1. Eine Reise ins Ungewisse

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Der Boden unter mir vibrierte und plötzlich schien ich mich schnell nach oben zu bewegen. Ich riss die Augen auf und versuchte, mich zu orientieren. Wo war ich?
Ich konnte nicht erkennen, wo ich war, aber ich konnte sehen, wer bei mir war. Ein regungsloser Junge lag neben mir und ich hatte kurz Angst, er könnte tot sein, doch da bewegte er sich und schien eine Ladung Wasser auf das Gitter zu spucken, auf dem er lag und ich kniete.
Erst jetzt merkte ich, dass ich selber klitschnass war, genau wie er. Wo kamen wir her?
Um uns herum waren einige Kisten gestapelt. Wir schienen uns in einer Art Aufzug zu befinden, der schnell nach oben fuhr. Aber wohin?
„Hey, alles okay?", fragte ich besorgt und reichte ihm eine Hand, damit er sich aufrichten konnte.
Als wir beide auf unseren Füßen standen wurde der Aufzug immer schneller und schneller und ruckelte schrecklich. Wir hielten uns aneinander fest und ich krallte mich an die Gitterwand.
Plötzlich konnte ich über uns Lichter sehen und schrie auf, als ich erkannte, dass wir auf eine geschlossene Luke zufuhren.
„Scheiße, das Ding muss anhalten!", rief der Junge neben mir und wir krallten uns noch ein wenig mehr aneinander fest.
Da gab es ein ohrenbetäubendes Geräusch und der Aufzug blieb mit einer solchen Wucht stehen, dass wir beide umkippten, wobei er auf mir landete. Ein Schmerz fuhr durch meinen Oberkörper und mir blieb kurz die Luft weg.
Ich starrte zur Decke und kniff die Augen zusammen, als sich über uns eine Klappe öffnete und gleißendes Sonnenlicht zu uns herein fiel. Stimmen waren zu hören und jemand öffnete nun auch die Gitter über uns. Der Junge, der mit mir hier drin war stützte sich auf seinen Arm, um auch nach oben sehen zu können, wobei er aber nicht von mir herunter ging. Ich wollte gerade etwas sagen, als Köpfe zu uns herunter schauten.
Ein großer Junge mit kurzen Haaren sprang in den Aufzug rein und starrte mich mit großen Augen an. Er streckte mir eine Hand entgegen, wobei er den Anderen völlig ignorierte, der jetzt endlich von mir herunter ging. Ich zögerte, ergriff die Hand dann aber und ließ mir von dem Fremden hochhelfen. Noch immer starrte er mich an und ich fragte mich, ob ich irgendwie komisch aussah.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich an nichts erinnern konnte und auch nicht wusste, ob ich vielleicht fürchterlich hässlich war oder eine besonders große Nase hatte. Starrte er mich wegen so etwas an?
Nein, er sah eher fasziniert aus, als er mich noch immer ansah. Mit den Lippen formte er einen Namen.
„Anna", flüsterte er und ich sah ihn verwirrt an. Hieß ich so? Kannte er mich etwa?
Mich überkam das Gefühl, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte, aber ich wusste nicht, wann und wo. Wie denn auch ohne Erinnerungen?
„Gally! Jetzt bring ihn endlich hoch!" Ein dunkelblonder Junge mit fast genauso kurzen Haaren wie der, der anscheinend Gally hieß, lugte über den Rand.
Gally schien wieder zu sich zu kommen und entgegnete: „Es sind zwei, Nick. Also sollte noch jemand runter kommen!"
Mit diesen Worten hob er mich hoch und kletterte mit mir im Arm wieder nach oben, wo er mich durch eine kleine Gruppe von Jungen trug, die mich alle interessiert ansahen.
„Ein Mädchen", hörte ich einige flüstern.
„Und zwei Frischlinge auf einmal."
Als ich mich umsah, immer noch in Gallys Armen – worüber ich mich nur nicht beschwerte, weil mir wirklich alles wehtat und er mich anscheinend zu kennen schien – traf mein Blick den eines der Jungen und mich durchzuckte ein stechender Kopfschmerz. Diese Augen, ich hatte das Gefühl ich kannte sie. Wie er mich mit ihnen musterte, als würde er genau das gleiche denken wie ich. Dieses Braun war so intensiv und ich spürte ein Kribbeln in der Magengegend.
Was zum...?
Aber ich konnte nicht länger darüber nachdenken, denn Gally trug mich über die Wiese, in deren Mitte ich angekommen war. Ich fragte mich, was mit dem anderen Jungen war, der mit mir da drin gewesen war, doch ich bekam keine Zeit, um nach ihm zu fragen, denn Gally setzte mich in einem Verschlag ab, in dem einige Hängematten hingen.
Verwirrt sah ich ihn an. „Du kennst mich?", fragte ich.
Er nickte und sah mich ernst an. „Du bist meine beste Freundin. Dein Name ist Anna. Und du hast mir vor zwei Monaten, als ich hier angekommen bin, eine Nachricht geschickt, von da, wo wir herkommen. Erinnerst du dich?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich hätte dir nicht einmal sagen können, wie ich heiße... Geschweige denn, wo ich herkomme. Aber wenn ich dich so ansehe glaube ich, dass du die Wahrheit sagst."
Ich musterte ihn und spürte den Anflug eines Gefühls, das ich wahrscheinlich früher für ihn empfunden hatte.
Komischer Weise hatte ich eben bei dem anderen Jungen ein Gefühl gehabt, das noch stärker gewesen war. Hieß das, dass ich auch ihn gekannt hatte? Oder wurde ich verrückt und bildete mir das alles nur ein?
„Wo sind wir hier, Gally?", fragte ich ihn und sah mich nun genauer um.
Von meinem Platz aus konnte ich ungefähr die Hälfte der Wiese sehen, über die er mich eben getragen hatte. An der einen Seite grenzte sie an einen Wald, an der anderen an eine Mauer, die mit Efeu bewachsen war. Erst jetzt sah ich, dass diese Mauer sich komplett um uns herum zu erstrecken schien.
„Wir nennen es die Lichtung. Hinter der Mauer ist eine Art Labyrinth. Und wir nennen uns die Lichter. Aber ich bin nicht der Richtige um dir das zu erzählen. Das sollte Alby machen. Ich wollte dich nur von den Anderen wegbringen, damit ich mit dir sprechen kann. Klonk, ich habe so sehr auf dich gewartet."
Mit Entsetzen sah ich, wie ihm eine Träne die Wange herunter lief. Er zog etwas aus seiner Tasche und hielt es mir hin.
Es war ein zerknitterter Zettel, auf dem eine Nachricht geschrieben war. Die Handschrift kam mir irgendwie bekannt vor. War es etwa meine?

Gally,
ich bin hier, ich passe auf dich auf. Und ich komme zu dir. Bald.
Du erinnerst dich an mich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich das macht.
Ich möchte dir so viel sagen, aber ich habe keine Zeit. Bitte vertrau mir einfach und warte auf mich.
Pass auf dich auf, Großer. Ich bin bei dir.
Anna

Ich schnappte nach Luft. Das hatte ich geschrieben. Ich konnte mich daran erinnern, wie ich den Stift gehalten hatte und auch daran, wie meine Hand vor Aufregung gezittert hatte. Mehr war da nicht. Nur dieser kurze Moment. Aber war das nicht wenigstens etwas? Jetzt wusste ich immerhin, dass ich Gally tatsächlich gekannt hatte.
„Großer...", flüsterte ich und strich vorsichtig über das Wort. Dann sah ich zu Gally hoch und entdeckte noch eine Träne auf seiner Wange.
Ohne zu überlegen schlang ich meine Arme um ihn und drückte mich an ihn. Seine Umarmung fühlte sich an, als würde ich zu Hause ankommen. Kein Zweifel, wir hatten uns nicht nur gekannt, wir hatten uns geliebt. Und damit meinte ich kein Verliebtsein. Damit meinte ich eine Liebe wie zwischen Geschwistern.
Ich schluchzte auf. „Ich erinnere mich an dich."
Dieses Gefühl war unglaublich. Es war als kämen Erinnerungen in meinem Kopf aus dem Schatten hervor. Ich erinnerte mich nur an ihn, an sonst nichts, aber dafür erinnerte ich mich an meine Zuneigung für ihn umso stärker.
Wir standen einfach so da und umarmten uns. Plötzlich drückte er mich ein wenig zu fest und ich stöhnte vor Schmerzen auf. Sofort ließ er mich los und sah mich entsetzt an.
„Du bist verletzt. Ich bringe dich zu Clint."
Damit stützte er mich und brachte mich zu einer Hütte in der Nähe, wo ich auch den Jungen aus der Box wieder traf. Er saß auf einer der Liegen aus Holz und bekam gerade einen Verband um die Rippen. Als er mich sah, lächelte er mich an und ich lächelte zurück.
„Wie geht es dir?", fragte ich, als der Junge, der eben noch ihn verarztet hatte, jetzt begann, mich zu untersuchen.
„Clint glaubt, dass ich mir ein paar Rippen angeknackst habe, aber es ist halb so wild. Aber du siehst echt nicht gut aus. Wie geht es dir denn?"
Ich zuckte mit den Schultern und auch das tat etwas weh. „Es geht schon."
Der Sanitäter, der anscheinend Clint hieß, erreichte meine Rippen und drückte ein wenig darauf herum, was mich aufstöhnen ließ.
„He, sei vorsichtig, Mann!" Gally machte einen Schritt auf ihn zu, aber Clint winkte ab.
„Die Rippen waren gebrochen, aber das scheint schon etwas her zu sein. Du hast Glück, sie sind wieder gerade zusammengewachsen. Außerdem hast du eine Wunde an der rechten Seite deines Brustkorbs. Da musst du aufpassen, dass sie nicht wieder aufgeht. Du bekommst auch einen festen Verband darum und dann sollte es gut heilen. Aber deinen Kopf muss ich mir nochmal genauer anschauen. Da hast du einige Verletzungen."

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now