Glockenfreunde (10|4)

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Mit gefesselten Händen saß ich da und starrte auf das kleine Messing-Figürchen. War es ein Otter oder ein Wiesel oder irgendeine unbekannte Kreatur?

Vielleicht auch einfach nur ein Fehlguss.

Wie auch immer ... ich barg die Figur in den Händen und fühlte die Wärme des Metalls.

Eldastin.

Hatte er gewusst, dass wir getrennt werden würden? Nein, bestimmt nicht, sonst wäre er mir nicht von der Seite gewichen, aber vermutlich hatte er die Möglichkeit in Betracht gezogen.

Eldastin.

Ich spürte meinen stummen Seufzer im Bauch und in den Schultern. Als würde sich irgendetwas in mir ausdehnen und wieder zusammenziehen. Ich erinnerte mich daran, dass ich ihm die Schuld an Kyanos Tod gegeben hatte. Wenigstens für eine Weile. Dann waren die Ereignisse über mir zusammengebrochen, ich hatte Albenheim verlassen und nie wieder ernsthaft darüber nachgedacht. Ich hatte es vergessen wollen. Alles. Meine ganze Vergangenheit.

Was hatte Ayk noch gleich gesagt? Es spiele keine Rolle, wo wir herkämen, nur, wo wir hingingen? Instinktiv hatte ich ihm zugestimmt, doch war das wirklich die Wahrheit? Bestimmte nicht auch unser Weg unser Ziel? Gingen wir nicht – philosophisch betrachtet – alle zum gleichen Ziel? Und was, wenn wir dort ankamen? Würde es dann immer noch keine Rolle spielen, wo wir herkamen und welchen Weg wir genommen hatten?

Ich schloss die Augen.

Eldastin.

Mit Sicherheit hatte ich die Erinnerung an Kyano nie ganz verdrängen können. War das der Grund, aus dem ich so schlecht über ihn dachte? Oder wenigstens ein Grund? Und wie sollte ich jetzt über ihn denken? Jetzt, da ich wusste, dass Kyano noch am Leben war.

Meine Gedanken flogen zurück zu meiner Unterhaltung mit dem Wasseralben. Dabei schmerzten mein Rücken und meine aufgeschürften Unterarme wieder stärker. Ich ärgerte mich darüber, dass ich Kyano geholfen hatte. Er hatte meine Gutmütigkeit ausgenutzt. Und das Schlimmste daran war, dass ich ihm in gewisser Weise Recht geben musste. Mut und Selbstlosigkeit würden mir nicht viel weiterhelfen. Nicht, wenn ich wirklich vorhatte, Königin der Sturmalben zu werden – und wichtiger noch: zu bleiben. Ich brauchte Verbündete.

Das brachte mich zurück zu meinem Verlobten. Kyano hatte gesagt, dass Eldastin an mich glauben würde und daran, dass ich die Alben vereinen könnte. Damit stand er vermutlich ziemlich alleine da. Woher nahm er diese Gewissheit? Wieso glaubte er an mich, wenn kein anderer an mich glaubte? War das nur ein Trick oder konnte ich ihm wirklich vertrauen?

Ein Teil von mir wollte Eldastin vertrauen. Einfach nur, weil ich es leid war, ständig misstrauisch sein zu müssen. Das war ermüdend und deprimierend. Und vielleicht sehnte ich mich auch danach, einen Freund unter den Sturmalben zu haben. Als könnte das irgendetwas wiedergutmachen ...

Ich öffnete Augen und Hände und betrachtete das Figürchen erneut. Im Schatten des sterbenden Tages besaß das Metall einen dunklen, honigartigen Glanz.

Wie die grauenhaften Kuchen, die Bruin manchmal backte.

Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln.

Immer betete Bruin mir vor, dass Backen im Grunde wie Chemie sei und man einfach nur das Rezept befolgen müsse, und war dann völlig entgeistert, wenn ihre Kuchen sich als ungenießbar herausstellten. Hin und wieder verfiel sie in eine regelrechte Backorgie und verwüstete auf der Suche nach dem Fehler in ihren chemischen Formeln und Berechnungen eine öffentliche Küche nach der anderen.

An diesen Tagen hatten Ludvik und ich oft unsere Sachen gepackt und waren aufs Land gefahren, um nicht als Versuchskaninchen herhalten zu müssen. Wir hatten Zuckersirup und Wurstbrote eingepackt, uns ein schönes Plätzchen unter den Weiden am Ufer des Beletz gesucht und über die Vergangenheit geredet. Nicht über die weit zurückliegende Vergangenheit – weder Ludvik noch ich verspürten große Lust, über die Zeit vor unserem ersten Treffen zu sprechen – aber über die Jahre danach, über alte Freunde, Weggefährten und die Hochs und Tiefs, die wir gemeinsam durchlitten hatten. Ludvik hatte mir von seinen Affären berichtet und ich hatte ihm den neusten Tratsch aus Universitätskreisen erzählt. Manchmal hatten wir auch einfach bloß nebeneinander im Gras gelegen und zu den Umrissen der Oberlande hinaufgesehen, die an schönen Tagen am Himmel über Freymold zu erkennen waren.

ALBENBLUTWhere stories live. Discover now