3 | Zweiter Kurs

3.8K 239 6
                                    

Ich war mir des Ganzen bewusst, und auch, dass Silas mir nicht glaubte. Doch trotzdem wollte ich ihm nichts erzählen. Es war für mich schon Horror genug, mich einem Therapeuten zu öffnen. Da wollte ich nicht auch noch von meinem Sozialarbeiter bemitleidet werden.

"Kannst du nicht einfach im Kontext weitermachen?"
Er wedelte mit der Hand den Rauch weg, der zu ihm hinüberkroch.
"Tut mir leid, aber ohne Motivation werde ich nichts machen. Und ich werde dich auch nicht zwingen", sagte er schließlich und kurz darauf blitzten seine Augen vor Schadenfreude auf.
"Ich könnte dich ja in den, hmm-- Ach, ja genau, der Kurs für die Dramaqueens. Dort lernst du Laufen und kannst Theater spielen. Lidstrich steht dir bestimmt, betont deine dunklen Augen", scherzte er und blickte mir sofort in die braunen Augen.
"Dieser Kurs existiert gar nicht!", fauchte ich ihn Augen verengend an und lehnte mich dabei vor, um bedrohlicher zu wirken und bemerkte dies nicht mal. Schließlich löste ich die linke Hand, da ich diese zur Faust geballt hatte.
Sollte das etwa witzig sein? Denn das war es nicht. Ich fühlte mich damit eher persönlich angegriffen und war auch verletzt aufgrund meiner Sexualität, von der er sowieso keine Ahnung hatte und deshalb auch nicht verstehen würde, weshalb ich darauf so ansprang.

Als er bemerkt hatte, wie ich ihm näher kam, tat er es mir absichtlich gleich.
"Es geht hier um Sozialisierung und darum, nicht alles so ernst zu nehmen, Alex."
Nachdem er dies gesagt hatte, schrieb er erneut etwas in seinem Computer ein.
"Aber gut, wenn du nichts von dir preisgibst, dann schreibe ich dich in irgendeinen Kurs ein, der noch frei ist."
Ich schüttelte den Kopf und ging auf das Erste gar nicht erst ein. Für mich war das Thema sowieso erledigt.
"Witzig", brachte ich hervor und versuchte dabei nicht allzu gekränkt zu klingen. "Du bist der Mensch, der am zweitmeisten von mir weiß."

An erster Stelle stand logischerweise mein Therapeut, welcher mit Mr. Maddrox schon öfter ein paar Gespräche hatte, um ihn auf mich vorzubereiten. Dieser hatte ihm also verraten, was damals mit mir passiert war - nicht im Detail, aber trotzdem genug - und auch was ich getan habe, um im Jugendknast zu landen und dann hierhin verfrachtet zu werden. Nur wollte ich mit ihm nie darüber reden.

"Mach doch", gab ich schließlich trotzig von mir und sah weg. Es war mir in diesem Moment vollkommen egal.
Er sah zu mir und nickte. "Dessen bin ich mir bewusst, Alex und das erfüllt mich auch mit Respekt", versicherte er mir sanft.
"Aber du musst einen Schritt auf mich zukommen, damit ich den nächsten für dich freigeben kann. Soweit ich weiß, bist du öfters in der Bibliothek, richtig?" Er suchte erneut etwas in seinem Computer und schien endlich fündig zu werden.
"Hier-- was hältst du von Literatur?", fragte er aufmunternd und lächelte.

Ich verdrehte erneut die Augen. Mir war irgendwie die Lust an der Zigarette vergangen, sodass ich mich vorlehnte und sie im Aschenbecher ausdrückte. Danach setzte ich mich wieder, zuckte wegen meiner Sturheit bloß mit den Schultern, weil ich nicht ganz Nein sagen wollte, und mied dabei die ganze Zeit über den Blickkontakt zu meinem attraktiven Gegenüber.
Dieser zeigte jedoch nicht die von mir erhoffte Reaktion, sondern verschränkte bloß die Arme. Er wurde einfach still und somit auch eine Spur strenger, was man förmlich in der Luft fühlen konnte; sein Blick lag abwartend auf mir und sein Kiefer spannte sich währenddessen an.
Ich veränderte daraufhin meine Sitzhaltung und fühlte mich vollkommen unwohl. Wie ich es hasste, eingeschüchtert zu werden. "Was?"

Er antwortete immer noch nicht und so langsam machte es mir Angst.
"Was machst du, verdammt?! Was zur Hölle willst du von mir hören?"
"Ich möchte dich nicht in einen Kurs schicken, bei dem du kein Interesse zeigst, Alex. Also entweder du spielst hier jetzt mit, oder du kannst wieder zurück in deine Zelle. Ich lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen, das müsstest du langsam wissen."
"Jaja, schreib mich da ein", brummte ich geschlagen, wandte mich von ihm ab und schwieg dann fortan. Ich wusste nie, wie ich mit ihm umgehen sollte, wenn er so wurde.
"Gut", sagte er triumphierend und bekam von mir nur ein spöttisches Schnaufen als Antwort.
"Der Erste fängt nachher schon an."

Er druckte mir die Pläne aus und hielt sie mir danach hin.
"Für Sport ist direkt einer mit dabei. Die haben die Zeiten geändert, wegen des Schachkurses", fügte er etwas genervt hinzu, weil er wusste, dass ich es genauso wenig gutheißen würde.
"Mhm." Einen Blick auf die Pläne werfend, zog ich die Augenbrauen zusammen. "Mann, warum? Das ist die größte Scheiße!"
Kopfschüttelnd sah ich zu Silas auf. "Und hey ... gibst du das weiter? Also- du weißt schon."
"Das frage ich mich auch. Angeblich sollen die Schachspieler morgens besser drauf sein als abends."
Er hob abwehrend und unschuldig die Hände und runzelte die Stirn.
"Nein, was genau denn?"
Ich presste die Lippen aufeinander. "Na das mit dem Kurs."
"Hey, sieh es doch positiv. Jetzt ist Draußen immer der Platz für die Ausdauerläufe frei", fügte er noch hinzu als er meine Anspannung bemerkte, die sich einfach nicht lösen wollte. Dann nickte er. "Ja, aber ich glaube, wir lassen den Anfang etwas weg", meinte er und zwinkerte am Ende.
Oh Mist.

"Wir trainieren meist eh in der Halle", gab ich stirnrunzelnd zurück und schaute ihn anschließend etwas verwirrt an, während ich meinen Kopf schief legte.
"Den Anfang, wo du nicht kooperiert hast." Als er von mir ein Nicken quittierte, fuhr er fort: "Gibt es noch etwas von deiner Seite?"
Ich atmete leise aus. "Nein."
"Also willst du jetzt auf dein Zimmer?" Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand und ich folgte dessen Blick, wippte mit einem Fuß auf und ab und zuckte dann mit den Achseln.
"Wieso? Halte ich dich sonst von deinem Mittagessen ab?", fragte ich leicht schmunzelnd.
Der Ältere grinste mich sofort mit seinen weißen Zähnen an, wobei mein Herz bei dessen Anblick schneller schlug. Wie machte er das nur?

"Definitiv. Heute gibt es Steak."
"Schön für dich", schmollte ich.
"Soweit ich weiß, für euch auch. Der Koch hat Geburtstag oder so, jedenfalls ist er gut gelaunt und hat alles selbst gekauft und zubereitet. Kein Kantinenfraß."
"Oh, okay", gab ich leicht ungläubig von mir.
Mein Gegenüber nickte und blickte mir in die Augen. "So, ich glaube das war es für heute, oder?"

Schon? Ich nickte und atmete ein wenig erleichtert aus, blieb jedoch noch sitzen.
"Oder gibt es noch einen Kurs, den du belegen möchtest? Schach?"
Ich zog die Augenbrauen hoch und stand dann auch schon blitzschnell.
"Gratulation, du hast es geschafft, mich erfolgreich zu verscheuchen" sagte ich trocken und versuchte dabei ernst zu bleiben, biss mir kurz auf die Unterlippe und drehte mich dann leicht weg.
"Ich geh dann mal."

Mein Sozialarbeiter musste leise lachen. "Hey, nein Spaß. Bleib ruhig sitzen. Das Erste war allerdings ernst gemeint."
"Hm", ich setzte mich wieder. "Und du kennst meine Antwort darauf bereits."
"Nein Silas, möchte ich nicht. Für mich gibt es nur Sport und Literatur ... Oh! Und Schach", imitierte er mich und lachte währenddessen erneut leise.
Ich verengte kurz ermahnend die Augen, musste aber wenige Sekunden später anfangen zu schmunzeln. Zudem errötete ich leicht und sah schnell weg - in der Hoffnung, dass er es nicht sehen würde.
"Sehr witzig."

Ich konnte verstehen, weshalb er wegen seiner lockeren Art so beliebt war. Und er grinste mich schon wieder so breit an!
"Oh, hab ich dich jetzt peinlich berührt? Verdammt, Alex kriegt Farbe!" Scheiße.
Mit einem geschockten Gesichtsausdruck sah ich zu ihm.
"Krieg ich gar nicht!" Ich schluckte und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her.
"So wie eine Tomate", neckte er mich weiter.
Infolgedessen kneifte ich die Augen zu Schlitzen zusammen, beschloss aber nicht weiter darauf einzugehen, da es mir extrem peinlich war.
"Ich denke, dass ich jetzt wirklich gehen sollte."
"Müssen tust du es nicht. Aber ich zwinge dich natürlich nicht zu bleiben."

Ich schüttelte den Kopf. Verdammt, ich musste hier raus, denn ich hatte vor einer ganz bestimmten Sache Angst. Leise atmete ich durch und stand dann mit etwas wackeligen Beinen auf. Was war denn jetzt schon wieder mit mir los?
Aber wenn man zu dem unschuldig aussehenden Mann sah, der noch immer hinter seinem Schreibtisch saß, dann war einem eigentlich bereits alles klar. Der bloße Anblick von Mr. Maddrox reichte schon, um mich aus dem Konzept zu bringen. Aber genug jetzt mit dem Schwärmen. Ich räusperte mich schließlich leise, ging dann zur Tür und klopfte dort zweimal an. Einer der Wärter öffnete sie und musterte zuerst Mr. Maddrox, welcher erneut wie ein Honigkuchenpferd grinste und dann mich, wobei ich eher einen depressiven Eindruck machte. Der Wärter runzelte die Stirn und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Dann schaute ich nochmal kurz zu Silas zurück und trat schließlich aus dem Büro.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now