicht da, wo ich jetzt bin. Also ...« Sie spähte in den Gastraum hinunter und zog verärgert die Brauen zusammen. »Wo bleiben unsere Getränke? Jetzt wäre der perfekte Moment zum Anstoßen.«

Ich folgte ihrem Blick mit den Augen. 

An den langen Tischen hatten sich inzwischen weitere Gäste eingefunden. Auch die Plätze an der Theke waren voll besetzt. Es duftete nach bitterem Bier und gebratenem Fleisch.

Die Kundschaft des Pittapotts bestand in erster Linie aus Menschen und Anderlingen, die im Universitätsdistrikt lebten oder arbeiteten. Viele trugen die schwarzen Uniformen und bunten Filzhüte der höheren Studenten. Es herrschte ein Brummen und Murmeln wie in einem großen Bienenstock. Hin und wieder konnte ich einzelne Wortfetzen heraushören. Die Studenten sprachen über die anstehenden Prüfungen und die Sienada, das Albische Herbstfest. Die Alben feierten den Wechsel des Leitwinds, für die Menschen war es ein Fest der Reinigung und des Neuanfangs.

»Das gibt's doch nicht«, keuchte Bruin und sprang so ruckartig auf, dass ihr Stuhl umkippte. »Sieh mal, Alina! Ist das Ludvik?«

Ich suchte den Gastraum mit Blicken ab – und tatsächlich! Jemand, der Ludvik Izensporn verdächtig ähnlich sah, hatte soeben den Pittapott betreten.


ALBENBLUTHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin