Epilog

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Fünf Jahre später

"Wir haben uns eine ganz Weile nicht gesehen, Alex. Wie erging es dir denn in den letzten Monaten?"

Mein Blick löste sich nur schwer von meiner Hand, an dem sich ein goldener Verlobungsring befand. Dieser brachte mich jedes Mal aufs Neue zum Lächeln.

"Ganz gut. Die Medikamente wirken, ich kann ruhig schlafen und naja- Ich bin verlobt", verkündete ich mit einem Grinsen im Gesicht, das mir selbst immer fremd gewesen war.

Das Gesicht meines Therapeuten erhellte sich, als er meine Hand musterte, die ich kurzzeitig stolz angehoben hatte.

"Das freut mich sehr, Alex. Glückwunsch! Dann muss ich mir bestimmt noch Gedanken über ein Geschenk machen, das ich euch beiden mal vorbeibringe."
"Müssen Sie nicht-"
"Doch, das gehört sich so."

Er bestand darauf und war dabei bewegungsunfähiger als ein Fels in einer Brandung, weshalb ich an seiner Entscheidung nichts ändern konnte.

"Hm, wenn Sie meinen. Dann wird es bei uns vermutlich ziemlich voll", murmelte ich nachdenklich. Als ich dann den interessierten Blick meines Therapeuten bemerkte, erklärte ich es ihm: "Wir bekommen öfters Besuch."
"Oh, von Freunden? Silas' Freunde?", vermutete er sogleich.

"Nein. Er- er hat mir gesagt, dass er mit ihnen nichts mehr zu tun haben will. Also hat er damals jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen", meinte ich schulterzuckend. "Außer zu der Frau Amy, sie ist eigentlich ganz nett und kommt mit ihrem Mann - Richard - öfters zu uns. Die beiden erwarten sogar ein Baby." Ich war so verdammt froh zu hören, dass sie nie etwas mit Silas hatte.

"Das ist schön", lächelte Dr. Myers. "Aber hattest du denn je ein schlechtes Gewissen, weil er die Freundschaften aufgegeben hat?"
"Ja, schon. Für eine Zeit lang. Aber ... Echte Freunde kann man sowieso nur an einer Hand abzählen." Jedenfalls dachte ich das, da ich selbst nur Silas hatte.

"Das ist wahr", stimmte er mir zu und wechselte dann das Thema.
"Was ist eigentlich mit deinen leiblichen Eltern? Du hast mir davon erzählt, dass ihr sie finden wolltet. Habt ihr das denn getan?"

"Nein. Vielleicht- vielleicht ist es aber auch besser so", sagte ich und war für den Bruchteil einer Sekunde wenig überzeugt davon.

"Warum denkst du das?" Der Ältere legte seinen Kopf verwundert schief.
"Wenn sie mich doch gewollt hätten oder wenn ich ihnen einfach weggenommen wurde, dann ... dann hat man mir all das umsonst angetan. Ich weiß nicht, vielleicht hätte man es verhindern können, wenn ich nur bei ihnen gewesen wäre. Und damit komme ich nicht klar. Ich kann ... kann einfach nicht-"
"Ich verstehe, Alex. Es tut mir leid", sprach mein Gegenüber in einem ruhigen Ton. "Du hast vermutlich recht."

Ich nickte und dachte scharf nach, was es noch neues zu erzählen gab. "Ich hab einen tollen Job, wie Sie ja wissen. Doch es hat sich etwas geändert: Ich bin jetzt eigener Leiter des Buchladens mit zwei Angestellten."
"Ist Mr. Reed etwa-"
"Was? Oh, Gott. Nein! Nein, er ist bloß in den Ruhestand gegangen und hat mir den Laden übergeben; hat gesagt, ich wäre wie ein Sohn für ihn, weil er-- naja, weil er seinen vor einiger Zeit verlor."

"Okay, gut", sagte Dr. Myers mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme, die mich aufhorchen ließ. Doch eigentlich wusste ich schon, warum er darüber froh war. Wäre Mr. Reed nämlich wirklich nicht mehr unter uns, dann hätte mich das wieder in eine depressive Phase manövriert, aus der ich nicht so leicht herauskäme.

"Es macht mich glücklich, dass du dich so hochgekämpft hast, Alex. Ich vermute, das hätten dir nicht viele zugetraut, wenn sie gewusst hätten, woher du kamst."
"Ja, wahrscheinlich. Aber Sie- Sie haben doch immer an mich geglaubt, oder?" Meine Unsicherheit war kaum zu überhören, so zittrig und leise wurde meine Stimme.

"Stimmt, Alex. Und das tue ich jetzt auch noch. Seitdem ich dich auf dieser Pritsche in der kalten Zelle des Jugendgefängnisses gesehen habe. Menschenscheu und so still, dass man hätte denken können, du wärst gar nicht in der Lage dazu, zu reden. Auch wenn du es gewollt hättest, hätte dir sowieso niemand zugehört. Man hörte lieber den Erwachsenen zu, als den Fantasiegeschichten eines kleinen Jungen." Es klang aus seinem Mund nach bitterem Sarkasmus, da es leider der Wahrheit entsprach. Und er wusste, wie weh dies noch immer tat. "Du und dein Fall haben mich einfach fasziniert. Wie konnte ein so gebrochener Junge nur zu so etwas fähig sein? Es war die Angst und der pure Hass, die dich antrieben; das letzte Fünkchen Lebenswille, welches in der steckte. Du wolltest nicht sterben, nein, du wolltest zuerst leben", erzählte Dr. Myers verträumt und ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt wahrnahm, dass ich mich noch in diesem Raum befand.

"J-ja, aber mir geht's jetzt besser", versicherte ich ihm, ein wenig beunruhigt, weil ich eigentlich nicht vorhatte, über Vergangenes zu sprechen.
"Ich weiß. Und es macht mich wirklich stolz, dass aus dir so ein vernünftiger Mann geworden ist. Zurückhaltend, nett und wirklich extrem liebenswert. Ich kann verstehen, was Mr. Maddrox so an dir findet. Zumal er sowieso immer sehr eifersüchtig gewirkt hat, wenn ich mich mit dir unterhalten habe."

Ich starrte ihn mit großen Augen an und stellte mir die Frage, ob er denn auch auf Männer stand. Er erahnte meine Gedanken, weshalb er sich schnell aufsetzte, dabei räusperte und nervös lächelte.

"Nein, Alex. Ich bin seit zwanzig Jahren mit meiner Frau verheiratet. Und apropos Heirat ... Wann findet denn eure statt, wenn ich fragen darf?"
"Ehm- in einem Monat, glaube ich." Wieso wusste ich nichts davon, dass er verheiratet war?
"Gut. Und wehe, ich bin nicht eingeladen", zwinkerte er mit einem breiten Lächeln.
"Jaja. Sie können sogar Ihre Frau mitbringen, Dr. Myers."
"Danke. Und Alex ... Wie oft soll ich dich noch daran erinnern, dass du mich nicht mehr siezen musst?"
Ach, stimmt! Zu meiner Verteidigung muss ich aber anmerken, dass unser letztes Gespräch schon länger zurückliegt, als er mir das Duzen angeboten hatte.

"Oh, sorry ... Maxwell." Ich fuhr mir peinlich berührt durch die kurzen Haare.
"Max reicht", meinte dieser schmunzelnd, als er sich von der Couch erhob und mir anschließend seine Hand hinhielt.
Ich ergriff sie, nachdem ich ebenfalls aufgestanden war und verabschiedete mich von ihm. Dann lief ich schnell den Flur des Ganges entlang, da draußen bestimmt schon Silas warten würde. Und das tat er auch tatsächlich.

"Hi", sagte ich lächelnd, als ich zu ihm in den Wagen stieg und mich zu ihm hinüberlehnte, um ihm einen liebevollen Kuss zu geben.
"Hey, Kleiner. Bereit?"

Er ließ seinen Blick flüchtig über meinen Körper wandern, ehe er sich richtig an das Lenkrad setzte.
"Ja, bereit."
Dann drehte er den Schlüssel um und fuhr mit mir davon, während ich ihm wie immer von meinem Tag erzählte.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now