30 | Eis essen

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Nachdem wir uns in einem Eiscafé hingesetzt hatten, nahmen wir uns beide eine Karte und schauten in diese hinein.

"Nimm ruhig, was du willst", sagte Silas lächelnd.
"Hm", machte ich nur und las mir die verschiedenen Eissorten und Eisbecher durch. Währenddessen leckte ich mir nachdenklich über die Lippen, da ich mir innerlich vorstellte, das Eis bereits zu essen.

Doch nach einer Weile wurde diese Stille echt unheimlich. Außerdem fühlte ich mich beobachtet, weshalb ich aufsah und sich Silas und mein Blick trafen. Dabei merkte ich sogar, dass mein Herz schneller zu schlagen begann.

Mein Gegenüber senkte aber schon nach kurzer Zeit wieder den Blick und schaute verlegen aus. Er atmete tief ein und aus, als er sich die Karte weiter durchlas.

Ein Kellner kam schließlich zu uns und fragte nach unserer Bestellung. Silas legte seine Karte weg und antwortete sofort.
"Bananasplit."
"Kann mich nicht entscheiden", meinte ich frustriert.

Silas lehnte sich vor und schaute mir in die Augen.
"Was magst du denn am meisten? Früchte oder Milch?"

"Hm... Früchte, denke ich. Aber-"
Ich beugte mich ebenfalls vor, da ich es nicht mochte, wenn jemand anderes unsere Gespräche mitbekam.
"Muss ich überhaupt eins essen?", fragte ich leise.

"Du willst kein Eis?", entgegnete er bestürzt und schickte dann den Kellner mit einer kurzen Handbewegung und einem vielsagenenden Blick weg.
"Willst du Kuchen?"

"Eh... nein", murmelte ich.
"Wieso bezahlst du das eigentlich alles?"

Nun war es Silas, der einen leisen und resignierten Laut machte.
"Ich bin ehrlich. Ich hab manchmal etwas zu viel und weiß nicht so recht wohin, also geb ich es jetzt für einen guten Zweck aus", gab er mit einem Schulterzucken zu.

"Zu viel?", wiederholte ich fast flüsternd und hob dabei überrascht die dunklen Brauen.
"Ich fühle mich dabei aber trotzdem... nicht gut."
Ich senkte den Blick nach unten und war ein wenig verzweifelt, weil ich nicht wusste, wie ich ihm das alles zurückzahlen konnte.

"Hey, es ist echt nichts schlimmes", sagte er besänftigend und legte dabei seine Hand auf meine, über die er schließlich sanft fuhr.

Mein Herz krampfte sich kurz zusammen und ich hatte das Gefühl, dass es für einen Moment sogar aufhörte zu schlagen. Schwer schluckend und völlig durcheinander, richtete ich meinen Blick auf unsere Hände. Vielleicht meinte er es nur freundschaftlich. Ja, das musste es sein.

"Vielleicht-", setzte ich an, merkte aber, dass meine Stimme den Geist aufgab, weshalb ich meine Kehle räusperte.
"Vielleicht nehme ich doch ein... Eis."
Mit diesen Worten zog ich langsam meine Hand unter Silas hervor und versteckte sie anschließend unter dem Tisch, wo meine andere Hand schon war.

Silas runzelte die Stirn und nahm seine Hand ebenfalls vom Tisch.
"Sorry", meinte er schnell und nickte dann aber wieder lächelnd.
"Klingt sehr gut."

Ich nickte langsam, wobei ich meinen Kopf sowieso schon gesenkt hatte. Dann schaute ich nochmal in die Karte und entschied mich für jeweils eine Kugel Sandorn und Himbeere.

Silas winkte derweil den Kellner wieder zu uns und beobachtete mich so lange, wie der andere Mann den Tisch noch nicht erreicht hatte. Dabei umspielten seine Lippen ein dauerhaft warmherziges Lächeln.

Nachdem der Kellner kurze Zeit später unsere Bestellungen aufgenommen hatte, erwiderte ich Silas' Blick vorsichtig.
"Hm?"
"Tut mir leid, wegen der Hand gerade." Er fuhr sich mit einer Hand über den Nacken.

"Ja- eh...", verstummte ich auch schon kopfschüttelnd, weil ich es eigentlich verdrängen und nicht daran erinnert werden wollte. Ich versuchte mir einfach nichts darauf einzubilden, damit die Enttäuschung am Ende nicht zu groß werden würde.

"Ich... bin eben auf Toilette", sagte Silas dann, als er aufstand.
"Eh... okay." Ich biss mir nervös auf die Unterlippe und schaute zu ihm hoch.
"Bin gleich wieder da." Dann stürzte er auch schon davon Richtung Männertoilette und ließ mich alleine.

Ich hatte Zeit, mich umzusehen, weshalb ich dies auch tat. Dabei entdeckte ich gegenüber des Eiscafés einen Laden für Touristen, vor dem verschiedene Broschüren, Karten und Flyer lagen, welche vermutlich gratis waren. Ich verließ das Café und holte mir schnell eine Stadtkarte mit Umgebung, die ich dann erstmal in die Jackentasche steckte. Danach kehrte ich an den Tisch zurück und setzte mich.

Silas und der Kellner kamen im gleichen Augenblick zu mir und ich murmelte ein leises Danke, als der blonde Mann unser Eis abstellte und anschließend wieder ging.

"Ist bei dir alles okay?", fragte Silas, als er sich seinen Löffel nahm. Ich tat es ihm gleich.
"Ja, mir geht's gut", antwortete ich leise und schaute dabei nach unten.
"Okay." Dann fing er an zu essen und ich löffelte ebenfalls los.
Ich schob mir das Eis in den Mund und ließ es dann auf meiner Zunge schmelzen, während ich zufrieden lächelte.

"Wie lange hattest du kein Eis mehr?", grinste Silas amüsiert.
"Keine Ahnung... Dreizehn Jahre?" Eigentlich konnte ich mich nicht mal daran erinnern, jemals eins gegessen zu haben.

"Wow. Respekt", schmunzelte er, während er weiteraß und schließlich seine Waffel nahm.
"Warum Respekt?", fragte ich verwirrt und beobachtete ihn kurz. Dabei schaute ich ihm auf die Lippen, schüttelte aber schnell den Kopf und zwang mich, wegzusehen.

"Ich schaffe keine Woche ohne Zucker. Ich bin dabei schlimmer als eine schwangere Frau."
"Oha, und wie schaffst du es dann... so auszusehen?" Ich schaute kurz an ihm herunter und dann in sein Gesicht.

"Sport eben. Ich gleiche es ja mit sonstiger guter Ernährung wieder aus. Etwas Zucker braucht der Körper schließlich." Er lächelte mich kurz an. "Muss ja nicht viel sein."
"Hm, ja. Stimmt", meinte ich leise nickend und aß dann innerhalb weniger Minuten mein Eis auf.
"Mach ich ja eigentlich genauso."

"Ja. Aber wir werden auf jeden Fall noch etwas kochen, was du schon immer mal essen wolltest."

Ich leckte mir über die Lippen und schaute dann zu Silas auf.
"Und... was ist mit deinem Job?"
"Na das quetsch ich irgendwie dazwischen. Oder ich nehme mir einfach Urlaub für die Eingewöhnungsphase von dir."
"Musst du nicht", wich ich ihm aus. Ich konnte mir vorstellen, dass das ziemlich stressig werden könnte.

"Doch, ich hab mir das eh mal verdient. Und dann hab ich mehr Zeit für dich."
Ich nickte zustimmend, schaute dann aber nervös zur Seite.
"Okay..."

"Ich verbringe gerne Zeit mit dir", rutschte es ihm schließlich heraus, jedoch fiel es mir schwer, ihm das zu glauben.
"Ja?" Ich klang wenig überzeugt.
"Ehm..." Er errötete ein wenig. "Schon, ja... also, ja."

Es verwirrte mich ihn so zu sehen - worteringend und verlegen, da er sich doch sonst immer so gelassen oder diszipliniert benahm.
"Wieso denn?"

Ich bekam aber keine richtige Antwort, sondern nur ein ahnungsloses Schulterzucken. Silas kratzte sich gedankenverloren an seinem Bart.

"Bin... bin gleich wieder da", meinte ich schließlich betrübt.
"Alex... hey, bleib hier... bitte."
Er fuhr sich durch die Haare und atmete durch. "Ich weiß es selbst nicht, okay?"
"Aber-", setzte ich an und senkte dann meinen Blick. "Schon ok."
"Okay." Silas schien beruhigt zu sein, jedoch war ich genau das Gegenteil davon, weshalb ich dann doch ging und zu den Toiletten flüchtete.

Mit gewaschenen Händen verließ ich diese Räumlichkeit nach einigen Minuten wieder und ließ mich stumm auf meinem Platz nieder. Dann griff ich zur Tüte mit meinen neuen Sachen und wartete darauf, dass wir weitergehen konnten.

Silas bemerkte dies und hob seine Hand, damit der Kellner kam. Er bezahlte bar und warf mir anschließend einen Blick zu.
"Willst du weiter?"
"Eh, ja." Ich nickte entschlossen. "Und du?"
"Wenn du es willst, klar. Bleibe hier ja nicht alleine", sagte er schmunzelnd, schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

"Ja, ich weiß", murmelte ich vor mich hin, bevor wir das Café verließen.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now