Kapitel 23

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Song: Supergirl - Reamon

Leas Sicht:

Es klopft an der Tür. "Nico Schatz, dein Bruder Jordan..", beginnt Mrs Forbes, als sie mich bemerkt. "Oh Hey Lea. Ich ehm.." Sie mustert mich. Wahrscheinlich sehe ich aus als wäre ich gerade auf einer Beerdigung gewesen, denn meine Wimperntusche ist völlig verschmiert und meine Augen immer noch knallrot vom weinen.

Dazu noch Nico, der aussieht als hätte er gerade in einem Boxkampf gegen Mohammed Ali gekämpft. "Ich komm später wieder", sagt sie schnell und verschwindet wieder aus dem Raum. Nico schaut erwartungsvoll zurück zu mir. "Also..", beginne ich erneut und schlucke die hochkommenden Tränen runter. "Nach der Grundschule bin ich bis zur 8. Klasse auf ein Internat gegangen. Dort war es anfangs ganz schön eigentlich: ich hatte Freunde, hatte Spaß am lernen und es war wirklich ein tolles Internat. In der 7. Klasse dann, hat es sich geändert." Ich stocke kurz und schaue betreten auf meine Finger.

"Ich hab einen neuen Sportlehrer bekommen. Mr Richardson." Ich sage seinen Namen mit solchem Hass, dass Nico mich besorgt anschaut. "Nun ja", seufze ich. "Ich war damals schon ziemlich schüchtern. Und er hat das ausgenutzt.. Er kam eines Tages nach der Sportstunde zu mir, wo schon alle weg waren und ist mit mir in seine Umkleide gegangen..", meine Stimme zittert und die Tränen steigen wieder in meine Augen. Ich drehe mich von Nico weg, doch er rückt ein Stück näher auf mich zu und dreht mit seiner Hand sein Gesicht zurück zu ihm. "Hey..", sagt er sanft.

Er streicht mir mit der Hand eine weitere Träne aus dem Gesicht und ich nehme seine Hand von meinem Gesicht, umklammere sie, und drücke die leicht mit meinen beiden Händen. Dann fahre ich fort: "Er hat mich vergewaltigt. Zuerst nur jede Woche, nach der Sportstunde.", ich stocke wieder und fange an zu schluchzten. Auf einmal spüre ich Nico's Arme um mir und ich drücke mich an seine warme Brust und fange an zu weinen. Ich lasse meinen Frust raus und meine Gedanken, denn normalerweise vergrabe ich diesen Teil meines Lebens tief in meinem Hinterkopf.

"Ich.. Ich kann weiterreden.", sage ich bereits ein paar Sekunden nach meinem kleinen 'Zusammenbruch', stehe aus Nico's Arm auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. "Nach dem wöchentlichen kam dann hinzu, dass.. Dass er mich zwischendurch ausrufen ließ, um.. 'Ein Gespräch' mit mir zu führen oder was zu besprechen oder was auch immer.. Ich.. Ich hab niemandem was gesagt, weil er mir gedroht hat..", stottere ich weiter. "Doch irgendwann.. Da.. da konnte ich einfach nicht mehr. Ich hab's meiner Vertrauenslehrerin erzählt, doch was ich nicht wusste, war dass sie total in Mr Richardson verliebt war, zumindest glaube ich, dass das der Grund war, wieso sie das getan hat." Ich schweige. "Dass sie was getan hat?", fragt Nico und ich höre, dass er wütend ist. "Sie ist zu seiner Frau gegangen und hat ihr was weiß ich erzählt, aber anstatt ihren Mann zu verlassen, hat sie mich beschuldigt, sich an ihn ran gemacht zu haben und auch er hat später erzählt, dass er mich nie vergewaltigt hätte, sondern ich mich nur vor ihm ausgezogen hätte und ihn dazu bringen wollte, mit mir zu schlafen und so einen Schwachsinn. Ich.. Ich konnte natürlich nicht beweisen, dass ich vergewaltigt wurde, denn das letzte Mal lag schon zu weit weg um es medizinisch nachweisen zu können.. Dann wurden mehr Lügen und Geschichten dadrüber erzählt, wie dass ich es für Geld gemacht hätte und so was und meine Freunde haben sich von mir abgewandt, bis ich.. Es nicht mehr ausgehalten hab und vom Internat nach Hause zurück gegangen bin."

Ich mache erneut eine Pause. "Dort habe ich mich zurückgezogen und mit Schokolade vollgefressen, bis ich endlich aufhören konnte, daran zu denken. Und jetzt hab ich Angst, verstehst du. .. Sex war bis jetzt immer.. Schmerzvoll.. Eine zu erfüllende Aufgabe.. Etwas, zu dem ich keine Wahl hatte." Mittlerweile muss ich nicht mehr weinen, ich starre einfach nur auf meine Hände. Auf einmal nimmt Nico sie.

"Jetzt hast du eine Wahl. Glaub mir, das was du mit ihm hattest, ist nicht, wie es sein kann. Und ich werde dich zu nichts zwingen. Niemals.", während er das sagt, schaut er mir tief in die Augen und ich fühle mich zum ersten Mal seit langer Zeit geborgen. Er zieht mich zu sich heran und ich lege meinen Kopf auf seine Schulter. "Ich sorge dafür, dass niemand dir je wieder so was antut.", haucht er mir ins Ohr und drückt mich noch ein Stück näher an sich heran. Ich flüstere ein leises "Danke."

~~~

Da klopft es erneut an der Tür. "Tut mir Leid euch zu stören, aber Nico, wir müssen wirklich dringend reden.", sagt erneut Nico's Mutter. "Warte kurz, bin gleich wieder da", wendet Nico sich an mich, gibt mir einen Kuss auf die Wange und geht mit seiner Mom in den Flur hinaus.

Ich nutze den Augenblick um kurz ins Bad zu gehen, mir das Gesicht zu waschen und mich im Spiegel zu betrachten. Jetzt ist es raus. Und er hat es akzeptiert. Ich muss lächeln. Und mit Maya hast du dich ebenfalls getäuscht. Siehst du, mach dich einfach locker. Alles wird gut.

Auf einmal kommt Nico zurück in den Raum gestürmt. "Babe, ich muss noch mal weg.. Kann ich dich zuhause absetzen und dann später anrufen?", sagt er und ich sehe, dass er etwas besorgt aussieht. "Ja, klar..", stammle ich. "Alles okay?" Er lächelt mich an, während er seine Jacke anzieht. "Naja, das übliche. Mein drogensüchtiger Bruder geht nich' an sein Handy und da muss meine Mom natürlich direkt denken, er hat sich den goldenen Schuss verpasst." Ich schaue ihn an und verschränke schüchtern meine Arme. "Michael?" Er schüttelt den Kopf. "Nein, Jordan."

Ich ziehe ebenfalls meine Jacke an und wir gehen die Treppe runter. "Ich komm auch alleine nach Hause, fahr du nur zu deinem Bruder.", sage ich zu ihm als wir an der Tür stehen. Mrs Forbes sitzt bereits ungeduldig im Wagen und Nico nickt mir nur kurz zu und küsst mich dann. "Bis morgen, babe."

Ab hier aus der Sicht von Nico:

Schnell laufe ich zum Auto meiner Mutter, doch ich drehe mich kurz bevor ich einsteige noch mal um und lächle Lea an. Sie winkt mir schüchtern zu. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und Mom startet das Auto.

Ich starre aus dem Fenster und muss die ganze Zeit an das denken, was Lea mir gerade erzählt hat. Es lag nicht an mir.. Es lag an ihr.. In gewissermaßen. Ich hab gedacht ich bedränge sie zu sehr, aber in Wirklichkeit war es dieser miese Dreckskerl der sie vergewaltigt hat und sie so für immer geschädigt hat. Ich balle meine Fäuste.

Während ich wütend darüber nachdenke, was ich am liebsten mit dem Mistkerl anstellen würde, saust meine Mutter viel zu schnell die Straße runter. "Mom, du fährst fast 70 in ner 30er Zone!", rufe ich und sie bremst den Wagen ein wenig. Sie hat mehrere 'Panikstufen' und anscheinend hat sie gerade die Stufe 'Mega bekloppt' erreicht. "Was ist, wenn er tot ist?", fängt sie auf einmal an, ihre Hände umklammern das Lenkrad. "Mom, was.. Was hast du auf einmal für eine Panik?", frage ich vorsichtig. "Ich ich.. Ich muss was machen! Jordan macht sich sein Leben kaputt und das nur wegen IHM und du siehst aus wie ein Straßenschläger und das auch nur wegen IHM." Sie schnieft und klammert sich immer fester ans Lenkrad. "Und Michael.. Der ist auch abgehauen und ich hab seit ewigen Zeiten nichts mehr von ihm gehört", schluchzt sie nun. "Mom. Fahr an die Seite.", sage ich mit in einem ruhigen Tonfall und so halten wir ein paar Sekunden später auf dem Parkplatz eines geschlossenen Supermarkts in der Stadt.

"Beruhig dich erstmal. Ich bin sicher Jordan geht's gut.", sage ich und versuche sie zu beruhigen. "Und was.. Wenn nicht? Dann habe ich überhaupt keine Chance mehr, ihn zurückzuholen.", heult sie. "Mom. Das war schön öfter, ihm geht's ganz sicher gut. Jetzt tausch den Platz mit mir, ich fahre." Meine Mutter wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und schaut mich an. "Nein, du darfst offiziell noch gar nicht fahren.."

"Mom!", ich lege meine Hand auf ihren Arm. "Glaub mir, alles wird gut." Meine Mutter stützt sich auf dem Lenkrad ab und fängt wieder an zu weinen. Dann schreit sie: "Nico! Nichts wird gut! Dein Vater macht alles kaputt und er wird nie aufhören, NIE. Schau dich an.. Schau was er gemacht hat..", sagt sie und schaut mitleidig meine Blessuren an. "Ich werds schon überleben.", grummle ich leise.

"Ich wollte so ein Leben nie für euch Jungs..", sagt meine Mutter und starrt aus der Windschutzscheibe. Ich gucke ebenfalls aus dem Fenster und sehe wie Regen die Scheiben heruntertropft. Wetter passend zu meiner Stimmung.

"Ich verspreche dir, wir schaffen das.", versuche ich meine Mutter weiter aufzumuntern. Sie schaut mich leidend an. "Ich hoffe es.."

How Things changeWhere stories live. Discover now