32.: Dr. Jeff

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Es ist Samstag. Am Mittwoch ist Beccas letzter Schultag für dieses Schuljahr. Ob sie sich freut? Irgendwie kann sie sich zur Zeit auf gar nichts freuen. Sie lebt halt vor sich hin und tut Dinge, die sie immer getan hat. Das einzige, was ihr ein ehrliches Lächeln auf die Lippen zaubern kann, ist Nick. Sie ist komplett abhängig von ihm geworden. Ohne ihn würde sie fallen und vielleicht von alleine auch nicht mehr aufstehen können. Sie weiß es. Langsam wird es ihr klar, dass ihre Psyche verrückt spielt und sie seit einiger Zeit neben sich steht.

Angefangen Klick zu machen hat es, als sie nichts mehr essen konnte. Also, sie könnte noch essen, aber sie hatte oft keinen Hunger. Es war einfach die Gewohnheit und die Lust. Nur beim Gedanken an die Mengen, die sie immer zu sich nimmt, wurde ihr schlecht. Doch sie aß immer, genauso wie vorher. Danach ging es ihr miserabel. Einmal so schlecht, dass sie sich anschließend und ohne ein schlechtes Gefühl dabei zu haben, den Finger in den Hals steckte. Und sie würde es wieder tun. Das ist das, was Ihr Angst macht. Sie will noch krank sein und sie will es sich nicht eingestehen, aber tief in ihrem Innern kann sie die Depression nicht leugnen.

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"Becca? Kommst du nachher noch mit zu den Jungs? Wir wollten noch ein bisschen an den Neuen Songs arbeiten" Elijah und ich müssen heute beide nur bis 20 Uhr arbeiten und sind auf dem Weg nach draußen, wo Nick auf mich, an sein Motorrad gelehnt, wartet. "Ne heute nicht. Ich fühl mich nicht so gut", murmle ich vor mich hin. "Du fühlst dich die ganze Woche schon nicht gut!", gibt Elijah bissig von sich, ich zucke als Antwort nur mit den Schultern und gehe weiter auf Nick zu. "Verdammt Becca, was ist los mit dir? Auf der Arbeit machst du alles halbherzig und zu den Proben kommst du gar nicht mehr. Wenn du keine Lust hast, dann Steig aus. Wenn du aber noch dabei sein willst, dann gib uns entweder einen Grund, oder komm wieder! Wir brauchen dich und wir vermissen dich." Mir kommen die Tränen und ich fühle mich wie ein Reh das auf der Straße steht und in das Scheinwerferlicht eines heranfahrendes Auto blickt. Unfähig sich zu bewegen. Ich schlucke und nehme einmal tief Luft. "Ich kann einfach nicht, ok? Wenn ihr das nicht akzeptieren könnt, dann lasst es und sucht euch wen neues. Auf mich kann man momentan eben nicht zählen. Und jetzt lass mich, bitte, in Ruhe!" Ich wollte ihn nicht anschreien, aber kann nicht anders. Ich bin verzweifelt und weiß nicht, was ich tun soll. Ich drehe mich um und geh zu Nick, der mich mit großen Augen ansieht. Ich nehme in am Kragen und küssen ihn, was mich ungeheuer beruhigt. Nach dem Kuss, sieht er mich immer noch perplex an, sagt aber kein Wort. "Bringst du mich nach Hause? Ich muss was mit meiner Mutter besprechen.", frage ich ihn erschöpft. Eigentlich wollten wir was zusammen machen, aber Nick nickt nur ruhig. Ich glaube, er weiß ganz genau dass etwas nicht stimmt. Er hat auch schon Andeutungen gemacht, jedoch bin ich nie darauf eingegangen. Ich will ihn weder belasten, noch mir darein ziehen. Momentan ist er das einzige was mich hält und wenn er davon weiß, sieht er mich vielleicht mit anderen Augen. Zuhause angekommen, rutsche ich von dem Sitz, Hauche ein leises "Danke" und verziehe mich ins Innere des Hauses.

Mum steht in der Küche. Sie dreht sich um und will mich begrüßen, ich sag als Begrüßung jedoch nur ein ersticktes "können wir reden?" Und falle ihr, als sie ruhig nicht, sofort weinend um den Hals. Sie streicht mir über den Kopf und sagt lange gar nichts. Als ich mich etwas beruhigt habe, zieht sie mich auf das Sofa und sieht mich fragend an. Ich wollte reden, also sollte ich es auch. "Ich bin wieder depressiv. Ich will hier einfach raus, ich halte es nicht mehr aus! Meinst du ich... ich könnte irgendwo hin? In eine Klinik oder so? Ich weiß nicht mehr was ich machen soll...", ich breche wieder in Tränen aus. Meine Mum streicht mir über den Kopf. "Das kriegen wir hin, ich Klär das.", meint sie beruhigend. Sie arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis. Sie ist Kinderärztin. Mit bei ihr in der Klinik Arbeitet auch ein Psychologe. Bei ihm war ich damals in Therapie, als ich die Schule abbrechen wollte und das erste mal depressiv geworden bin. Da sie zusammen arbeiten, bekommt sie sicher schnell einen Termin für mich, damit er mich einschätzen und, wenn ich Glück habe, in eine Klinik überweisen kann.
Ich bleibe noch etwas bei meiner Mum unten, bis ich schließlich hoch in mein Bett gehe, die Nacht über wach liege und den Sonntag im Bett verbringe. Ich melde mich bei niemandem. Ich will niemanden sehen.
Am Montag morgen kommt meine Mutter in mein Zimmer um mich zu wecken. Ich bin erst vor 1,5 Stunden eingeschlafen, weshalb ich mich murrend umdrehe "ich will nicht zur Schule." "Musst du auch nicht. Du hast einen Termin bei Jeff" Dr. Jeff Anderson, der Kollege meiner Mum. Der Psychologe. Murrend verlasse ich mein Bett, mache mir ein Toast zum Frühstück und Nage daran, während ich mir Gedanken mache, wie es jetzt weitergeht.

"Rebecca, ich kann dir nichts versprechen, aber wenn du keine Anforderungen an die Klinik hast, außer einen guten Therapie, dann tue ich was ich kann. Es kann wohl sein, dass die nächste Klinik mit einem freien Platz weiter weg ist. Für gewöhnlich muss man immer einige Wochen warten." "Bitte, ich will einfach nur hier weg", flehe ich ihn an und er nickt verständnisvoll. "Ich hör mich um" "Danke, Dr. Anderson"

Ich bin nicht mehr in die Schule gegangen. Ich denke, dass ich das auch nicht mehr werde. Mittwoch ist sowieso der letzte Schultag und Dr. Anderson hat mich für die letzten Tage krank geschrieben. Ich habe Mila geschrieben, dass ich krank bin und auch Nick weiß nicht mehr. Also, er kann es sich sicher denken, aber er weiß es nicht. Die Verbindungen lasse ich schon länger nicht mehr zu. Ich will ihn nicht in meinem Kopf haben. Er soll davon nichts mitbekommen. Seine Anrufe kann ich immer recht schnell abwimmeln. Doch dadurch, dass ich nichts mehr mit ihm mache, geht es mir noch schlechter.
Er hat bald Geburtstag, das weiß ich. Doch dann werde ich nicht mehr da sein. Dr. Anderson hat am Dienstag Nachmittag angerufen. Er hat einen Platz. In Liverpool, England. Ich kann am Freitag dort hin. Ich habe mich entschieden selber zu fahren, mit meinem Motorrad. Meine Eltern fanden es nicht toll, aber reden mit nicht rein. Ich fahr Donnerstag los und übernachte unterwegs in einem Motel. Keiner außer meiner Familie weiß davon. Ich weiß nicht wie, doch irgendeinem muss ich es sagen. Deshalb stehe ich am Mittwoch auch vor Milas Türe. Sie öffnet sie und fällt mir sofort um den Hals "ich hab mir Sorgen gemacht" ich lache leicht und drücke sie ebenfalls. "Ich muss mit dir reden." Wir sitzen in ihrem Zimmer mit einer Portion Eis und sie sieht mich auffordernd an. "Ich... ich hab wieder Depressionen und habe mich entschlossen, in eine Klinik zu gehen. Ich werde morgen fahren und mindestens sechs Wochen weg sein. Du bist jetzt die einzige die davon weiß" sie sieht mich erst etwas überrascht an, nickt dann aber. "Also Nick?" "Weiß nichts. Also ich bin mir sicher, dass er weiß, dass ich krank bin, aber ich habe nicht mit ihm geredet. Ich will ihn da nicht reinziehen. Er hat genug scheiße durchgemacht. Wenn ich wiederkomme und er mich immer noch will, würde mich das verdammt glücklich machen, doch ich wäre ihm auch nicht böse, wenn er weiterzieht." Sie sieht mich zweifelnd an. "Das ist irgendwie nicht fair einfach abzuhauen..." "ich weiß aber ich- ich kann das einfach nicht. Ich kann nicht mit ihm darüber reden." Ich breche in Tränen aus, Mila streicht mir beruhigend über den Rücken. "Ist okay" sagt sie nur. "Das ist okay" ich nicke schluchzend. "Sollte er mich fragen wo du bist...?" "Ich werde nicht von dir verlangen ihn anzulügen, das würde ich niemals. Es ist deine Entscheidung. Vielleicht sollte er es auch erfahren... jedenfalls habe ich eine andere bitte. Die Zwillinge haben am Sonntag Geburtstag. Könntest du ihnen die Geschenke geben?" Zögernd ziehe ich sie aus der Tasche, dich Mila schnappt sie sich nur und legt sie auf den Tisch "Logo", grinst sie und ich lächle leicht dankbar zurück. "Ich sollte wieder los." Mila nickt nur "du wirst dich nicht melden oder?" Ich schüttle den Kopf "ich brauche den Abstand und Zeit für mich." "Kein Problem, ich warte dann hier auf dich", lächelt sie ermutigend, jedoch auch traurig. Ich schließe sie noch einmal fest in meine Arme und mache mich dann auf den Weg nach Hause, meine Koffer packen. Zwischenzeitlich kommt mir der Gedanke an Nick, den ich aber entschlossen zur Seite schiebe, da mir schon die Tränen kommen. Ich liebe ihn einfach zu sehr.

Hass auf den ersten Blick?Where stories live. Discover now