7 | Ärger

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Ich holte erstmal tief Luft und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Doch es wollte mir einfach nicht gelingen, da ich wieder an die Worte meines Vaters denken musste, welche mich nur noch mehr herunterzogen. So schlecht fühlte ich mich noch nie und langsam fing ich damit an, mich selbst zu verabscheuen, weil ich etwas für einen heterosexuellen Mann empfand.
Mir stiegen vor Wut sogar Tränen in die Augen. Ich war wütend auf mich selbst, aber auch auf die Wärter, die mich jeden Tag wie Dreck behandelten. Nur wenige mochten mich wegen meiner eigentlich ruhigen Art wirklich.
Jedoch war mir das egal. Ich musste mir schnellstmöglich etwas überlegen, damit ich meine gesamte Situation ändern könnte.

Völlig verzweifelt steckte ich die Zettel in den Overall, nachdem ich nochmal einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. In circa einer Stunde würde der Literaturkurs beginnen und meine Laune war jetzt schon total im Keller.
Doch erst einmal wurde ich auf den Hof gebracht, wo mir die Handschellen von einem der Wärter abgemacht wurden, dem ich anschließend verletzt und auch verächtlich nachschaute.

Während ich mich auf dem Gelände umsah, stellte ich fest, dass sich nichts geändert hatte. Manche spielten Basketball und andere machten ihr tägliches Krafttraining mit Hanteln und anderen Gewichten. Das war aber nichts für mich.
Mit hängenden Schultern ging ich zu einer freien Bank, auf die ich mich setzte - mit den Füßen auf der eigentlichen Sitzfläche - und schaute von dort aus nach Draußen - auf das, was sich hinter bzw. vor dem Stacheldrahtzaun befand. Da war nichts, außer eine verlassene Straße und vereinzelt stehende Bäume, die aussahen, als würden sie jeden Moment verdursten.
Seufzend fing ich an, mit meinem Bein auf- und abzuwippen und umgriff mit meinen Händen die Kanten der Tischplatte, auf welcher ich saß.

Nach einigen Minuten der Ruhe und Stille, bemerkte ich, wie ein paar Häftlinge auf mich zukamen, sodass ich mich sofort unbewusst verkrampfte.
Sie machten mich dumm von der Seite an; provozierten absichtlich einen Streit. Doch ich versuchte sie einfach zu ignorieren, was sie anscheinend nur noch wütender machte.

Als es mir dann zu viel wurde, stand ich auf und wollte gehen. Jedoch hielt mich einer der Kerle am Kragen fest und holte zeitgleich zum Schlag aus.
Es war ein dumpfer Schmerz, als mich die Faust im Gesicht traf. Mit einem keuchenden Laut, fiel ich zu Boden, schürfte mir beim Abstützen die Handflächen auf und wurde dann wieder hochgezogen, um als nächstes einen Tritt in den Bauch zu kassieren, wodurch ich noch einmal stürzte.

Als sie gerade damit beginnen wollten, auf mich einzutreten, griffen mehrere Wärter ein und gingen mit ihren Schlagstöcken auf die Insassen los. Ich schaute auf der Seite liegend zu und musste beim bloßen Anblick der Schläge, die die anderen einsteckten, schon zusammenzucken. Als einer der Wärter mir plötzlich hochhelfen wollte, wehrte ich mich gegen die Griffe und zappelte herum.
"Nein!"

Ich stand mit zittrigen Beinen von alleine auf und hielt mich an einer Tischkante fest, bevor ich umkippen konnte.
"Mir geht's gut, mir geht's ... gut, mir-", murmelte ich wie ein Mantra öfter hintereinander, während mir warmes Blut über das Gesicht floss.

Da ich in sowas noch nie verwickelt war, schockte es mich umso mehr. Mein Atem war unregelmäßig und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz mir aus der Brust springen wollte.

Die Situation löste sich allmählich und ich wurde schließlich in meine Zelle geschafft, weil ich mich - den Wärter nach - erstmal "beruhigen" musste.

* * *

Dort angekommen, setzte ich mich auf das Bett und wischte mir mit dem Handrücken über die Wange - genau dort, wo sich das Blut befand. Die andere Hand hatte ich schützend auf meinem Bauch liegen.
Mein Auge würde mit Sicherheit blau werden, so viel stand fest.

Durch diese Aktion war mir sogar vollkommen der Hunger vergangen, weshalb ich heute nicht mehr zur Cafeteria gehen wollte.

Stattdessen lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die kühle Betonwand und musste an Silas denken, woraufhin meine Augen glasig wurden. Hör auf zu heulen, du Weichei.

Nach einer Weile, kriegte ich mich tatsächlich wieder ein, blinzelte ein paar mal und stand dann wieder auf. Erst sah ich auf das Blut an meiner Hand, dann zum Waschbecken in der Zelle, woraufhin ich mich dorthin schleppte und mir die Hände wusch.
Anschließend trocknete ich sie ab, und legte mich dann wenige Sekunden später im Bett auf die Seite, mit dem Gesicht zur Wand. Ich starrte diese eine halbe Ewigkeit an und hatte keine Ahnung, was ich mit mir anfangen sollte.

"Du siehst schrecklich aus", sagte plötzlich jemand, weswegen ich zusammenzucken musste. Silas.

Ich presste meine Lippen aufeinander und schloss kurz darauf die Augen.
"Du weißt doch gar nicht, wie ich aussehe", meinte ich in trotzigem Ton, da er eigentlich bloß meinen Rücken sehen konnte.
"Hm. Leider warst du nicht in der Cafeteria, sodass ich ganz alleine an dem Tisch sitzen musste."
Für mich klang es so, als wenn er schmollen würde. Doch sicher war ich mir nicht.
"Hey, komm schon. Sonst geh später wenigstens zu Dr. Donavan."
Ach so hieß die neue Ärztin also? Ich hab ihr Namensschild wohl total übersehen.

Mit den Schultern zuckend, blieb ich stumm und stur zugleich. Diesmal aber aus gutem Grund. Ich wollte nicht noch einmal zu der Ärztin und mich blamieren.

Dann atmete ich laut aus, stemmte mich vom Bett ab, setzte mich auf und drehte mich dabei zu Silas, sodass meine Füße den Boden berührten. Ich schaute zu ihm hoch, welcher mich augenblicklich zu mustern begann und dann scharf die Luft einzog.
"Du siehst echt scheiße aus", stellte er sicher fest.
"Willst du mir erzählen, was passiert ist? Aus deiner Sicht."

Ich schnaufte kurz etwas belustigt, auch wenn mir gerade nicht danach war. "Danke."
Langsam stand ich auf, streckte mich leicht und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht.
"Nein", gab ich schließlich kopfschüttelnd von mir.

"Aber geh wenigstens zu Donavan." Silas betrachtete mich mit einem mitfühlenden Blick, doch ich wollte nicht. Entschlossen verschränkte ich die Arme vor der Brust und lehnte mich an eine Wand an, um anschließend auf den Boden zu schauen, der anscheinend viel interessanter war als Silas.

"Alexander."

"Was?", sagte ich kurz angebunden und musterte meinen Gegenüber dann flüchtig. "Geh einfach."
Dieser hob sofort die Augenbrauen und schien beleidigt und verletzt als er sich vom Gitter abstieß.
"Wow, ja dann ..."

Ich runzelte die Stirn leicht. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass er meinetwegen sauer war.
"Du ... Du hast bestimmt noch viel zu tun", versuchte ich versöhnend zu klingen.
"Ich habe gerade noch Pause und wollte nach dir sehen. Und wenn ich dir sage, dass du zur Ärztin gehen sollst, dann solltest du das wirklich. Das sieht schlimm aus, Alex."
Ich gab einen genervten Ton von mir und verdreht kurz die Augen.
"Gut, von mir aus!" Sonst hörte er ja nie auf.

Als die Gitterstäbe sich zur Seite hin öffneten und in der Wand verschwanden, trat ich aus meiner Zelle heraus und hielt einem Wärter die Hände hin, woraufhin mir die Handschellen angelegt wurden. Immer dasselbe.

Dann sah ich kurz zu Silas auf.
"Kommst du mit?", fragte ich zögernd, da ich mir selbst nicht so sicher war, ob ich das wirklich wollte.
Doch all meine Sorgen und Zweifel waren wie verflogen, als der Ältere zufrieden und auch triumphierend auf mich hinabblickte.
"Wenn du das möchtest, natürlich."

"Eh-- okay", meinte ich erst vorsichtig und nickte dann aber eine Spur entschlossener, um Silas nicht zu verwirren.

Und dann gingen wir auch schon mit dem Wärter zur Krankenstation.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang