•SONNENUNTERGÄNGE•

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Die Sonne geht schon langsam unter und taucht das Blau des Himmels in tiefstes Orange. Unsere Eltern haben schon eine ganze Flasche Wein geleert und unterhalten sich amüsierend über unsere Kindheit. Um uns peinliche Details von meiner und seiner Kindheit zu ersparen, versuche ich einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Ich könnte mich verabschieden, in mein Zimmer gehen Noah hier allein lassen. Dieser sieht mich aus dem Augenwinkel an. Ich schaue zu ihm.

„Ich hätte eine Idee wie wir uns aus dem peinlichen Gespräch retten können. Wie wäre es, wenn wir uns den restlichen Sonnenuntergang ansehen? Es klingt romantisch, doch ich meine das nicht in diesem Sinne", fragt er und deutet auf die Tür hinter uns.

Meine Wangen färben sich unweigerlich rot. Leider sieht er es und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn du willst."

Er nimmt sein Glas und geht vor mir durch die Glastür. Ich stehe ebenfalls auf und laufe hinter ihm her. Leise schließe ich die Tür hinter uns, um unsere Eltern nicht auf unsere Abwesenheit aufmerksam zu machen.

Der Wind weht mir durch die braunen Haare. Meine Sicht wird durch die langen Strähnen verdeckt. Blind versuche ich vorwärtszulaufen. Ein Arm packt mich gerade noch rechtzeitig. Ich kralle mich an ihn fest, als würde mein Leben davon abhängen. Mit einer Hand verbanne ich das Knäul von Haaren aus meinem Gesicht. Die braunen Augen von Noah treffen auf meine bernsteinfarbenen. In den meisten Filmen ist es der Moment, in denen sich die Charaktere küssen. Doch nicht hier. Nicht jetzt. Ich kenne ihn nicht einmal. Doch das Blut findet erneut den Weg in meine Wangen.

„Was hältst du davon, wenn wir runter zum Meer gehen?", er deutet mit dem Glas auf den weiten Ozean. Er befindet sich nur wenige hundert Meter von uns entfernt.

„Ich war gefühlt seit einer Ewigkeit nicht mehr am Wasser", sage ich und schaue sehnsüchtig auf die Wellen.

Gemeinsam laufen wir die letzten Meter der Terrasse herunter, bis meine Füße den kühlen Sand berühren. Sofort entspannt sich mein Körper. Die Röte verblasst aus meinem Gesicht und ein breites Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.

Wir laufen weiter zum Meer. Immer weiter durch den Sand, bis unsere Füße das Wasser berühren. Die sachten Wellen prallen an den Knöcheln ab und ziehen uns mit sich. Meine Füße werden in den weichen Sand gedrückt und geben mir Halt.

Ich setzte mich auf den nassen Sand und stelle das Glas beiseite. Mir ist es egal, dass meine Hose nass wird. Bei den Temperaturen in Malibu kann man sich nicht erkälten. Höchstens eine Blasenentzündung bekommen. Doch die nehme ich gern in Kauf.

Noah setzt sich neben mich, dabei streift sein Bein, das meine. Ich ignoriere es. So sitzen wir gemeinsam da und beobachten, wie die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwinden. Mein Blick schweift vom Himmel zur Meeresoberfläche. Die Wellen werden sachter. Das Meer wird ruhiger. Es fesselt mich und zieht mich in seinem Bann. So als würden plötzlich alle Sorgen verschwinden.

Immer wenn ich auf die Wellen blicke, lässt es mich für einen Moment die Zeit vergessen. Ich atme die salzige Luft ein. Höre auf die Melodie der Wellen und genieße den Moment. Es klingt nach einem Klischee, doch es stimmt. Am Meer ist man glücklicher.

Noah stupst mich sacht an. Mein verträumter Blick ändert sich in Verwunderung. Warum stupst er mich plötzlich an. Ich mag es nicht, wenn mich Leute ohne Erlaubnis anfassen. Ich brauche meinen eigenen Abstand zu den Leuten, ehe ich eine gewisse Vertrauensbasis aufgebaut habe. Vorher nicht.

„Hast du etwas gefragt?", hacke ich nach.

„Ich habe gefragt, ob die Sonnenuntergänge in Sydney ebenso so schön waren wie diese hier."

„Oh, nun ja die Sonnenuntergänge in Australien übertreffen die hier bei weiten. So viel steht fest. Die Farben sind intensiver. Besonders, wenn du das Opernhaus davor hast. Dann sieht es einfach nur magisch aus."

„Unglaublich. Ich hatte noch keine Chance nach Australien zu fliegen. Es ist schon ein recht weiter Weg", sagt er und sieht sich den Sonnenuntergang an.

„Denk an die Zeitumstellung. An Silvester sind wir eines der ersten Länder, dass das neue Jahr begrüßt. Wenn du es so betrachtets, habe ich in der Zukunft gelebt und bin nun in die Vergangenheit gereist", ich trinke einen Schluck aus meinem Glas.

Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Er versucht mich nicht anzuschauen, doch scheitert kläglich. Nach wenigen Sekunden fängt er an zu lachen. Ich belächle ihn. „Was ist daran so lustig?"

„Nichts, ich habe nur das Gefühl, dass du nicht so recht hier sein willst."

„Bin ich so einfach zu lesen?", frage ich nach.

„Für jemanden, der ein Meister in Beobachtung ist, schon. Ich kann dich verstehen. Dein altes Leben muss der Wahnsinn gewesen sein."

„Du hast ja keine Ahnung."

Ich schaue wieder auf das Meer. Selbst jetzt, wo die Sonne untergegangen ist, sehen die Wellen noch wunderschön aus. Der aufgehende Mond strahlt hinab und taucht sie in ein Meer aus silbernen Perlen.

Er geht nicht weiter darauf ein. Womöglich hat er gemerkt, dass ich nicht darüber reden will. Dafür bin ich ihm dankbar. Wir genießen die Stille, bis sie von einer Frauenstimme unterbrochen wird. Anscheinend ist unsere Abwesenheit ist aufgefallen.

„Noah, komm es ist Zeit zu gehen." Laura Robinson ruft uns aus der Ferne zu.

Noah seufzt leise und steht auf. Er hält mir die Hand hin und will mir aufhelfen, doch diesmal ignoriere ich seine Hand und stehe ohne seine Hilfe auf. Er versucht diesen Versuch der Annäherung zu kaschieren, doch mir macht es nichts aus. Ich möchte jetzt einfach nur für mich sein. Allein. Ohne eine weitere Person.

Schweigend gehen wir zurück zum Haus. Dort angekommen nehme ich sein Glas und stelle es zusammen mit meinem in die Spüle. Mein Dad öffnet die Tür und verabschiedet sich von seinen neuen „Freunden", alias Nachbarn.

„Also wir sehen uns in ein paar Stunden." Noah winkt mir zu und geht zu seinen Eltern. Ich schließe die Tür hinter ihnen und drehe mich um.

„Wie findest du unsere Nachbarn?" Mein Dad sieht mich neugierig an.

„Ganz okay", antworte ich ihm. „Wir haben uns prächtig unterhalten. Sie sind noch lustiger, wenn sie etwas Alkohol im Blut haben. Doch das wird schon alles werden. Mach dir mal keinen Kopf. Am besten gehst du jetzt schlafen." Er gibt mir noch einen Kuss auf den Scheitel, ehe er wieder in die Küche verschwindet.

Ich gehe müde die Treppen rauf. In meinem Zimmer ziehe ich meinen Schlafanzug an und lege mich ins Bett. Endlich bin ich allein. Ich atme tief ein und aus. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Noah gern mein Freund wäre. Vielleicht sogar mehr als das. Ich muss mich erst einmal hier einleben, ehe ich an so etwas wie Beziehungen denken kann. 

The Cheer SurferWhere stories live. Discover now