Schattenspiele (4|8)

99 31 10
                                    

Auch wenn Niederling-Kunst nicht mein Fachgebiet war, wusste ich sofort, mit was ich es zu tun hatte: Mit einem enferischen Verbindungsartefakt.

Diese zerstörerischen Werke waren in Hertland nicht selten anzutreffen und meine Kollegen und ich vermuteten daher, dass die Niederlinge eine konstante Versorgung ihrer Anhänger in den Menschenlanden sicherstellen wollten. Jedenfalls kam es ziemlich häufig vor, dass mir derartige Artefakte zugespielt wurden, im Glauben, dass es sich um Oberling-Kunst handeln würde.

Während ich den Anhänger begutachtete, wurden die Menschen und Niederlinge auf den Holzbänken, die bis dahin regungslos zugeschaut hatten, unruhig. Vielleicht stand ihnen der Sinn nach einem Kampf.

»Alina! Achtung!«, keuchte Bruin, während sie Maggott am Arm packte, um zu verhindern, dass er auf mich losging.

Von ihren Worten zum Handeln gedrängt, schälte ich mich aus meiner Wollweste und legte sie über das Artefakt, sodass ich es gefahrlos aufheben konnte.

»Nein!«, brüllte Maggott. »Gib es zurück! Gib es-« Seine Tonlage veränderte sich, wurde dunkler und dröhnender, so als würde er beim Sprechen in einen tiefen Brunnenschacht stürzen. Gleichzeitig schien sein Körper auf groteske Weise anzuschwellen und zu einem Teil der Schatten zu werden, die ihn noch immer umwaberten.

Bruin ließ seinen Arm los und wich vor ihm zurück, wobei sie sich in den Verteidigungsring von Eldastin und Ludvik einreihte, den die zwei um mich herum gebildet hatten.

»Was sollte das denn?«, zischte Ludvik, sein Knochenschwert in beiden Händen. »Mein Goldkater?«

Bruin knurrte etwas Unverständliches. »Ich hatte ihn fast so weit.«

»Wie weit?«, erwiderte Ludvik.

»So weit, dass er mir verrät, wer Alina umbringen wollte.«

»Und dafür musstest du ihm schöne Augen machen, oder was?«

»Zauberer sind nicht so leicht zu bezirzen wie normale Menschen.«

Bruin wich Maggott aus, der immer mehr die Kontrolle über die Elemente seines Körpers verlor und sich dabei in einen riesigen Schatten-Kraken zu verwandeln schien. Immer neue Arme wuchsen aus seinem Körper hervor und zuckten nach uns wie Tentakeln nach einem Beutetier.

»Aber ich hatte es im Griff«, ergänzte Bruin. »Jedenfalls, bis ihr hier aufgetaucht seid.«

Ludvik lachte. »Klar. Du hattest es im Griff. Du hattest alles im Griff.«

»Ja! Hatte ich!«

»Na, dann gehen wir am besten wieder und lassen dich das hier alleine regeln.«

Eine Bewegung im Augenwinkel machte mich auf einen Niederling aufmerksam, der halb Schlange und halb Mensch war – und mit gebleckten Giftzähnen zum Angriff ansetzte.

»Achtung!«, keuchte ich und rettete mich hinter Ludvik, der die Attacke des Niederlings mit seinem Schwert abwehrte. Die Klinge zischte durch die Luft und trennte meinem Angreifer den Kopf vom Rumpf. Grünes Blut sprudelte aus der Wunde und der Schlangenleib brach zuckend vor unseren Füßen zusammen.

»Warum hast du mir dann geschrieben, wenn du alles im Griff hattest?«, wollte Ludvik wissen.

»Damit du dir keine Sorgen machst, falls etwas passieren sollte«, antwortete Bruin und formte mit den Fingern ein Niederling-Zeichen, das Maggott aufheulen und seine peitschenden Schattenarme zurückzucken ließ.

»Du meinst, sowas wie ein Vindr-Angriff?«, hakte Ludvik nach.

Bruin nickte. »Ja. Genau sowas.«

»Dann hättest du deine Nachricht vielleicht etwas weniger wie einen Hilferuf formulieren sollen.«

ALBENBLUTOù les histoires vivent. Découvrez maintenant