Kapitel 31

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Song: Say my Name - Cyril Hahn Remix

Leas Sicht:

"Lea..", sagt Nico und starrt mich besorgt an. Er trägt einen grauen Pullover und eine dunkelblaue Bomberjacke. Dazu eine ebenfalls dunkelblaue Chino-hose und weiße Turnschuhe. Sein blaues Auge ist mittlerweile fast verblasst und kaum noch zu sehen, trotzdem sind seine Augen abgekämpft und eine Ader über seinem Gesicht zeichnet sich ab, dass tut sie immer wenn er nachdenkt wie ein Verrückter.  Er sieht perfekt aus - so wie immer. Verdammt Lea, reiß dich zusammen und konzentrier dich auf die Situation! Dieser Typ hat wahrscheinlich gerade dein Leben ruiniert - erneut.

Mit verschränkten Armen stehe ich vor dem Waschbecken und den medizinischen Schränken. Ziemlich unverantwortlich von den Lehrern, Medizin hier in einem unverschlossenen Raum aufzubewahren. LEA! FOKUS!

"Hi..", erwidere ich trocken und schlucke nervös. "Ist alles okay?", fragt Nico und schließt die Tür hinter sich, hört allerdings nicht auf mich anzuschauen. Nein. Nichts ist okay.
Ich räuspere mich, doch es kommt kein Ton raus. Ich versuche es erneut, doch kann schwer meinen leidenden Gesichtsausdruck verhindern: "Hast du irgendjemandem von meinem Geheimnis erzählt?"

Nico steckt seine Hände in seine Hosentaschen und schaut auf den Boden. Ich verliere die Geduld. "Nico!", meine Stimme bebt. Er schaut mich an; fast so leidend wie ich vermutlich aussehe. "Ich.. hab's nur Zack erzählt..", stottert er leise, doch laut genug für mich um es zu hören.

Ich drehe mich um und stütze mich auf dem Waschbecken ab; ich will nicht dass er mich so sieht. SO wie ich bin: Zerbrechlich. Gebrochen. Fertig.

Ich höre wie er ein paar Schritte auf mich zu läuft. "Stopp.", sage ich und drehe mich wieder zu ihm um. Er steht nur einen Meter von mir entfernt und schaut mich mit aufeinandergepresstem Kiefer mitleidig an.

"Wenn du es nur Zack erzählt hast, wie kann es sein, dass es die ganze Schule weiß?", frage ich weiter. Ich schlucke die Tränen runter und merke wie der Klos in meinem Hals immer größer wird. Nico wirkt überrascht; aber nicht so überrascht. Er hat es wahrscheinlich auch schon mitbekommen. "Ich.. Ich weiß es nicht. Du kennst Zack, er.. er würde das nicht weitersagen. Vor allem würde er nicht solche Lügengeschichten erzählen", versucht Nico mir mit wilden Gestiken  zu vermitteln, doch alles zieht nur vorbei wie in einem Film. Sie wissen es. Das ist im Moment alles was zählt.

Ich schweige. Erstens weil ich nicht weiß was ich sagen soll und zweitens, weil meine Kehle zugeschnürt ist.
"Lea. Wir schaffen das. Ich klär das auf, okay? Alles wird gut.", fügt Nico hinzu und kommt noch einen Schritt näher. Ich weiche ein bisschen zurück, sodass sich das Waschbecken gegen meinen Rücken bohrt. "Nichts wird gut", hauche ich. Mehr bekomme ich nicht heraus. "Du hast mein Geheimnis verraten. Ich.. Ich.. Hab so lange gebraucht um dir zu vertrauen und du..", flüstere ich hinterher und langsam festigt sich meine Stimme: vermutlich durch die Wut, die nach und nach in mir aufsteigt.

"Ich trage das jetzt schon jahrelang mit mir rum.. Und auch all die wenigen Personen die es wissen..", fahre ich fort, doch werde durch ein verächtliches Schnauben von Nico unterbrochen. "Du meinst dein toller Jackson hat alles für sich behalten." Ich  beiße meine Zähne aufeinander. "Ist das dein fucking Ernst?!", ohne es zu wollen schreie ich beinahe. "Meine Welt bricht hier gerade zusammen und du kommst wieder mit dieser verschissenen Eifersuchtsnummer!", kreische ich hysterisch und trete einen Schritt vor. Ich merke wie meine Augen feucht werden, doch ignoriere es. "Aber ja. Jackson hat es für sich behalten und dass seit 4 Jahren! Wie lange hast du gebraucht, um es jemandem weiterzuerzählen? 4 Minuten?!", sage ich, diesmal etwas ruhiger, aber umso giftiger.

Nico schweift und guckt auf den Boden. "Schau mich an.", sage ich mit fester Stimme. Nicos rehbraune Augen schauen kurz in meine und seine Mundwinkel zucken leicht - allerdings nach unten. Dennoch schaut er nicht mich an, sondern fixiert irgendeinen Punkt hinter mir.
"Was hast du dazu zu sagen?", frage ich und wische mir eine Träne aus meinem Auge. "Nichts."

Meine Stimme zittert, während mir dieser Satz wie in Zeitlupe über die Lippen geht: "Schön, dann ist es aus."

Nico starrt mich an ohne ein Wort zu sagen und ich sehe wie sein Gesicht nach und nach entgleist.
"Lea bitte..", sagt er leise mit seiner rauen Stimme, doch ich bin gerade in Fahrt gekommen: "Nein. Lass mich einfach in Ruhe." Ich halte es nicht länger aus mit Nico in einem Raum zu sein und stürme zur Tür, um diesem Druck zu entfliehen. Ich muss weg; irgendwo hin. Die Leute tummeln sich im Gang und reden und lachen, doch ich versuche es zu ignorieren und laufe strikt und mit schnellen Schritten zum Ausgang.

Draußen angekommen sauge ich die frische Luft in meine Lungen und versuche meine Gedanken unter Kontrolle zu kriegen. Du hast gerade mit Nico Schluss gemacht. Ich atme schneller ein und aus und laufe schnell zu den Fahrradständern, wo sich keine Leute aufhalten. Also nochmal: du hast gerade mit Nico Schluss gemacht. Den Typen den du liebst. Ich lasse mich an der Steinmauer heruntergleiten und setze mich in den nassen Schnee. Mein Herz pocht bis zum Hals und die Tränen fließen über mein ganzes Gesicht.

Ich muss hier weg.

Ich nehme meine Tasche und gehe die Straße runter, an der Bushaltestelle vorbei; ich muss mich bewegen. Durch den Schnee hetzend, laufe ich in Richtung meines Zuhause. Beziehungsweise zu meinem zweiten Zuhause. Ich renne beinahe die Treppenstufen zum Haus der Familie Jiménez hoch und klingle Sturm.
Wieder und wieder drücke ich auf die Klingel, bis mir irgendwann eine verschlafene Person in grauer Jogginghose und weißem Unterhemd die Tür öffnet - Jackson. Er starrt mich verwundert an und ich frage ihn mit zittriger Stimme: "Ist Katina da?"

Er schaut mich immer noch verwundert an und antwortet dann langsam: "Nein.. Sie.. also nein sie ist schon weg.." Ich kann nicht mehr länger innehalten und fange wieder an zu schluchzen. Ohne ein weiteres Wort, kommt er, barfuß, einen Schritt auf die kalten Treppenstufen und drückt mich fest an sich. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und presse mein verheultes Gesicht in seine Halsgrube.

"Alle wissen es.", krächze ich. Jackson lässt nicht von mir ab, er drückt mich nur fester an sich. "Und ich hab mit Nico Schluss gemacht.", füge ich leise hinzu und werde von Jackson noch mehr an seine Schulter gepresst, sodass kaum ein Blatt Papier mehr zwischen uns passen würde.

"Komm rein, ich mach dir einen Tee", sagt er und lächelt mich aufmunternd an.

Nicos Sicht:

Sie ist weg. Sie hat mich verlassen. Ich stütze mich auf das Waschbecken und schaue in den Spiegel. Meine Haare sind verwuschelt und meine Augen sind glanzlos. Meine Lippen spröde und meine Haut blass. Dazu kommen noch meine Augenringe, die ins unendliche zu gehen scheinen. Ich ertrage mein Spiegelbild nicht länger und schlage auf den Spiegel ein; er zerbricht in gefühlte 1000 Scherben und man erkennt meinen Faustabdruck in mitten der noch hängenden Teile. Blut rinnt über meine Finger, doch das interessiert mich nicht. Stattdessen steigt noch mehr Wut in mir auf; allerdings weniger auf mich, sondern auf Zack.

Ich reiße ruckartig die Tür vom Krankenzimmer auf und laufe schnurstracks durch den Gang. Nach links und rechts schauend sehe ich mich nach Zack um um erkenne schließlich seine abgewetzte Jeansjacke und seine abgetretenen Boots. Er lehnt mit dem Rücken zu mir an einem Spind und redet gerade mit Derek und Katina.

Beinahe blind vor Wut eile ich mit schnellen Schritten zu den drei hin, packe Zack an seiner Schulter und drehe sein Gesicht zu mir. Mit voller Wucht presse ich seinen Rücken an die Schließfächer und ziehe so fest an seinem T-Shirtkragen, dass er fast in der Luft schwebt. Die Leute um uns herum verstummen und starren uns an, doch das ist mir egal.

"Wem hast du ihr Geheimnis weitererzählt?", knurre ich. Zack starrt mich nur verwirrt an und versucht sich aus meinem Griff zu befreien, doch ich lasse nicht locker. "WEM?!", brülle ich jetzt schon fast und schüttle ihn kräftig.

Auf einmal spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, die versucht mich von Zack wegzuziehen. "Nico, lass uns das in Ruhe klären.", raunt Derek mir ins Ohr. Ich schaue zuerst zu ihm und dann zu der verschreckten Katina die daneben steht und erkenne wie mein anderer bester Freund Dylan sich durch die Menschenmenge drängt um ebenfalls zu uns zu gelangen. Widerwillig lasse ich von Zack ab und schaue grimmig in die Menge von Schülern die sich um uns versammelt hat. Ich spüre wie Dylan mir einen leichten Stubs in Richtung Park gibt und gezwungenermaßen gehe ich mit.

How Things changeWhere stories live. Discover now