45 | Apfelkuchen

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Der Wagen kam wenige Meter vor mir zum Stehen und aus diesem stieg ein gut gelaunter Silas, der grinsend auf mich zukam und mir meinen Rucksack abnehmen wollte. Ich ließ es zu, weil ich nicht unnötig Stress verursachen wollte.

"Hey, alles okay? Sitzt du etwa schon länger hier draußen?", erkundigte er sich bei mir.
"Kann sein, ja", murmelte ich und erntete dafür einen belehrenden Blick. "Ich werde schon nicht krank", versuchte ich ihn zu beruhigen, bekam diesbezüglich aber keine Antwort.
"Na komm, fahren wir los", sagte er dann in einem resignierten Tonfall.

Als wir im Auto saßen, drehte Silas die Heizung noch höher, obwohl es bereits warm war. Nachdem wir an einigen Ampeln vorbeigefahren waren, hielt ich es nicht länger aus und musste die Jacke loswerden. Ich stopfte sie zwischen Autotür und meiner rechten Körperseite und spürte währenddessen einen nachdenklichen Blick auf mir.

"Ist dir zu warm?", wollte Silas wissen.
"Ja, jetzt schon."
"Oh, Mann, sorry." Er drehte die Temperatur herunter und ich folgte seiner Bewegung mit den Augen. "So ... Jetzt erzähl mal: Wie war dein erster Tag?"

Ich wusste, dass diese Frage früher oder später kommen würde. Aber da musste ich jetzt wohl durch.
"Besser als ich gedacht habe. Also ... Naja, ich wurde erstmal einmal herumgeführt und belehrt. Dann konnte ich sein Büro aufräumen, das war auch ziemlich nötig. Du weißt ja bestimmt noch, wie es da drinnen aussah. Später habe ich eine neue Ordnung in die Regale gebracht und sie erst nach Genres und dann nach Anfangsbuchstaben sortiert. So viele Bücher auf einmal ... Echt ein Paradies für jeden, der gerne liest", schwärmte ich beinahe geistesabwesend. "Und verdammt staubig war das! Hustanfälle vom Feinsten." Ich schüttelte fassungslos den Kopf und zog meine Augenbrauen nach oben, als ich den Dreck bildlich vor Augen hatte.
"Hmm, was gab's noch? Also mit dem Kassensystem will mich Mr. Reed erst morgen vertraut machen, dafür hatte er bis jetzt keine Zeit. Oder er vertraut mir noch nicht genug ... Ich weiß es nicht", meinte ich etwas nüchtern und zuckte kurz mit den Schultern.
"Und am Ende kamen zwei Kunden; die eine ... hat mich einfach umarmt, als ich ihr ein Buch gereicht habe, das sie schon überall woanders in der Stadt gesucht, aber nie gefunden hatte. Wir waren die letzte Hoffnung", erzählte ich und legte meine Stirn beim letzten Satz in nachdenkliche Falten.

"Umarmt?", wiederholte Silas überrascht. "Na bei dir war ja richtig was los. Mein Tag war dagegen echt langweilig."
"Wieso langweilig?", fragte ich mit verwirrter Miene.
"Na ich hab mir doch Urlaub genommen, Kleiner. Und wenn man den ganzen Tag alleine rumhocken muss, ist das auch nicht erste Sahne."
"Oh ... Das-"
"Ist schon okay; ich wollte es ja so. Und Alex", begann er mit einer Stimme, die klang, als würde er mir gleich die Leviten lesen, "ich bin mir ziemlich sicher, dass er dir vertraut. Wie kann man denn auch anders, wenn man in deine riesigen Teddybäraugen schaut?"

Wie bitte? Ich öffnete meine so eben beschriebenen Augen noch ein Stück weiter, als ich den Mann neben mir anstarrte.

"Was?", sagte er ahnungslos, wobei er seine Stimme unbeabsichtigt heller klingen ließ.
"N-nichts", brachte ich vor Verlegenheit stockend heraus. Unterdessen strich ich mir mit der rechten Hand durch meine schwarzen Haare, die am Hinterkopf aufgrund der ständigen Reibung an der Kopfstütze in alle Richtungen abstanden.

"Alex?", sprach er in einem nachdenklichen Ton aus, der mich wieder hellhörig werden ließ.
"Ja, Silas?"
Seine Mundwinkel zuckten kurz, bevor er mir einen warmherzigen Blick zuwarf und seine Frage stellte. "Hast du Lust mit mir ins Kino zu gehen?"

"Ins Kino? Eh-- Wo und wann denn?" Meine Nervosität war kaum zu überhören, doch ich versuchte mich zusammenzureißen. War das sowas, was man heutzutage ein Date nannte? Heilige-

"Am besten heute Abend, wenn es dir nichts ausmacht", lächelte er und schaute mittlerweile wieder auf die Straße.
"Oh, achso. Nein, es macht mir nichts aus. Also ja, ich hätte Lust." Meine Müdigkeit war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.
"Ist da etwa jemand nervös?" Er grinste über das ganze Gesicht und am liebsten hätte ich es ihm aus diesem gek- Nein!

"Ha-ha. Total witzig", gab ich trotzig von mir und schaute dann beleidigt aus dem Fenster.
"Find ich auch, Kleiner. Und hey, wir sind da", verkündete er fröhlich.

Er half mir aus dem Wagen und trug anschließend meinen Rucksack in das Haus, wo wir uns zeitgleich die Schuhe auszogen und unsere Jacken weghingen.
"Ich habe mir überlegt, dass wir jetzt etwas kochen oder backen könntest. Was hältst du davon?"
"Das ... klingt gut", sagte ich nach einer Weile und lächelte dabei leicht.
"Und was wollen wir machen?"
"Hmm, kommt ganz darauf an, ob du Lust auf Kaffee oder Abendbrot hast."
"Kaffee!"
"Okay, gut", grinste Silas erfreut über meine Begeisterung. "Magst du Apfelkuchen?"
"Ja, bestimmt. Also-", druckste ich verlegen herum.
"Ach, stimmt, entschuldige. Hab es ganz vergessen." Silas kratzte sich am Hinterkopf und lief dann Richtung Küche, in der er die Schale mit den Äpfeln auf die Arbeitsfläche stellte. Dazu kamen noch Zutaten wie Mehl, Zucker, Eier, Milch, Zimt und andere, die ich nicht kannte.

"Schon okay." Ich krempelte mir die Ärmel meines Oberteils hoch und wartete auf Anweisungen des Älteren.
"Kannst du mir eine Schüssel aus dem Schrank da geben? Daneben sollten auch die Rührstäbe in einem Becher sein, gleich neben dem Gerät dazu."

Ich folgte seiner Beschreibung mit den Augen und nickte anschließend, bevor ich zu dem Schrank ging und diesen öffnete. Silas kannte seine Küche ziemlich gut, vermutlich in- und auswendig, denn es war alles wie beschrieben an Ort und Stelle.

Nachdem ich es Silas gebracht hatte, half ich ihm, die Zutaten in der richtigen Reihenfolge zu vermischen. Dabei erklärte er mir, was man besonders beachten musste.

Eine halbe Stunde später war der Kuchen dann so weit und konnte in den vorgeheizten Ofen geschoben werden. Ich schaute fasziniert zu, ging sogar in die Hocke. Jetzt mussten wir nur noch warten.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now