15 | Abstand halten

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Als Silas wiederkam, erfuhr ich das Gleiche, wie den Tag davor; dass ich morgen oder übermorgen gehen durfte. Schrecklich! Ich hielt es hier nicht mehr aus.

Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. Dabei beobachtete ich ihn verdutzt. "Was tust du?"
"Hier sitzen und etwas warten, bis du sprichst."
Den Kopf schüttelnd, sah ich völlig frustriert weg. Was meinte er? Ich redete doch die ganze Zeit mit ihm. Außerdem war diese Situation total unangenehm.
"Lass mich doch wenigstens wissen, was los ist?"
"Was meinst du?"
"Warum verhältst du dich plötzlich so komisch mir gegenüber?"
"Vielleicht, weil ich dir eine reingehauen habe?!" Ich hob meine Augenbrauen leicht an.
"Und du bist nicht mal wütend", murmelte ich anschließend.
"Wie soll ich denn auch wütend sein, wenn ich nicht mal weiß, was der ausschlaggebende Grund dafür war?"
"Ich weiß nicht. Man kann auch ohne Grund wütend sein? Ach, vergiss es."
"Eh- vielleicht ja Frauen, wenn sie ihre Tage haben, aber wir Kerle doch nicht."
"Ha, ha", meinte ich trocken, legte dann einen Arm um meinen Bauch und wollte den anderen ebenfalls heranziehen, um meine Arme zu verschränken, wurde aber von den Handschellen davon abgehalten. Ich seufzte leise.
"Aber nein, du verstehst mich nicht... und wirst es auch nie."

Silas nickte leicht und sah kurz zur Seite, bevor er schließlich aufstand.
"Okay, dann kannst du ja wieder kommen, sobald du neue Pläne brauchst für die Kurse", sagte er so ausdruckslos wie möglich, damit man ihm nicht ansehen konnte, wie sehr meine Worte ihn eigentlich verletzten. Scheiße.
Ich sah ihm leicht irritiert zu, während er sich von seinem Platz erhob und keinen meiner Blicke erwiderte. "Neue Pläne?"
"Falls sich etwas ändert oder du sie nicht mehr findest. Dann gute Besserung erstmal."
"Okay", murmelte ich deprimiert und schaute ihm dann nach als er ging.
Anschließend drehte ich mich auf die Seite und starrte die Wand an.

Das Mittagessen, sowie Abendessen verweigerte ich diesen Tag wieder und versuchte lieber zu schlafen, nachdem ich meine Tabletten genommen hatte, die wahrscheinlich mein Therapeut gebracht hatte.

* * *

Am nächsten Tag wurde ich dann gegen Mittag entlassen, setzte mich draußen auf dem Gelände auf eine Bank und schaute zum Aus- bzw. Eingang des Gefängnisses. Ich senkte den Kopf mit geschlossenen Augen, welchen ich mir mit beiden Händen festhielt. Dabei stützte ich meine Ellenbogen auf den Knien ab.
Ich wollte ihm nie wieder vor die Augen treten. Vielleicht war es auch besser so. Wer wollte schon mit jemandem, der so kaputt und schlecht gelaunt war, und jeden hilfsbereiten Menschen von sich wegstieß, befreundet sein? Es war mir wirklich unbegreiflich. Und ja, ich versank in tiefem Selbstmitleid und hasste mich abgrundtief dafür.

Nach einer Weile waren fast alle Häftlinge wieder in das Gebäude gegangen, doch es fiel mir erst auf als einer der Wärter zu mir lief und mich darauf hinwies, mit hineinzukommen. Ich ließ meine Hände sinken, zog die Augenbrauen zusammen und sah mich daraufhin kurz um.
"Ups", murmelte ich leise, bereute es aber trotzdem nicht, die Wärter warten gelassen zu haben.
Dann stand ich auf und ging wieder - vom Wärter gefolgt - in das kalte Betongebäude, welches mein Seelenleben perfekt widerspiegelte. Hier und da waren vereinzelte Risse, manche größer, andere kleiner, aus denen Zement bröckelte. Der Wind, welcher beim Öffnen der Türen hineinwehte, ließ schließlich den Betonstaub in der Luft verschwinden.

Einer der Wärter schubste mich an der Schulter nach vorne, sodass ich wie aus einer Trance gerissen, stolperte. Als ich mich wieder gefangen hatte, ging ich weiter, ohne auch ein Wort zu sagen oder ihnen einen feindseligen Blick zuzuwerfen.

Ich ließ den Sport-Kurs jedes Mal ausfallen, weil es mir so ja auch von Dr. Donavan geraten wurde. Doch ich fand nicht mal Lust dazu, den anderen Kurs zu besuchen. Trotzdem zwang ich mich die nächsten drei Tage hinzugehen, da sich meine Lage hier sonst noch weiter verschlimmern würde, wenn ich es nicht täte.
Teilnahmslos und mit den Gedanken woanders saß ich an meinem Platz, starrte auf das Buch vor mir und hatte mich weit zurückgelehnt. Im Raum befand sich ein Wärter mehr als sonst, aufgrund meiner Aktion mit Silas. Es kümmerte mich aber nicht wirklich.

Ich fühlte mich von Tag zu Tag schlechter, sodass mein Therapeut mich ab und zu besuchen kam und versuchte durch mich hindurchzudringen. Jedoch blockte ich immer wieder ab.
"Alexander, wenn das so weiter geht, dann müssen wir richtige Maßnahmen ergreifen. Ich kann mir vorstellen, dass durch diese Aktion all das, was wir so mühevoll erreicht hatten, zu Staub zerfallen ist. Aber du darfst jetzt nicht aufgeben, okay? Kapsel dich nicht von uns ab, auch wenn du denkst, dass du es nicht wert bist. Denn du bist wichtig, vor allem mir und auch deinem Sozialarbeiter", redete er mit ruhigen und fest entschlossenen Ton auf mich ein. Doch wie konnte er sich da so sicher sein?

Als ich dann am dritten Abend, ohne Silas gesehen oder besucht zu haben, wieder im Bett meiner Zelle lag, hatte ich mich mit dem Gesicht zur Wand gedreht und war todmüde, traute mich aber wie jeden Tag nicht zu schlafen. Wahrscheinlich sahen das auch die Anderen, da man in meinem Gesicht typische Augenringe entdecken konnte, die auf Schlafmangel hinwiesen. Ich wünschte mir einfach, dass die Medikamente schneller wirken würden, doch das brauchte seine Zeit - wie so vieles andere auch.

Nachdem ich lange genug gegen die Müdigkeit ankämpfte, aber dann doch verlor, schloss ich schließlich die Augen und atmete tief durch. Dann betete ich innerlich, dass ich wenigstens einmal ruhig und ohne Träume schlafen konnte.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt