1 | Alltäglicher Trott

4.3K 268 7
                                    

Heute, 2017

Wie fast jeden Tag wurde ich vor dem eigentlichen Aufwecken der Wärter wach und setzte mich auf dem harten Bett auf und somit der in einem hässlichen Grau gestrichenen Wand gegenüber, welche ich des Öfteren für eine ganze Ewigkeit betrachtete. Man könnte sogar meinen, dass ich bereits jeden der Risse auswendig kannte.

Mit meinen siebenundzwanzig Jahren gehörte ich in diesem Gefängnis noch zu der jüngeren Generation und meine pechschwarzen Haare passten zu meiner Augenfarbe, welche dunkelbraun war. Zudem hatte ich - trotz des Sonnenmangels - einen dunkleren Hautton als andere Insassen, was ich meinen brasilianischen Wurzeln zu verdanken hatte.

Als plötzlich das Geräusch eines an die Gitterstäbe geschlagenen Schlagstocks ertönte, fuhr ich schreckhaft zusammen und wurde somit aus meinen Gedanken gerissen. Verdammt, wie spät war es?

"Hey, Parker! Komm raus", wies der Wärter namens Bullock mich an und schloss zugleich die Zelle auf.

Als ich mir mit einer Hand durch die Haare fuhr, erhob ich mich langsam, um aus der engen Geräumigkeit zu treten. Mir war natürlich klar, was jetzt wieder passieren würde und hielt ihm deshalb meine Hände seufzend hin. Auch wenn ich bereits seit mehreren Jahren hier war, fühlte ich mich bei Allem unwohl.

"Braver Junge", sagte Bullock und grinste dabei schief.

Ich verzog angewidert das Gesicht, obwohl er mich schon lange an das Verhalten der meisten Wärter gewöhnt hatte, und zwang mich in eine andere Richtung zu sehen, während mir die Handschellen angelegt wurden.

Anschließend erreichte ich mit einer Gruppe anderer Häftlinge die Umkleidekabinen und Duschen, wo ich dazu gezwungen war, mich wie so oft vor den anderen auszuziehen. Doch das Nackt-sein allein war nicht das, was mich verunsicherte. Es war eher meine Haut, auf der sich etliche Narben befanden, die man aufgrund des Kontrastes verdammt gut erkennen konnte.

Und ich schämte mich. Ich schämte mich so sehr, dass ich mir jedes Mal wünschte, unter mir würde der Erdboden aufgehen, damit ich in diesem für immer verschwinden konnte. Doch das würde natürlich nie geschehen und ich musste weiter die Blicke der Anderen ertragen.

Nachdem ich mich - natürlich ohne die Seife fallen gelassen zu haben - geduscht und danach meinen hellblauen Overall angezogen hatte, wurde ich erneut in Handschellen durch die kalten und engen Gänge des Gefängnisses geführt. Und jeder Schritt machte mich nervöser und ließ mein Herz schneller schlagen, bis ich das Gefühl hatte zu ersticken. Jedoch versuchte ich dieses einfach hinunterzuschlucken.

"Na, wenn das mal nicht Alexander Parker ist", hörte ich einen der anderen Wärter sagen, welcher lässig gegen eine Wand lehnte.

Was will der denn jetzt, dachte ich mir und zog dabei verwirrt die Augenbrauen zusammen.

Der korpulent gebaute Wärter musterte mich von oben bis unten mit einem verächtlichen Blick, bis er schließlich versuchte sich auf eine gelassene Weise von der Wand wegzustoßen, wobei er jedoch kläglich versagte. Dennoch kam er auf mich zu, um mich provokant anzurempeln.

Augenblicklich zog ich meinen Kopf leicht ein und atmete dabei um einiges schneller. Nachdem ich einen Schritt zur Seite taumelte, wurde der Wärter von einem anderen - von dem, der mich begleitete - zur Seite geschubst und schließlich gegen eine Wand gedrückt. Er zischte ihm leise in einem wütenden und teilweise auch fassungslosem Tonfall Worte zu.

Ich beobachtete sie stumm und wartete, bis sie sich wieder einkriegten. Eigentlich ließ ich mir so etwas nicht gefallen, doch da ich bei den meisten Wärtern beliebt war, zwang ich mich, Hände und Füße still zu halten, um mir keinen schlechten Ruf einzufangen.

Der Wärter verdrehte die Augen, drückte den anderen kraftvoll von sich und verließ uns anschließend. Vermutlich um sich einen Donut oder etwas anderes zu holen.

Nun wandte sich der andere wieder mir zu und ging mit mir weiter, bis die Wände und Böden heller und freundlicher wurden. Auch der Geruch war ein anderer. Wir blieben schließlich vor einer Tür stehen, auf der in goldenen Großbuchstaben Sozialarbeiter Silas Maddrox stand.

Der Wärter hob seine Hand und klopfte.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now