Glück im Unglück (9|9)

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Trotz der Schmerzen richtete ich mich in Ayks Griff auf.

»Ho! Ho!«, machte Ayk. »Nun mal langsam, Zuckerfee.«

Ich ignorierte ihn und verrenkte mir den Hals. Um uns herum schien die Welt unterzugehen. Als wären die Menschenlande endgültig in die Unterlanden hinabgestürzt. Überall loderten Flammen. Die Stände der Händler, die kleinen Holzhäuser, die vielen Wagen und Karren brannten. Auch das Gebüsch, die knorrigen Bäume und spätsommerlichen Felder hatten Feuer gefangen. Noch am Nachmittag hatte ich Chattes Männer über die ungewöhnliche Trockenheit der letzten Wochen reden hören – ihrer Meinung nach eine Strafe der Wasseralben – doch jetzt wirkte es, als würde das Wetter den Vindr in die Karten spielen.

Das Einzige, das nicht brannte, war die Bruchstätte selbst. Unbeeindruckt ragte die Albin-Säule in den Nachthimmel und reflektierte den zuckenden Schein des Feuers. In diesem unsteten Licht konnte ich beobachten, wie die Menschen kopflos in die Dunkelheit abseits der Bruchstätte flüchteten oder am Boden Schutz vor den Geflügelten suchten, die immer wieder im Sturzflug angriffen. Das Rauschen ihrer Schwingen und das Tosen der Flammen hallten durch die Nacht, nur vereinzelt durchbrochen von den spitzen Schreien der Verwundeten.

Kalter Schweiß brach mir aus. Instinktiv strampelte ich mit den Beinen, um mich aus Ayks Griff zu befreien. »Macht mich los, bitte.«

»Nein«, schnappte Chatte.

»Aber-«

Irgendwo ganz in der Nähe explodierte etwas. Eine Feuerwolke schoss in den Himmel und versprühte bunt glühende Funken – ganz ähnlich denen der Feuerwerkskörper, die von den Pyromanisten gezündet worden waren.

»Wir brauchen Pferde«, keuchte Chatte, der von der Wucht der Explosion aus dem Gleichgewicht gebracht worden war.

Ayk deutete nach Norden. »Da hinten!«

»Dann los«, ächzte Chatte. »Du hast doch noch deinen Tvillich, oder?«

»Ja, Chef.«

»Ihr habt einen Tvillich?«, hakte ich nach und vergaß kurz das Inferno, von dem wir umgeben waren.

»Woher weißt du, was ein Tvillich ist?«

»Hah!«, machte ich und stemmte mich gegen Ayks Griff. Dabei schoss ein scharfer Schmerz durch meinen Rücken. Offenbar hatte mich der Dachbalken doch härter getroffen, als ich im ersten Moment vermutet hatte. »Das ist genau mein Spezialgebiet.«

»Wie schön für dich«, grollte Chatte. »Aber das wird uns auch nicht helfen, hier herauszukommen.«

»Ich könnte euch helfen, wenn ihr mich-« Die Worte kratzten unangenehm in meinem Hals, sodass ich erneut ins Husten geriet. »-losmachen würdet.«

Ein Vindr musste uns entdeckt haben. Jedenfalls hörte ich das Aufheulen des Windes, als der Geflügelte die Schwingen anlegte und in den Sturzflug überging.

Zu meiner Überraschung formierten sich einige Männer der weißen Garde. Lanzen und Schilde gen Himmel gerichtet, bildeten sie einen Ring um uns und ein paar andere Zivilisten, die zwischen den brennenden Karren kauerten.

»Runter!«, lautete ihre barsche, aber nachvollziehbare Anweisung.

Ayk ließ sich auf die Knie fallen. Trotzdem spürte ich den heißen Luftzug, den die Schwingen des Geflügelten verursachten. Ich sah das Aufblitzen einer Rüstung, den tödlichen Glanz einer Klinge. Das Klirren von Metall, das Schleifen von Stahl. Kampfgebrüll. Schmerzensschreie. Ein Kreischen wie von einer zornigen Krähe. Dann wechselte der Wind die Richtung, der Vindr drehte ab und verschwand wieder in dem roten Rauch, aus dem er gekommen war.

ALBENBLUTWhere stories live. Discover now