43.: Über ein Jahr zu spät

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Ich verlasse grade das Zimmer von Clark und will in mein Zimmer gehen, als ich von unten Stimmen höre. Mein Dad ist da. Ich will grade runter gehen und ihn begrüßen, als ich höre, dass sie über mich reden. "Sie ist deine Tochter, also reiß dich zusammen! Freust du dich denn gar nicht, dass sie wieder da ist?" "Natürlich ist es schön, dass sie wieder da ist! Aber für wie lange? Ein Monat, zwei? Und dann haut sie wieder ab! Sie hält hier doch nichts!" "Lass sie doch ihr Leben leben! Sie ist verdammt nochmal erwachsen!" "Ja klar! Da es ja auch so erwachsen ist, einfach die Eltern zu ignorieren! Das hätte die alte Becca niemals gemacht! Sie hätte sich gefreut, wenn wir uns melden! Sie ist einfach nicht mehr meine Tochter!" "Verdammt, sag sowas nicht! Du liebst sie doch!" "Ich habe die Becca von vor einem Jahr geliebt! Das Mädchen da oben kenne ich nicht! Oder willst du mir sagen, dass es noch dieselbe ist?" Es ist still. Wahrscheinlich stimmt meine Mum ihm zu. Mir kommen die tränen, laufe leise die treppe runter ziehe mir meine Schuhe und jacke an, verlasse das Haus, steige auf das Motorrad und fahre los. Ich entscheide mich nicht bewusst für eine Richtung, ich wollte einfach nur weg. Weg von meinen Eltern, die mich nicht mehr lieben. Letzten Endes lande ich an dem Parkplatz im Wald. Ich stelle das Motorrad ab und gehe über den trampelpfad zum kleinen Tümpel. Er war einfach schon immer mein Ort der Ruhe. Mein Handy vibriert. Es ist eine Nachricht von meiner Mum >ich weiß, dass du das Gespräch mitbekommen hast, ich habe dich das Haus verlassen sehen. Bitte komm zurück, es ist doch schon mitten in der Nacht! Ich liebe dich wirklich< ich schluchze auf, mache mein Handy aus, ziehe meine Beine an meine Brust und lege meinen kopf auf meine Knie. Ich starre durch den Tränenvorhang vor meinen Augen auf den kleinen Tümpel. Nach einigen Stunden Rolle ich mich auf dem Boden zusammen und finde sogar etwas Schlaf.

Als ich aufwache, ist mir warm. Ich wundere mich, denn letzte Nacht war mir echt kalt, nur in meiner Jacke. Ich drehe mich um und merke, dass ich mit einer Lederjacke zugedeckt bin. Ich erkenne sie im selben Moment, in dem ich die Person erkenne, die am Rand des Tümpels sitzt und mit einem Stock in dem Morast stochert. "Nick?", frage ich leise. Meine Stimme ist von dem weinen letzte Nacht total Rau und gebrochen. Er fährt herum und sieht mich an. Er sagt kein Wort. "Was machst du hier?" "Weißt du, das hier ist ein wunderbarer Ort zum nachdenken.", meint er und grinst mich schief an. Ich lächle gequält zurück. Ich stehe auf, gehe zu ihm und reiche ihm die Jacke. "Danke", sage ich leise und will wieder gehen, doch er hält meine Hand fest und zieht mich neben sich. Er sieht mich erwartungsvoll an. "Was ist passiert?", fragt er leise, während er mit meinen Fingern spielt. Es macht mich total nervös und ich würde ihm am liebsten meine Hand wegnehmen, doch ich weiß, dass er keine Selbstbeherrschung hat und er meine Hand halten muss, zur Beruhigung. "Mein Dad hasst mich.", sage ich leise. Ich will nicht weinerlich klingen, oder wie eine Heulsuse, doch Nick sieht mir nur tief in die Augen. Seine Emotionen sind gut verborgen. "Das glaube ich nicht", sagt er ebenfalls leise" "er hat gesagt, dass ich nicht mehr seine Tochter bin", flüstere ich und ich beginne wieder zu weinen. Er hat mich trotz des Flüsterns verstanden, legt den Arm um mich und zieht mich an seine Brust. "Glaub mir, er hasst dich nicht. Er ist einfach nur verletzt und zu stolz um das zuzugeben. Ich kenne das Gefühl", meint er beruhigend und streicht über meine Haare. Ich Klammer mich an seinen Pulli und schluchze weiter. "Was soll ich denn jetzt machen?" "Erstmal beruhigst du dich und dann sehen wir weiter, ok?" Ich nicke nur. Ich verstehe nicht, warum er das alles für mich tut, bin aber verdammt froh, dass er das mit mir zusammen durchstehen will. Und plötzlich wird mir eines schlagartig klar: er hätte genauso meine Depressionen mit mir durchgestanden. Ich hätte einfach nur meinen Mund aufmachen müssen. Deswegen beschließe ich jetzt, über ein Jahr zu spät, ihm alles zu erzählen. "Ich war nur noch glücklich in deiner Nähe. Ich war mit allem überfordert, hatte Angst raus zu gehen, mit Leuten zu reden oder einfach nur fremde Leute zu treffen. Bei dir habe ich mich sicher gefühlt. Ansonsten war ich zu nichts In der Lage, als im Bett zu liegen. Ich dachte noch, dass ich das alles irgendwie hinbekomme und es mir selbst nicht eingestanden, doch dann bekam ich noch eine Essstörung." Er hebt leicht den kopf. Davon wusste er nichts. Das hatte ich nur den Psychologen erzählt. Doch er bleibt still und will mich nicht unterbrechen. Ich löse mich jedoch von ihm, setze mich neben ihn und lege seine Hand in meinen Schoß. Nun bin ich diejenige, die die Ruhe und Ablenkung einer Berührung braucht und fahre nun sanft die Linie in seiner Handinnenfläche nach. "Schon wenn ich mit Leuten übers essen geredet habe, wurde mir schlecht oder wenn ich dran gedacht habe. Ich habe normal gegessen. Es war wie eine Sucht. Du weißt, wie viel ich damals essen konnte. Doch konnte ich nur einfach nicht eher damit aufhören. Ich- eines Tages ging es mir danach so beschissen, dass ich mir im Bad den Finger in den Hals gesteckt habe. Und danach ging es mir besser. Ich fühlte mich gut. Ich habe es danach nicht oft wiederholt, nur ein paar mal. Ich wusste, dass es falsch war, aber das Gefühl war einfach zu gut um es zu lassen." Ich schweige und schaue weiterhin auf Nicks Hand, mit der er schließlich meine umschließt. Ich hebe den Blick und schaue ihm in die Augen. Er blickt mich schmerzhaft an. "War ich dabei?" Ich wusste, was er meinte. Er will wissen, ob er im Nachbarzimmer saß, während ich im Bad gekotzt habe. Ich nicke leicht. Er senkt seinen Blick. "Und ich habe nichts gemerkt.", meint er frustriert. "Ich wollte nicht, dass es jemand merkt. Ich denke, wenn du es gemerkt hättest, wäre alles nur noch schlimmer geworden." Meine ich leise und drücke seine Hand. "Aber ich hätte für dich da sein können!", ruft er leise und verzweifelt aus. Er hebt seinen Blick und ich sehe, dass er weint. "Du hast mir mehr geholfen, als jeder andere. Durch dich hätte ich den Mut zum Psychologen zu gehen und wegen dir wollte ich gesund werden. Ich wollte dich aber nicht da rein ziehen, und ja ich weiß, dass es ein Fehler war, denn Partner helfen sich gegenseitig. Aber ich war dumm und verängstigt und wollte das einzige, was mir noch halt gibt, nicht verjagen. Letzten Endes habe ich das trotzdem getan.", auch ich weine mittlerweile still vor mich hin. "Warum bist du nicht wiedergekommen?", fragt Nick verzweifelt. Ich spüre, dass ihn diese Frage die ganze Zeit über gequält hat. "Die Therapeuten meinten, dass eine Auszeit nicht verkehrt wäre. Und da ich Angst hatte, mich zu melden, habe ich es nicht gemacht. Ich wollte es mir von niemandem ausreden lassen. Jetzt weiß ich, wie blöd das war", flüstere ich leise. "Und wie", fügt Nick hinzu und muss leicht lachen. Ich schlage ihm leicht auf die Brust und muss auch lächeln. Er sieht mich gespielt verletzt an: "hättest du mal vorher mit mir geredet, hätte ich dir gesagt, dass du gleich eine Therapie wegen deinen Gewalttätigkeiten machen soll", zieht er mich auf und bringt mich letzten Endes wirklich zum Lachen. "Idiot", sage ich leise. "Mike hat mir da übrigens was geschickt", meint Nick und kramt sein Handy raus. "Hattest du eigentlich vor mir irgendwann zu sagen, dass du singen kannst?" Ich winke nur ab. "Ach, die beiden brauchten unbedingt einen Sänger und haben mich zufällig singen gehört. Ist nichts besonderes nur-", plötzlich denke ich darüber nach, was er mir gesagt hat "was hat er dir geschickt?", frage ich panisch. "Einen link bei Instagram.", grinst er nur, er genießt meine Panik total. "Seit wann hast du Instagram?" Frage ich. "So zwei Monate.", Er grinst immer noch und scheint fündig geworden zu sein. "Hier!", meint er und hält mir das Handy vor die Nase. Und es ist es, es ist das Lied, dass ich für ihn gesungen hatte. Ich schiebe seinen arm mit dem Handy weg und vergrabe mein Gesicht beschämt in meinen Handy. "Das war-" "sehe schön", beendet Nick meinen Satz. Ich sehe ihn überrascht an. "Zwar sehr kitschig aber auch sehr schön. Nur dass du am Ende weinst ist nicht ganz so schön", grinst er wieder total gemein "weißt du, weinende Menschen sind einfach immer hässlich", meint er gehässig und steht schnell auf, da er mich gut genug kennt um zu wissen, dass er Ärger bekommt. Und er hat recht. Ich springe auf und jage ihm um den Tümpel. Letzen Endes springe ich auf ihm, was ihn zum stolpern bringt und ich lande auf ihm. Ich setze mich auf und haue ihm gespielt auf die Brust, während wir beide lachen. "Ich bin nicht hässlich! Wenn dann bist du hässlich!", Motze ich. Er lacht nur noch mehr und hält meine Hände fest. "Du hast recht, du bist vieles, aber garantiert nicht hässlich", meint er schließlich ernst. Ich werde etwas verlegen und Rutsche auf ihm rum. "Hatten wir das Thema nicht schonmal?", meint Nick, gequält lachend und mir wird das alles noch peinlicher. Schnell stehe ich von seinem Schoß auf, um ihn nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen und helfe ihm hoch. "Ich sollte gehen", meine ich dann. "Du willst wieder nach Hause?", fragt er mich verblüfft. Ich schüttle nur den Kopf. Er reicht mir die Hand "komm mit zu uns, wir finden schon einen Platz für dich" zögernd ergreife ich seine Hand und wir gehen los. Auf dem Parkplatz steht nur Nicks Motorrad, weshalb ich davon ausgehe, dass er zu Fuß hergekommen ist. Ich reiche ihm den Schlüssel und wir steigen beide auf das Motorrad auf.

Hass auf den ersten Blick?Where stories live. Discover now