16 | Sehnsucht

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"Wo steckst du, du kleiner Schisser?!", brüllte mein angetrunkener Vater, während dieser die Treppe heruntergestampft kam und beinahe über eine leere Bierflasche stolperte.
"Und warum zur Hölle ist hier noch nicht aufgeräumt?! Komm sofort her! Ich schwöre, ich- Da bist du ja!"

Ich stand in dreckigem T-Shirt und kurzer Hose in der Tür zum Wohnzimmer und zitterte wie Espenlaub als mein Vater auf mich zukam.

"Was glotzt du so?! Hast du eine Erklärung für das hier? Nein? Vielleicht muss ich dir dabei etwas auf die Sprünge helfen", schnauzte er herum und griff zur Schnalle seines Gürtels, welche er in Sekundenschnelle öffnete.

Als dessen elfjähriger Sohn, konnte ich mich erst nicht von der Stelle bewegen, war wie angewurzelt. Doch als ich hörte, wie mein Vater den Gürtel aus der Hose zog, taumelte ich kleine Schritte rückwärts.
"Bitte, Dad! Bitte-- es tut mir leid!", bettelte ich und versuchte dabei die Tränen zurückzuhalten, da mein Vater dies nicht gerne sah.
"Nie wieder! Versprochen, ich--"
Wehleidig blickte ich zu ihm hoch und bekam als Dank eine harte Schelle, sodass ich zu Boden stürzte.
"Hör auf! Bitte- es, es wird nie- es kommt nie wieder vor! Dad-" Dann fing ich doch an, bitterlich zu weinen.

"Heul' hier nicht 'rum! Männer flennen nicht!" Er warf mir eine halb leer getrunkene Bierflasche neben den Körper, sodass diese in tausende Glassplitter zerbrach - genau wie meine Seele. Jede Woche, jeden Tag, jede Stunde, die ich mit ihm verbrachte.

"Obwohl, du bist doch gar kein Mann!", lachte mein Vater und trat mich in die Scherben, sodass ich mir die Beine und Hände, die ich zum Abstützen benutzte, aufschnitt. Meine Hose saugte nebenbei das Bier auf.

"Naja, nicht so schlimm! Das kriegen wir schon hin."
Er packte mich an meinem T-Shirt, welches bei dem Versuch, mich daran in das Wohnzimmer zu schleifen, zerriss. Vater schnaufte verächtlich und packte mich stattdessen unter dem Arm, zog mich hoch und schmiss mich anschließend im Wohnzimmer wieder auf den Holzboden. Ich schniefte, weinte und schrie. Doch all das half nichts, da niemand zur Hilfe kommen würde.

"Steh auf und mach deinen Daddy wenigstens für einmal stolz! Das wirst du wohl schaffen, oder?" Er lachte und beobachtete, wie ich mich auf meinen Knien leicht aufrichtete und ihm meinen Rücken zugewandte. Ich wusste, was gleich geschehen würde, denn es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass er auf meinen Rücken einschlug. Als ich meine Fingernägel in das Holz bohrte und die Augen zusammenkniff, war ich bereit, den ersten Hieb entgegenzunehmen.

Mein Vater umfasste den schwarzen und bereits ausgefransten Ledergürtel fest, holte kräftig aus und-

Ich wachte schreiend auf, und setzte mich sogleich panisch und zitternd. Nur ein Traum, versuchte ich mir immer wieder einzureden.

Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass mir die Hände schmerzten, weshalb ich verschlafen und leicht verzweifelt auf diese hinabsah, und erkannte dann das fast getrocknete Blut an ihnen. Ich schluckte leicht und schaute neben mir an die Wand, auf die ich im Schlaf eingeschlagen haben musste, denn auch an ihr war Blut zu sehen. Hatte ich mich etwa wehren gewollt?
Den Kopf schüttelnd, versuchte ich die Erinnerungen an diesen Traum zu vergessen und dachte plötzlich an Silas.

Meine feuchten Augen und das starke Verlangen, zu ihm zu wollen und sich in dessen Arme zu schmeißen, zeigten mir endgültig, dass ich am Ende war. Am Ende mit meinen Nerven, Gedanken und meinem Körper. Einfach mit allem.
Wie dumm war ich eigentlich, zu glauben, dass ich mit meinem verrückten und selbstzerstörerischen Plan irgendetwas erreichen würde?

Ich stand langsam auf und ging zum Waschbecken, um mir das Blut von den Händen zu waschen und verzog dabei das Gesicht vor Schmerzen.
"Ah, verdammt."
Meinen Blick von den Wunden lösend, schaute ich schließlich einen Augenblick lang in den kleinen Spiegel, welcher vor mir an die Wand angebracht war. Die Schwellungen waren gut zurückgegangen, doch trotzdem sahen die mittlerweile grünen und gelben Blutergüsse nicht schön aus.

Die Lippen aufeinandergepresst, wandte ich den angewiderten Blick von mir selbst ab und beugte mich dann herunter, um mir das Gesicht zu waschen und trocknete es anschließend gleich ab. Dann wickelte ich meine Knöchel erstmal in Papier ein und versuchte anschließend das Blut von der grauen Wand an meinem Bett, zu bekommen und fuhr mir mit der anderen Hand über die Stirn, nachdem ich damit fertig war.

Dann sah ich zum Gitter, auf den Flur vor den Zellen und trat langsam heran. Als ein Wärter vorbei kam, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sprach diesen einfach an.
"Ich- ich will zu Mr. Maddrox."

Der Wärter blieb stehen und musterte mich, während er überheblich schnaufte.
"Jaja, frag mich in einer Stunde ruhig nochmal. Und jetzt geh wieder schlafen."
Er wandte sich ab und ging kopfschüttelnd weiter.
"Immer das Gleiche mit dem", murmelte er schlecht gelaunt vor sich hin.

Ich ließ den Kopf hängen, löste meine Hand vom Gitter und setzte mich schließlich auf das Bett, um zu warten, wie ich es die nächste Stunde auch tat.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now