Die Reiherallee (3|6)

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Im Gegensatz zu Ludvik und Eldastin hatte ich keinerlei Kampferfahrung. Trotzdem tat ich wohl das einzig Richtige und warf mich zu Boden. 

Funken regneten auf mich herab und prasselten rundherum auf das Straßenpflaster. Ein Luftzug streifte meinen Hinterkopf, als der Vindr im Sinkflug über mich hinwegglitt.

Metall klirrte gegen Metall. Dann ... ein hoher, pfeifender Gesang. Fast wie von einem Armbrustbolzen, der durch den Wind schnitt.

Ich hob den Kopf und musste atemlos mitansehen, wie Eldastins Maribel in einem zuckenden Lichtertanz das Gefieder des Vindr zerfetzte und den Geflügelten damit zur Landung zwang. Er fing sich mit einer Hand am Boden ab und fasste nach dem Schwert an seiner Hüfte. 

Im selben Moment wurde er von einer plötzlich aufkommenden Sturmböe wieder in die Luft katapultiert. Der Wind zerrte ihn herum, ließ ihn taumeln und trudeln, die mächtigen Schwingen nutzlos wie Hautlappen, und schleuderte ihn schließlich gegen eine Hauswand. Er prallte daran ab und stürzte mit einem dumpfen Geräusch aufs Straßenpflaster.

Mühsam und sichtlich benommen rappelte er sich wieder auf. Sein Gefieder bebte, als besäße es ein Eigenleben.

Ludvik fasste sein Schwert mit beiden Händen, aber Eldastin kam ihm zuvor. Seine Maribel zischte los und bohrte sich knackend und splitternd in die Stirn des Vindr. Am Hinterkopf des Geflügelten trat sie blutspritzend wieder aus und kehrte zu Eldastin zurück. Er hob die flache Hand, woraufhin die Kugel in der Luft verharrte und leise summend um die eigene Achse rotierte. Im wabernden Dunst konnte ich die zarten Luftströmungen erkennen, die sie umwirbelten und vom dunkelroten Blut des Vindr säuberten. 

Der Geflügelte war derweil zusammengebrochen. Das Loch in seiner Stirn schien mich anzustarren wie ein drittes Auge.

»Komm, Lina.«

Ludvik bückte sich, fasste meinen Oberarm und zog mich wieder auf die Beine.

Dicht gefolgt von Eldastin hasteten wir die Straße hinunter. 

An den neulyrischen Häuserfassaden zu beiden Seiten der Gasse verliefen dicke Bündel aus glänzenden Messingrohren, die zum Gronholter Postamt führten.

Nach ein paar Metern teilte sich der Dunst und ein Dampfwagen der Feuerknechte kam uns entgegen. Die meisten Menschen schienen sich in ihren Häusern zu verschanzen, aber ein paar waren auch noch auf den Straßen unterwegs. Kein Wunder. Schließlich war der Angriff der Vindr am frühen Abend erfolgt. Zu einer Zeit, in der viele Menschen Kneipen und Theater aufsuchten, um ihren Arbeitstag ausklingen zu lassen.

Sichtlich verängstigt huschten die Passanten von Hauseingang zu Hauseingang und spähten dabei immer wieder verunsichert in den Himmel.

»Aufmachen! Machen Sie uns auf!«, flehte eine junge Frau, die ein weinendes Mädchen an der Hand führte, und hämmerte mit der Faust gegen eine der Türen. Als niemand aufmachte, rannte sie zur nächsten Tür und versuchte es dort.

»Hey!«, rief Ludvik. »Kommt mit!« Er hustete in seine Armbeuge und winkte die beiden zu uns.

Gerade als sie angerannt kamen, brach ein Vindr im Sturzflug aus der Dunkelheit.

»Eldastin!«, keuchte ich.

Eldastin streckte die Hand aus, woraufhin sich eine Art Luftkissen bildete, das den Sturzflug des Vindr abbremste.

Der Geflügelte kämpfte einige Sekunden lang dagegen an, musste dann aber aufgeben und abdrehen, sodass Mutter und Tochter wohlbehalten bei uns ankamen. 

Beim Blick in die verheulten Kinderaugen wurde ich erneut von Schuldgefühlen überkommen. Ich hätte den beiden gerne etwas Tröstliches gesagt, aber mir fiel nichts Passendes ein. Also schenkte ich ihnen nur ein kurzes, entschuldigendes Lächeln.

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