•GEDANKEN•

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Ich lasse die Tür zum Garten offen, um den Geruch des neuen Hauses loszuwerden. Ich kehre dem Meer den Rücken zu und verschwinde im Haus. Karton für Karton schleppe ich die Treppe hinauf und staple sie im Flur. Ich stütze meine Arme auf meine Beine ab und durschnaufe kurz, ehe ich mich umsehe. Es gibt vier Türen. Also möglicherweise zwei Zimmer und zwei Badezimmer. Anscheinend habe ich freie Wahl. Ich suche mir das Zimmer aus, welches einen tollen Ausblick aufs Meer hat sowie das Badezimmer, das eine Badewanne mit Duschfunktion integriert hat. Manchmal brauche ich ein heißes Bad, um mich von dem stressigen Alltag und den vielen sozialen Kontakten zu entspannen. Mein Rückzugsort neben dem surfen.

Ich öffne eines der Zimmer und lasse die kühle Luft herein. Die raue Luft des Meeres stößt mir entgegen und fährt durch meine Haare. Ich kann die Freiheit riechen. Sie kribbelt auf meiner Haut.

Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Regenrinne, welche nicht weit von meinem Fenster entfernt ist. Ich könnte einen kleinen nächtlichen Ausflug zum Strand machen, ohne erwischt zu werden. Nicht das ich das machen würde. Doch in meiner Vorstellung würde ich es tun.

Ich trete vom Fenster und schaue mich im Zimmer um. Es sieht ebenfalls moderner aus, als mein altes Zimmer in Sydney. Dort hatte sah es mehr nach mir aus. Surfbords an der Wand, der Kleiderschrank bestand fast nur aus Bikinis. Polaroid Bilder von meinen Freunden und mir, Pflanzen und jede Menge Scrunchies und Freundschaftsarmbänder.

Ich setzte meinen Rucksack auf dem Sessel ab und öffne ihn. Buch für Buch hole ich aus dem inneren hervor und stelle sie farblich sortiert in eines der Regale. Von Shakespeare über Jane Austin bis Suzanne Collins ist alles dabei. Ich lese nur, wenn ich verreise. Ob hoch in den Lüften oder auf langen Autobahnen fliehe ich in die Welt der Fantasie. Meistens kann ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen und muss es durchlesen. Seite für Seite. Wort für Wort. Als wir Roadtrips durch Australien gemacht haben, war das eine willkommene Abwechslung. Oft sind wir stundenlang nur in eine Richtung gefahren und haben kaum einen Wechsel an Landschaften gemacht. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Nachdem ich meine gesamten Kartons ausgeräumt habe, setzte ich mich erschöpft aufs Bett. Ab sofort ist das hier mein Reich. Ein Ort, wo ich das sagen habe. Ab morgen fängt mein neues Leben an. Eigentlich schon ab heute, doch bis jetzt sind wir nur in unserem Haus angekommen und haben die Kisten ausgepackt. Ab morgen besuche ich die neue Schule. Es ist, als würde man unter Amnesie leiden. Überall stellt man sich erneut vor. Die Freunde, die ich einst ins Herz geschlossen habe, werden langsam verblassen. Doch sein wir mal ehrlich. Irgendwann bricht der Kontakt ab. Ich führe ab sofort ein anderes Leben, wo möglicherweise meine alten Freunde keinen Platz mehr haben werden. Ich werde es versuchen, doch die Entfernung allein ist eine Herausforderung.

Ich versuche hier ein gutes Abschlussjahr zu haben. Gute Noten in der Schule zu schreiben. Vielleicht neue Freunde zu finden. Einen klasse Abschluss bekommen, mit dem ich mich auf großartigen Universitäten bewerben kann. Mein Leben weiterleben. Doch etwas wird mir immer fehlen. Einen kleinen Teil in meinem Herzen.

Tränen steigen mir in die Augen. Die Erinnerung an meine Freunde, mein altes Leben schleichen sich in mein Gedächtnis. Ich fühle mich allein gelassen. Was nicht so ganz stimmt. Ich habe noch meinen Dad. Trotzdem vermisse ich meine Mom. Ich wünsche sie wäre jetzt in dem Moment bei mir. Sie könnte mich in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut wird.

Um den Schmerz erträglicher zu machen, hole ich die anderen Kartons in mein Zimmer und packe diese aus. Kiste für Kiste, bis nur noch eine übrig bleibt. Neugierig öffne ich sie. In ihr befinden sich Bilder. Bilder von meiner Mom, Dad und mir. Ich nehme eines heraus und betrachte es genauer. Es zeigt uns an einem sonnigen Tag in Sydney. Meine Finger streichen über das Gesicht meiner Mom. Wir waren damals am Strand. Ein paar Wellen abfangen. Ein Tourist aus Spanien hat das Foto für uns gemacht. Ihre braunen Haare sind von den Fluten durchnässt und kleben an ihren Schultern. Ihr Lächeln strahlt mit dem der Sonne um die Wette und ihre bernsteinfarbenen Augen spiegeln ihre Seele wider. Die Seele einer Surferin. An dem Tag war alles perfekt. Ein Tag wie aus einem Bilderbuch. Tief im inneren weiß ich, dass dieser Tag nicht wieder kommen wird.

The Cheer SurferOù les histoires vivent. Découvrez maintenant