Kapitel 56

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Song: Yellow - Coldplay

Leas Sicht

"Was sie wohl besprechen?", fragt Katherine schüchtern. Aus irgendeinem Grund ist sie total nervös - natürlich, sie heiratet morgen, aber es ist eher eine Art panisches Nervös-sein.

"Ach, Männersachen halt", lacht Nicos Mutter Linda und macht sich daran, die verschiedenen Geschenktütchen zu kontrollieren. Mein Blick ruht immer noch auf Katherine, die nervös an ihren Fingernägeln rumfummelt. "Ist alles okay?", frage ich aufrichtig und Katherine lächelt mich gequält an. "Klar.", ihre Stimme wackelt und ich bin mir sicher, dass da mehr dahinter ist. Natürlich halte ich aber meine Klappe; wenn sie schon kalte Füße vor der der Hochzeit hat, sollte ich es nicht noch schlimmer machen, denn dafür habe ich wirklich ein Talent.

"Oh, hier fehlt noch die Rose. Bin gleich wieder da, ihr Lieben", sagt Nicos Mutter und verschwindet aus dem Raum. Wieder schaue ich zu Katherine, deren Mundwinkel beinahe auf dem Boden hängen.

"Ist wirklich alles okay?", frage ich nun doch. Sie schaut mich entsetzt an und schüttelt dann langsam ihren Kopf. Sie streicht sich ihre dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und schaut mich eindringlich an. "Fühlst du dich nicht manchmal.. Unwohl in dieser Familie?", flüstert sie leise, sodass ich sie beinahe nicht verstehe. Ich versuche, nicht allzu verdutzt auszusehen, doch es gelingt mir nicht so ganz. Katherine merkt meine Verwirrung und ein müdes Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Du hast keine Ahnung, sorry das wusste ich nicht.", sagt sie.

"Von was keine Ahnung..?", frage ich weiter und meine Unsicherheit steigt.

"Darüber solltest du besser mit Nico reden, ich sollte dir das nicht sagen.", erwidert sie schnell. Bevor ich ihr widersprechen kann, ist Linda zurück und strahlt uns beide breit an. "So ihr Lieben, ich würde sagen, wir schauen mal in die Küche und sehen nach, ob die Köche auch alles richtig machen, oder?", fragt sie und Katherine und ich nicken beide freundlich.

Während Linda schnell auf ihren hohen Schuhen voran stöckelt, sind ich und Katherine dicht hinter ihr. Ich stupse Katherine leicht an. "Sag schon, was ist da los", wispere ich zu ihr; so leicht gebe ich nicht auf. Irgendetwas stimmt in dieser Familie nicht, das hat auch schon Jordan angedeutet.

"Rede mit Nico.", zischt sie nur und läuft einen Schritt schneller. Ich erhöhe ebenfalls mein Tempo. "Er wills mir nicht sagen. Katherine, bitte.", flüstere ich.

In dem Moment bleibt Linda stehen, sodass die abgelenkte Katherine beinahe in sie hinein läuft. "Ihr könnt auch hier warten, wenn ihr wollt. Ich muss nur kurz mit Flávio reden.", sagt sie und geht in die Küche hinein.

Katherine wendet sich an mich. "Lea! Nico muss mit dir reden, ich kann diese Aufgabe nicht übernehmen." Flehend sehe ich sie an. "Bitte. Ihm geht's nicht gut und ich will ihm helfen." Hin und her gerissen sieht Katherine mich an und ihr gerade noch genervter Blick wird sanfter. "Bitte", ich schaue sie traurig an und das gibt ihr den Rest. "Schön, ich sags dir. Aber versprich mir, dass du seinen Vater nicht drauf ansprichst."

"Was, wieso seinen Vater?", frage ich verwirrt. Katherine seufzt. "William.. verprügelt die Jungs. Und nicht nur das, er behandelt sie einfach schlecht. Deswegen sind sie immer so gestresst, und deswegen hat es auch so lange gedauert bis Michael mich überhaupt mal seiner Familie vorgestellt hat. Seine Mutter weiß alles, aber sie überspielt es gekonnt und ist die perfekte Hausfrau.", Katherine holt tief Luft und schaut mich schuldbewusst an.

Ich sehe sie entgeistert an. "Oh mein Gott", hauche ich. Das erklärt alles. Wieso er gelegentlich ein blaues Auge hat und wieso er unter so einem Druck steht und wieso er eine Zeit lang Drogen genommen hat.

"Wie konnte ich nur so blind sein?", murmle ich vor mich hin. "I-ich bin seine Freundin. Ich hätte das wissen müssen.."

"Die Forbes reden nicht über so etwas", tröstet mich Katherine und drückt mich an sich. "Ich wusste es auch nicht, bis ich es am eigenen Leib erfahren habe."

Geschockt löse ich mich aus der Umarmung und sehe sie an: "WAS?! William hat dich geschlagen?!"

Katherine schüttelt den Kopf. "Nein, aber er hat Nico beinahe verprügelt. Er ist das Opfer, seit seine Brüder ausgezogen sind." Ich werde ganz blass um die Nase. Katherine sieht mich an und sagt: "Ich sags erneut: Es ist nicht deine Schuld. Nichts von dem." Aufmunternd lächelt sie mir zu und ich lächle gequält zurück.

Während wir auf Linda warten, hören wir auf einmal die drei Jungs auf uns zukommen. Nico ist ebenso bleich im Gesicht wie ich, doch als er mich erblickt strahlt sein Gesicht auf. Er drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Haare, während Michael sich seiner Verlobten zuwendet.

"Wollen wir nach oben gehen?", frage ich Nico und Jordan pfeift wie ein kleiner Junge. "Lea, was hast du denn mit meinem kleinen Bruder vor", grinst er und Nico wirft ihm einen genervten Blick zu. "Ja, gehen wir schnell", sagt er und greift nach meiner Hand.

Wir gehen nach oben und auf dem Weg überlege ich die ganze Zeit, wie ich das Thema ansprechen soll.

"Du bist so still, ist alles gut?", fragt Nico und lächelt mich liebevoll an. "Ja klar. Also nein, also.. Ist bei dir denn alles okay?", stammle ich und Nicos Lächeln verblasst ein wenig und er wendet sich an. "Bei mir ist alles gut.", erwidert er kalt und wir schweigen weiter, bis wir in seinem Zimmer angekommen sind.

Ich öffne die Tür und setze mich ein wenig schüchtern auf sein Bett. Diese ganze Sache macht mich verrückt. Soll ich mit dem Jugendamt reden? Aber eigentlich ist Nico ja erwachsen.. Wieso zieht er dann nicht einfach aus? Oder wird seine Mutter auch geschlagen? Fragen über Fragen, und so wie es aussieht wird mir in nächster Zeit keine von ihnen beantwortet werden können.

"Lea?", Nico reißt mich aus meinen Gedanken. "Hm?" Er lächelt mich an und lässt sich neben mich aufs Bett fallen. "Ich hab was für dich..", sagt er langsam und reicht mir eine kleine Schachtel. "Nico, du musst mir nichts schenken. Wirklich nicht", erwidere ich und will ihm die Schachtel wiedergeben, doch er grinst mich nur an. "Mach sie einfach auf."

Ich schmunzle ihn an und öffne dann widerwillig die kleine Box. Auf einem blauen Samttuch liegt meine Kette. Die Goldkette meiner Oma. "Oh mein Gott, Nico", hauche ich und hole sie aus dem Schächtelchen. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, ist sie mit hohem Bogen von Natasha in den Schulteich geworfen worden.

Ich drehe mich zu Nico und falle ihm um den Hals. "Wie.. wie hast du?", stammle ich begeistert, während mir mein breit grinsender Freund die Kette um den Hals legt. "Ich habe mich mit den Jungs nachts ins Schulgebäude geschlichen und wir haben da etwa 3 Stunden lang deine Kette gesucht", antwortet er und ich lege meine Arme erneut um seinen Hals. "Ach man, Nico", seufze ich. Als ich ihn loslasse, schauen wir uns in die Augen. Er strahlt mich breit an und ich merke, dass ihm meine Rekation jede Sekunde in dem Teich wert war.

"Ich liebe dich.", höre ich mich sagen, und bevor er überhaupt die Chance hat, etwas zu erwideren, füge ich schnell hinzu: "Und ich weiß das mit deinem Vater."

Das Lächeln verschwindet aus Nicos Gesicht und er wendet seinen Blick von mir ab. Ein Teil von mir zerbricht dabei, ihn so zu sehen. Er will vom Bett aufstehen, doch ich halte ihn fest. "Schau mich an.", sage ich und sehe ihn eindringlich an. Nico hebt seinen Blick wieder und seine Augen wirken matt und glanzlos. "Kannst du.. Also könnt ihr.. Es nicht einfach der Polizei melden?", frage ich und komme mir im nächsten Moment total bescheuert vor. Solche neunmalklugen 'Tipps' helfen keinem, Lea.

Nico scheint es mir nicht übel zu nehmen, er schüttelt nur kurz seinen Kopf. "Das geht schon klar.", sagt er kalt und weiß genauso gut wie ich, dass jedes dieser Worte gelogen ist.

Wir schweigen kurz, bis ich die Stille erneut breche: "Wie.. lange macht er das schon?"

Er sieht mich nicht an, sondern schaut nur starr aus dem Fenster, während ich mit meinem Daumen über seine warme Hand streiche. "Schon immer."

Ich schlucke. "Zu.. zu euch allen?" "Ja."

Ich rücke ein Stück näher zu ihm und lege seinen Kopf gegen meine Schulter. "Was auch immer ist, ich bin für dich da", flüstere ich so leise, dass ich es beinahe selber nicht höre. Als Antwort bekomme ich ein kleines Schnauben und einen zarten Kuss auf meine Schulter.

How Things changeWhere stories live. Discover now