9 | Abendessen

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Nachdem ich mir in der Cafeteria etwas zu essen genommen hatte, setzte ich mich an einen freien Platz und legte das Buch neben mir ab. Dann fing ich an zu essen und merkte dabei, dass ich doch ziemlich hungrig war.

"Hey", kündigte sich Silas wie aus dem Nichts an und setzte sich mir gegenüber.
"Hi", antwortete ich leise.

"Alles gut?", wollte er wissen und bekam als Antwort nur ein stummes Nicken. "Okay. Hey, willst du mein Fleisch? Ich habe heute nicht sonderlich viel Hunger."

"Nein, schon gut", wedelte ich Silas' Angebot ab und nahm einen weiteren Bissen von meinem Essen.
"Sicher? Sonst lass ich es einpacken für den Hund meiner Schwester", scherzte er und grinste mich dabei wie so oft an.
Ich nickte wieder, hob dann aber aufmerksam den Kopf und zog die Brauen verwirrt zusammen. "Schwester?"

"Ja, sie wohnt fünfundvierzig Minuten weiter weg", erklärte er beiläufig.
"Oh. Und besuchst du sie manchmal?", wollte ich wissen und versuchte dabei nicht allzu neugierig zu wirken.
"Kaum. Wenn ich dort bin streiten wir uns nur pausenlos wegen jeder Kleinigkeit."
"Hm, achso. Hätte ich nicht gedacht", nuschelte ich und nahm dann einen Schluck von meinem Getränk.
"Nicht der Rede wert", meinte er und schmunzelte anschließend.
"Bin nicht immer so gut gelaunt."
Meine Stirn legte sich bei dieser Aussage in Falten. "Glaub' ich dir sofort."
Nun war Silas es, der verwirrt war, weshalb er auch sofort nachfragen musste. "Wieso das denn?"

Ich seufzte leise. War es denn nicht offensichtlich, dass ich mich in dessen Gegenwart eingeschüchtert fühlte? Wahrscheinlich überspielte ich dies immer zu gut.
"Wegen vorhin, du warst irgendwie genervt."
"Ach, ja das war auch kein Wunder. Schließlich wollte ich dir nur helfen."
"Ich weiß", antwortete ich Augen verdrehend, schob mein Tablett zur Seite und nahm das Buch in die Hand.
"Hmm." Silas sah zum Buch und lächelte. "Wie war der Kurs eigentlich?"
"Gut, gut", sagte ich ein wenig zu schnell, öffnete das Buch an der Stelle, wo ich vorhin aufgehört hatte und fing an, weiterzulesen.

"Dein Element also", gab Silas gut gelaunt von sich und aß das auf, was er schaffte. Als er den Kopf wieder hob, blickte ich ihn mit verengten Augen an.
"Gar nicht", sprach ich und schüttelte den Kopf.
Nein, diese Genugtuung wollte ich ihm einfach nicht gönnen. Außerdem war ich einfach zu stolz, um zuzugeben, dass es doch gar keine so schlechte Idee war, mich in diesen Kurs zu stecken.
"Quatsch, du bist im Literaturkurs und hast das Buch bei dir, was ich übrigens sehr gut finde."
"Vergessen wir das einfach. Wann musst du gehen?"

Zu meinem Glück wechselte er ebenfalls das Thema. "In den nächsten 10 Minuten habe ich Feierabend. Freue mich schon auf mein Bett."

"Okay", sagte ich leicht nickend und musste mir ein Lächeln verkneifen, als ich mir vorzustellen begann, wie sich Silas in seinem Bett hin- und herwälzte.
Ich selbst hatte nicht wirklich mehr eine Relation zu meinem damaligen und eigenen Bett, weshalb ich auch nicht eifersüchtig werden würde.

Silas nickte einmal, trank etwas von seinem Wasser und grinste schließlich. Während ich ihn beobachtete, stützte ich meinen Kopf mit einer Hand ab.
"Warum grinst du so?"
"Weiß nicht, bin einfach eine Grinsebacke", meinte er achselzuckend.
"Das ist echt merkwürdig", murmelte ich und schaute dabei kurz verlegen weg.
"Wieso das denn? Es muss ja noch gutgelaunte Menschen auf der Welt geben ... Oder in der Stadt."
"Weil du eigentlich immer so ernst bist", sagte ich als ich gleichzeitig die Schultern zuckte. "Jaja."
"Ernst?", Silas schüttelte den Kopf, "-nein, es kommt definitiv auf die Situation an."
"Ja." Ich musterte ihn aus unschuldigen Augen. "Wenn du meinst", murmelte ich letztendlich, da ich nicht weiter darüber diskutieren wollte und atmete schließlich laut aus. Musste ja keiner wissen oder ahnen, was für Komplexe ich hatte. Es reichte mir schon, dass mein Therapeut mir damit jedes Mal einen Vortrag hielt, um zu erklären, warum ich so bin, wie ich bin und weshalb ich mich so verhielt.
"Hm, ich muss jetzt auch schon los", teilte Silas mir mit, bevor er mir seinen Joghurt zuschob und sich anschließend von der Bank erhob, um sich zu strecken, wobei sein graues T-Shirt ein Stück nach oben rutschte.
"Okay." Ich kratzte mich kurz am Nacken und stand dann auch auf, mit dem Buch in meiner rechten Hand und dem Tablett in der Linken. Ich beobachtete die Geste Silas' und zog die Augenbrauen leicht zusammen. "Was-?", setzte ich zu einer Frage an, ließ es dann aber, da es offensichtlich war, was er von mir wollte.
"Hab keinen Hunger mehr", meinte ich und sah dann auf dessen entblößte Haut. Während ich mich merklich anspannte, schluckte ich leise und umklammerte das Buch fest mit meinen Fingern. Wieso machte er das immer dort, wo so viele Menschen waren?
"Nimm es mit auf deine Zelle und iss, wann du magst. Und sei nicht so stur, Alex. Ich weiß, dass ihr nicht sonderlich vieles kriegt, dann nimm wenigstens die kleinen Dinge an. Sonst bring ich es zurück."
Sofort schaute ich wieder in dessen Gesicht und wurde etwas rot.
"Okay", sagte ich schnell und räusperte mich dann.
"Jaja." Stur? Von wegen.
Schließlich sah ich zum Joghurt und ergriff diesen, nachdem ich das Buch vorher unter meinen Arm geklemmt hatte.
"Mann, kann der herrisch sein", murmelte ich ganz leise vor mich hin, sodass er es hoffentlich nicht hören konnte und drehte mich dabei leicht weg.
"Bis dann", sagte ich dann wieder lauter, sah dabei zu ihm und brachte als nächstes mein Tablett weg.
Silas sah mir dabei zu und lächelte sofort. Dann nahm er sein eigenes Tablett und verabschiedete sich ebenfalls.

Ich musterte ihn unauffällig, ging dann aber wieder zu meinem Platz, wo ich mich setzte und weiterlas - so lange, bis die Wärter alle Insassen aufruften, um in ihre Zellen zu gehen.

Als ich dort angekommen war, legte ich das Buch und den Joghurt schließlich auf meiner kleinen Kommode ab, und bevor ich mich auf das Bett setzte, zog ich meinen Overall aus und legte ihn ordentlich zur Seite. Darunter trug ich nur noch ein weißes Shirt und eine weiße Short.
Als ich letztendlich auf der Seite lag, versuchte ich nicht an Silas zu denken, sondern an die Geschehnisse des Buches, das sich an meinem Kopfende befand.
Irgendwann setzte mir die Müdigkeit aber so sehr zu, dass ich die Augen schließen musste, die Beine an mich zog und wenige Minuten später einschlief.

𝖠𝖻𝗀𝖾𝖿𝗎𝖼𝗄𝗍 𝗐𝗂𝖾 𝖠𝗅𝖾𝗑𝖺𝗇𝖽𝖾𝗋 | manxmanWhere stories live. Discover now